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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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machte ärgerlich die Schreibetafel zu und ließ mich fahren. Zu Mittag
während des Essens trat ein junger Militär in den Gasthof, fragte nach
meinem Namen und sagte, er sei Adjutant des Königs, der mich fragen
ließe, ob ich ein Verwandter von einem Baron Rosen sei, der Commandant in
Danzig gewesen wäre? -- Ich sagte "ja." Mir war nicht ganz wohl zu
Muthe, weil ich glaubte der König könne mich vor sich kommen lassen und
mir die Cometographie vorrücken. Es unterblieb aber glücklicherweise und
den andern Morgen gingen wir auf die Wachparade, wo der damalige
Kronprinz, der starke Friedrich Wilhelm, zugegen war und der 84jährige
Husarengeneral Ziethen noch in voller Uniform sich mit ihm unterhielt.
Kurz vorher hatte dieser graue Held taufen lassen.

Von Potsdam fuhr ich gerade nach Leipzig -- es ging durch Tag und
Nacht und ich erinnere mich nur, daß ich auf einem offenem Postwagen durch
einen Wald fahrend einschlief und vom Postillon gewarnt wurde meinen
Kopf in Acht zu nehmen, der einem Reisenden auf diese Weise schon ab¬
gefahren worden. Dieses wirkte nicht wenig auf meine Wachsamkeit, Ich
stieg in Leipzig im Hotel de Baviere ab; nach einigen Tagen miethete ich
mir in der Petri-Straße eine Wohnung,

Mehr als zwei Monate mußte ich auf den Anfang der Herbst-Collegia
warten -- während dieser Zeit nahm ich Stunden im Französischen beim
Sprachmeister Pasterre, auch etwas italienische Stunden; ich machte Ueber¬
setzungen und Tabellen und Bekanntschaft mit einigen studirenden Lands¬
leuten, und wandte mich an Professor Clodius, der in frühern Zeiten ein
ziemlich munterer Kopf gewesen war.

Clodius hatte eine liebenswürdige nicht mehr junge Gemahlin, Julie
Clodius, und einen guten fähigen 6jährigen Sohn, Gustel genannt. -- An
seinem Tische hatten vor mir mehrere Livländer gegessen, auch bei ihm ge¬
wohnt -- ich bezahlte für Mittagtisch 20, für Abendtisch 10 Thaler monatlich,
für Quartier 15 Thaler. Außerdem war Dr. Seeger, ein gelehrter seiner
Mann, Unser Tischgenosse, so wie ein Herr v. Rothenburg. dessen Vater in
Danzig zweimal das große Loos in der'Hamburger Lotterie gewonnen hatte.
Die Gastfreiheit wohnte in diesem Hause und die frohe Unterhaltung ersetzte
den bisweiligen Mangel an der Tafel. Die Speisen waren leicht und-wohl"
feil, so wie der Wein. Meine liebste Nahrung war Semmel und die kernigte
Butter; Früchte gab es im Sommer und Herbst die Fülle. Die von den
weiten Feldern um Leipzig eingefangenen Lerchen gaben fette aber sehr
kleine Braten. In einer Schachtel wurden zu 15--60 bis nach Italien an
hölzernen Spießen verschickt. Ich fühlte eine besondere Achtung und Neigung
für Dr. Seeger, einen Schüler des durch Staatsschriften berühmten Mascow.
Seeger hielt mehrere Vorlesungen, war Assessor im Reichshosrathe, ein Freund


machte ärgerlich die Schreibetafel zu und ließ mich fahren. Zu Mittag
während des Essens trat ein junger Militär in den Gasthof, fragte nach
meinem Namen und sagte, er sei Adjutant des Königs, der mich fragen
ließe, ob ich ein Verwandter von einem Baron Rosen sei, der Commandant in
Danzig gewesen wäre? — Ich sagte „ja." Mir war nicht ganz wohl zu
Muthe, weil ich glaubte der König könne mich vor sich kommen lassen und
mir die Cometographie vorrücken. Es unterblieb aber glücklicherweise und
den andern Morgen gingen wir auf die Wachparade, wo der damalige
Kronprinz, der starke Friedrich Wilhelm, zugegen war und der 84jährige
Husarengeneral Ziethen noch in voller Uniform sich mit ihm unterhielt.
Kurz vorher hatte dieser graue Held taufen lassen.

Von Potsdam fuhr ich gerade nach Leipzig — es ging durch Tag und
Nacht und ich erinnere mich nur, daß ich auf einem offenem Postwagen durch
einen Wald fahrend einschlief und vom Postillon gewarnt wurde meinen
Kopf in Acht zu nehmen, der einem Reisenden auf diese Weise schon ab¬
gefahren worden. Dieses wirkte nicht wenig auf meine Wachsamkeit, Ich
stieg in Leipzig im Hotel de Baviere ab; nach einigen Tagen miethete ich
mir in der Petri-Straße eine Wohnung,

Mehr als zwei Monate mußte ich auf den Anfang der Herbst-Collegia
warten — während dieser Zeit nahm ich Stunden im Französischen beim
Sprachmeister Pasterre, auch etwas italienische Stunden; ich machte Ueber¬
setzungen und Tabellen und Bekanntschaft mit einigen studirenden Lands¬
leuten, und wandte mich an Professor Clodius, der in frühern Zeiten ein
ziemlich munterer Kopf gewesen war.

Clodius hatte eine liebenswürdige nicht mehr junge Gemahlin, Julie
Clodius, und einen guten fähigen 6jährigen Sohn, Gustel genannt. — An
seinem Tische hatten vor mir mehrere Livländer gegessen, auch bei ihm ge¬
wohnt — ich bezahlte für Mittagtisch 20, für Abendtisch 10 Thaler monatlich,
für Quartier 15 Thaler. Außerdem war Dr. Seeger, ein gelehrter seiner
Mann, Unser Tischgenosse, so wie ein Herr v. Rothenburg. dessen Vater in
Danzig zweimal das große Loos in der'Hamburger Lotterie gewonnen hatte.
Die Gastfreiheit wohnte in diesem Hause und die frohe Unterhaltung ersetzte
den bisweiligen Mangel an der Tafel. Die Speisen waren leicht und-wohl»
feil, so wie der Wein. Meine liebste Nahrung war Semmel und die kernigte
Butter; Früchte gab es im Sommer und Herbst die Fülle. Die von den
weiten Feldern um Leipzig eingefangenen Lerchen gaben fette aber sehr
kleine Braten. In einer Schachtel wurden zu 15—60 bis nach Italien an
hölzernen Spießen verschickt. Ich fühlte eine besondere Achtung und Neigung
für Dr. Seeger, einen Schüler des durch Staatsschriften berühmten Mascow.
Seeger hielt mehrere Vorlesungen, war Assessor im Reichshosrathe, ein Freund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/52>, abgerufen am 22.05.2024.