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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Der gegenwärtige Minister der Landwirthschaft hat diese Haidemeliora-
tionen als Erbtheil von drei oder vier Vorgängern übernommen; was hin¬
dert ihn also reinen Tisch zu machen? Dazu wäre erforderlich:

1) Die einmal verausgabten Summen für verloren zu erklären und
Halt zu gebieten in weiterer Unterstützung, da diese doch nutzlos ist;

2) Den Verein aufzulösen, den halben mittleren und den ganzen unteren
Theil der Genossenschaft aus dem Verbände zu entlassen, darnach die Canäle
zum Zwecke früherer Wiedereinmündung in die Lippe zu regeln und die
Müller damit zu befriedigen;

3) Den oberen Theil von etwa 2S00 bis 3000 Morgen, der wirklich
Nutzen hat und keinen Schaden stiftet, der freien Genossenschaft auf
Selbsthilfe zu überlassen.

Zum ersten Male ist diese Angelegenheit von dem Abgeordneten von
Lippstadt, Herrn Ohm in der Kammer zur Sprache gebracht, und wir sagen
voraus: die Sache wird nun nicht eher ruhen, als bis sie zu einem leid¬
lichen Austrage gelangt sein wird. Hier liegt in unserem preußischen Vater¬
lande das erste Beispiel einer Verwirklichung der Lassalle'schen Forderung
von Staatshilfe vor. und zwar einer Staatshilfe von 230,000 Thlr. auf
ein Stück Haideland von einer Viertelquadratmeile, um, wie der Regierungs-
commissär Greiff in der Sitzung vom 26. Nov. v. I, sagte: um der dor¬
tigen Gegend gute Wiesen zu verschaffen, da es daselbst an Heu
mangele". Wie viele andere Gegenden aber gibt es nicht, wo das Hin
noch empfindlicher mangelt als hier, wo mit 100 Thlr. pro Morgen Melio¬
rationskosten weit bessere Wiesen geschaffen werden konnten, wenn der Staat
90 Thlr. zu diesem Behufe schenken wollte.

Wenn aber der Staat der ersten Genossenschaft seine Unterstützung an-
gedeihen läßt, so ist kein Grund vorhanden, warum er sie der zweiten und
dritten Genossenschaft, der es etwa an Heu mangelt, nicht gewähren sollte.
Mit welchem Rechte wollte er der Einen verweigern, was er der Anderen
gestattet? Der Staat, der sich ein Mal die Aufgabe gestellt hat. Ungleich¬
heiten abzuhelfen, kann seine Thätigkeit nicht damit beginnen, neue Ungleich¬
heiten zu schaffen. Die zehnte Genossenschaft, die sich zum Zwecke der Heu-
Production meldete, müßte also ebensogut, wie die erste auf die Staats-
Unterstützung rechnen können!!

Wir denken, der preußische Staat wird an der einen theuer bezahlten
Erfahrung genug haben und sich in Zukunft hüten, seine Mittel in den
Dienst von genossenschaftlichen Unternehmungen dieser Art zu stellen. Das
Geschick der pariser atoliers xublies von 1848 und jener erwähnten Genossen¬
schaften, welche binnen weniger Jahre in Frankreich trotz aller Staatshilfe


Grenzvoten I. 1869. 40

Der gegenwärtige Minister der Landwirthschaft hat diese Haidemeliora-
tionen als Erbtheil von drei oder vier Vorgängern übernommen; was hin¬
dert ihn also reinen Tisch zu machen? Dazu wäre erforderlich:

1) Die einmal verausgabten Summen für verloren zu erklären und
Halt zu gebieten in weiterer Unterstützung, da diese doch nutzlos ist;

2) Den Verein aufzulösen, den halben mittleren und den ganzen unteren
Theil der Genossenschaft aus dem Verbände zu entlassen, darnach die Canäle
zum Zwecke früherer Wiedereinmündung in die Lippe zu regeln und die
Müller damit zu befriedigen;

3) Den oberen Theil von etwa 2S00 bis 3000 Morgen, der wirklich
Nutzen hat und keinen Schaden stiftet, der freien Genossenschaft auf
Selbsthilfe zu überlassen.

Zum ersten Male ist diese Angelegenheit von dem Abgeordneten von
Lippstadt, Herrn Ohm in der Kammer zur Sprache gebracht, und wir sagen
voraus: die Sache wird nun nicht eher ruhen, als bis sie zu einem leid¬
lichen Austrage gelangt sein wird. Hier liegt in unserem preußischen Vater¬
lande das erste Beispiel einer Verwirklichung der Lassalle'schen Forderung
von Staatshilfe vor. und zwar einer Staatshilfe von 230,000 Thlr. auf
ein Stück Haideland von einer Viertelquadratmeile, um, wie der Regierungs-
commissär Greiff in der Sitzung vom 26. Nov. v. I, sagte: um der dor¬
tigen Gegend gute Wiesen zu verschaffen, da es daselbst an Heu
mangele". Wie viele andere Gegenden aber gibt es nicht, wo das Hin
noch empfindlicher mangelt als hier, wo mit 100 Thlr. pro Morgen Melio¬
rationskosten weit bessere Wiesen geschaffen werden konnten, wenn der Staat
90 Thlr. zu diesem Behufe schenken wollte.

