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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Nun schrie zwar das Blut der so schonungslos gegeißelten und in der
Wahl besiegten Demokraten um Rache zu dem Allerhöchsten in Darmstadt;
allein das Strafgesetz hatte unvorsichtigerweise anno 1840 den Fall der an
der rothen Republik zu begehenden "Amts- und Dienstehrbeleidigung" nicht
vorgesehen, und so mußte jetzt eine Zeile ausgesucht werden, in welcher
H. v. Dalwigk in eigner Person und nicht in Person der von ihm prote-
girten Freiheitshelden angegriffen war.

Glücklicher- oder unglücklicherweise kam eine Stelle vor im Manifest, die be¬
sagte: alle freisinnigen Bürger hätten Jahre lang sich beschwert über das Bündniß
zwischen dem Ministerium und der "kirchlichen Intoleranz". Auf diese zwei
Worte legte der großh. Staatsproeurator den Finger und sprach wie Napoleon,
als er, den Finger auf die Karte legend wo das Dorf Marengo steht, sagte:
"An dieser Stelle werde ich den General Melas schlagen". Am 19. kam
das Schreiben nach Darmstadt und bereits am 20., dem Tag an welchem der
Wahlsieg Bamberger's notorisch wurde, ging vom Minister der Justiz und
vom Minister des Innern unterzeichnet, der Befehl nach Mainz zurück, daß
die Rache des Gesetzes ihren Lauf beginne. So schnell hatte man bei der
Einleitung der Zollparlamentswahlen nicht gearbeitet! Kaum erscholl die
schlimme Post, so vereinigte sich der Ausschuß der nationalen und bekannte
sich Mann für Mann zur Miturheberschaft an dem incriminirten Actenstück.
Es unterzeichneten dreißig der angesehensten Bürger. Hunderte drängten sich
zu, wurden aber als überflüssig zurückgewiesen.

Nun ging die Qual des Untersuchungsrichters an, eines liebenswürdigen
und freisinnigen Mannes, der unter dieser trübseligen Pflicht seines Amtes
offenbar seufzte. So wie er einen der Vorgeladenen nach seinen Mitver¬
brechern fragte, zog dieser den verhängnißvollen Zettel aus der Tasche und
las die dreißig klangvollen Namen mit unerbittlichem Athem ab. Der Unter¬
suchungsrichter accordirte mit seinem Gewissen auf 33°/" und zog nur 10
Sünder in die Verfolgung. Als nun die Sache vor die Rathskammer ge¬
langte, ward aber auch noch bei dieser Zahl von zehn Ungerechten dem
Staatsanwalt für seinen Erfolg bange. Er accordirte seinerseits wie Loth
mit Jehova und brachte die Zahl aus drei herab, außerdem natürlich der
Hauptmissethäter, Bamberger. Die Rathskammer -- ohne viel Kopfzer¬
brechens -- überwies die Viere dem Gericht.

Aber dem Generalstaatsprocurator am Appellhof schien denn doch diese
Methode des Deeimirens vor nicht ganz standrechtlichen Behörden bedenklich.
Er legte Opposition ein gegen das Verweisungsurtheil der Rathskammer,
indem er demonstrtrte, daß man entweder die zehn Geständigen oder
Niemand vor Gericht ziehen müsse. Diese Opposition und manche andere
intimen Vorgänge im Schooße der darmstädtischen Justiz, über die wir mit


Nun schrie zwar das Blut der so schonungslos gegeißelten und in der
Wahl besiegten Demokraten um Rache zu dem Allerhöchsten in Darmstadt;
allein das Strafgesetz hatte unvorsichtigerweise anno 1840 den Fall der an
der rothen Republik zu begehenden „Amts- und Dienstehrbeleidigung" nicht
vorgesehen, und so mußte jetzt eine Zeile ausgesucht werden, in welcher
H. v. Dalwigk in eigner Person und nicht in Person der von ihm prote-
girten Freiheitshelden angegriffen war.

Glücklicher- oder unglücklicherweise kam eine Stelle vor im Manifest, die be¬
sagte: alle freisinnigen Bürger hätten Jahre lang sich beschwert über das Bündniß
zwischen dem Ministerium und der „kirchlichen Intoleranz". Auf diese zwei
Worte legte der großh. Staatsproeurator den Finger und sprach wie Napoleon,
als er, den Finger auf die Karte legend wo das Dorf Marengo steht, sagte:
„An dieser Stelle werde ich den General Melas schlagen". Am 19. kam
das Schreiben nach Darmstadt und bereits am 20., dem Tag an welchem der
Wahlsieg Bamberger's notorisch wurde, ging vom Minister der Justiz und
vom Minister des Innern unterzeichnet, der Befehl nach Mainz zurück, daß
die Rache des Gesetzes ihren Lauf beginne. So schnell hatte man bei der
Einleitung der Zollparlamentswahlen nicht gearbeitet! Kaum erscholl die
schlimme Post, so vereinigte sich der Ausschuß der nationalen und bekannte
sich Mann für Mann zur Miturheberschaft an dem incriminirten Actenstück.
Es unterzeichneten dreißig der angesehensten Bürger. Hunderte drängten sich
zu, wurden aber als überflüssig zurückgewiesen.

Nun ging die Qual des Untersuchungsrichters an, eines liebenswürdigen
und freisinnigen Mannes, der unter dieser trübseligen Pflicht seines Amtes
offenbar seufzte. So wie er einen der Vorgeladenen nach seinen Mitver¬
brechern fragte, zog dieser den verhängnißvollen Zettel aus der Tasche und
las die dreißig klangvollen Namen mit unerbittlichem Athem ab. Der Unter¬
suchungsrichter accordirte mit seinem Gewissen auf 33°/« und zog nur 10
Sünder in die Verfolgung. Als nun die Sache vor die Rathskammer ge¬
langte, ward aber auch noch bei dieser Zahl von zehn Ungerechten dem
Staatsanwalt für seinen Erfolg bange. Er accordirte seinerseits wie Loth
mit Jehova und brachte die Zahl aus drei herab, außerdem natürlich der
Hauptmissethäter, Bamberger. Die Rathskammer — ohne viel Kopfzer¬
brechens — überwies die Viere dem Gericht.

Aber dem Generalstaatsprocurator am Appellhof schien denn doch diese
Methode des Deeimirens vor nicht ganz standrechtlichen Behörden bedenklich.
Er legte Opposition ein gegen das Verweisungsurtheil der Rathskammer,
indem er demonstrtrte, daß man entweder die zehn Geständigen oder
Niemand vor Gericht ziehen müsse. Diese Opposition und manche andere
intimen Vorgänge im Schooße der darmstädtischen Justiz, über die wir mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/29>, abgerufen am 20.05.2024.