Wenn aber der Staat der ersten Genossenschaft seine Unterstützung an-
gedeihen läßt, so ist kein Grund vorhanden, warum er sie der zweiten und
dritten Genossenschaft, der es etwa an Heu mangelt, nicht gewähren sollte.
Mit welchem Rechte wollte er der Einen verweigern, was er der Anderen
gestattet? Der Staat, der sich ein Mal die Aufgabe gestellt hat. Ungleich¬
heiten abzuhelfen, kann seine Thätigkeit nicht damit beginnen, neue Ungleich¬
heiten zu schaffen. Die zehnte Genossenschaft, die sich zum Zwecke der Heu-
Production meldete, müßte also ebensogut, wie die erste auf die Staats-
Unterstützung rechnen können!!

Wir denken, der preußische Staat wird an der einen theuer bezahlten
Erfahrung genug haben und sich in Zukunft hüten, seine Mittel in den
Dienst von genossenschaftlichen Unternehmungen dieser Art zu stellen. Das
Geschick der pariser atoliers xublies von 1848 und jener erwähnten Genossen¬
schaften, welche binnen weniger Jahre in Frankreich trotz aller Staatshilfe


Grenzvoten I. 1869. 40
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[0325] Der gegenwärtige Minister der Landwirthschaft hat diese Haidemeliora- tionen als Erbtheil von drei oder vier Vorgängern übernommen; was hin¬ dert ihn also reinen Tisch zu machen? Dazu wäre erforderlich: 1) Die einmal verausgabten Summen für verloren zu erklären und Halt zu gebieten in weiterer Unterstützung, da diese doch nutzlos ist; 2) Den Verein aufzulösen, den halben mittleren und den ganzen unteren Theil der Genossenschaft aus dem Verbände zu entlassen, darnach die Canäle zum Zwecke früherer Wiedereinmündung in die Lippe zu regeln und die Müller damit zu befriedigen; 3) Den oberen Theil von etwa 2S00 bis 3000 Morgen, der wirklich Nutzen hat und keinen Schaden stiftet, der freien Genossenschaft auf Selbsthilfe zu überlassen. Zum ersten Male ist diese Angelegenheit von dem Abgeordneten von Lippstadt, Herrn Ohm in der Kammer zur Sprache gebracht, und wir sagen voraus: die Sache wird nun nicht eher ruhen, als bis sie zu einem leid¬ lichen Austrage gelangt sein wird. Hier liegt in unserem preußischen Vater¬ lande das erste Beispiel einer Verwirklichung der Lassalle'schen Forderung von Staatshilfe vor. und zwar einer Staatshilfe von 230,000 Thlr. auf ein Stück Haideland von einer Viertelquadratmeile, um, wie der Regierungs- commissär Greiff in der Sitzung vom 26. Nov. v. I, sagte: um der dor¬ tigen Gegend gute Wiesen zu verschaffen, da es daselbst an Heu mangele". Wie viele andere Gegenden aber gibt es nicht, wo das Hin noch empfindlicher mangelt als hier, wo mit 100 Thlr. pro Morgen Melio¬ rationskosten weit bessere Wiesen geschaffen werden konnten, wenn der Staat 90 Thlr. zu diesem Behufe schenken wollte. Wenn aber der Staat der ersten Genossenschaft seine Unterstützung an- gedeihen läßt, so ist kein Grund vorhanden, warum er sie der zweiten und dritten Genossenschaft, der es etwa an Heu mangelt, nicht gewähren sollte. Mit welchem Rechte wollte er der Einen verweigern, was er der Anderen gestattet? Der Staat, der sich ein Mal die Aufgabe gestellt hat. Ungleich¬ heiten abzuhelfen, kann seine Thätigkeit nicht damit beginnen, neue Ungleich¬ heiten zu schaffen. Die zehnte Genossenschaft, die sich zum Zwecke der Heu- Production meldete, müßte also ebensogut, wie die erste auf die Staats- Unterstützung rechnen können!! Wir denken, der preußische Staat wird an der einen theuer bezahlten Erfahrung genug haben und sich in Zukunft hüten, seine Mittel in den Dienst von genossenschaftlichen Unternehmungen dieser Art zu stellen. Das Geschick der pariser atoliers xublies von 1848 und jener erwähnten Genossen¬ schaften, welche binnen weniger Jahre in Frankreich trotz aller Staatshilfe Grenzvoten I. 1869. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/325>, abgerufen am 22.05.2024.