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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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solcher Anerkennung veranlaßt finden könne. Wenn sie also principiell gegen
diese Anerkennung der Civilehe nichts einzuwenden hat, warum will dann
die Kirche dieselbe gleichwohl versagen in einer Zeit, die wahrlich höhere
Ziele verfolgen sollte, als den Conflict zwischen kirchlicher und staatlicher Ge¬
walt in unerquicklicher Weise zu schärfen? Oder will der Oberkirchenrath sich
darauf berufen, daß die Civilehe in Mecklenburg auch von der Staatsgewalt
nicht anerkannt ist? Dann vergißt er. daß die staatlichen Institutionen
anderer norddeutscher Bundesstaaten auch in Mecklenburg anerkannt und zwar
unbedingt anerkannt werden müssen, seit Mecklenburg diesem Bunde an¬
gehört.

Dem Bund steht keine Gesetzgebungsgewalt über das hier zur Frage
stehende Gebiet zu. Aber wünschenswerth wäre es, wenn seine Competenz
je eher je lieber auf verfassungsmäßigen Wege dahin erweitert würde, daß
er Anomalien, wie der in dem Erlaß des Oberkirchenraths ausgesproche¬
nen, ein Ende zu machen im Stande wäre. Kann ein aus einem andern
Bundesstaat nach Mecklenburg ziehendes Ehepaar sich dort heimisch fühlen,
wie es doch im ganzen Bundesgebiet der Fall sein sollte, wenn es wegen
seiner in der engeren Heimath unter staatlicher Autorität und Anerkennung
eingegangenen Lebensverbindung als Sünderpaar öffentlich gebrandmarkt
werden darf?

Es gibt noch viel Schutt und Moder hinwegzuräumen im norddeutschen
Bundesgebiete. Aber, wer wie der mecklenburgische Oberkirchenrath diesen
Schutt absichtlich aufrüttelt und durch seine Staubwolken das Ideal des
freien deutschen Einheitsstaates zu verdunkeln gedenkt, der wird bald inne
werden, daß er dadurch nur die Augen der Bundesorgane auf solche noch
vorhandene Schutt- und Moderplätze lenkt. Und werden diese von den
Wächtern der Bundesverfassung einmal ernstlich ins Auge gefaßt, so werden
sich auch Mittel und Wege finden sie zu beseitigen. Daß die Civilehe über
kurz oder lang im ganzen Bundesgebiete werde eingeführt werden, sei es
als Nothehe, facultative oder obligatorische Civilehe, daran zweifeln wir
nicht, und vielleicht hat der mecklenburgische Oberkirchenrath sich gerade durch
seinen Erlaß vom 7. December 1868 das unfreiwillige Verdienst erworben,
eine solche Reform zu beschleunigen.


D.


Grcnzbott" II. I8K9.

solcher Anerkennung veranlaßt finden könne. Wenn sie also principiell gegen
diese Anerkennung der Civilehe nichts einzuwenden hat, warum will dann
die Kirche dieselbe gleichwohl versagen in einer Zeit, die wahrlich höhere
Ziele verfolgen sollte, als den Conflict zwischen kirchlicher und staatlicher Ge¬
walt in unerquicklicher Weise zu schärfen? Oder will der Oberkirchenrath sich
darauf berufen, daß die Civilehe in Mecklenburg auch von der Staatsgewalt
nicht anerkannt ist? Dann vergißt er. daß die staatlichen Institutionen
anderer norddeutscher Bundesstaaten auch in Mecklenburg anerkannt und zwar
unbedingt anerkannt werden müssen, seit Mecklenburg diesem Bunde an¬
gehört.

Dem Bund steht keine Gesetzgebungsgewalt über das hier zur Frage
stehende Gebiet zu. Aber wünschenswerth wäre es, wenn seine Competenz
je eher je lieber auf verfassungsmäßigen Wege dahin erweitert würde, daß
er Anomalien, wie der in dem Erlaß des Oberkirchenraths ausgesproche¬
nen, ein Ende zu machen im Stande wäre. Kann ein aus einem andern
Bundesstaat nach Mecklenburg ziehendes Ehepaar sich dort heimisch fühlen,
wie es doch im ganzen Bundesgebiet der Fall sein sollte, wenn es wegen
seiner in der engeren Heimath unter staatlicher Autorität und Anerkennung
eingegangenen Lebensverbindung als Sünderpaar öffentlich gebrandmarkt
werden darf?

Es gibt noch viel Schutt und Moder hinwegzuräumen im norddeutschen
Bundesgebiete. Aber, wer wie der mecklenburgische Oberkirchenrath diesen
Schutt absichtlich aufrüttelt und durch seine Staubwolken das Ideal des
freien deutschen Einheitsstaates zu verdunkeln gedenkt, der wird bald inne
werden, daß er dadurch nur die Augen der Bundesorgane auf solche noch
vorhandene Schutt- und Moderplätze lenkt. Und werden diese von den
Wächtern der Bundesverfassung einmal ernstlich ins Auge gefaßt, so werden
sich auch Mittel und Wege finden sie zu beseitigen. Daß die Civilehe über
kurz oder lang im ganzen Bundesgebiete werde eingeführt werden, sei es
als Nothehe, facultative oder obligatorische Civilehe, daran zweifeln wir
nicht, und vielleicht hat der mecklenburgische Oberkirchenrath sich gerade durch
seinen Erlaß vom 7. December 1868 das unfreiwillige Verdienst erworben,
eine solche Reform zu beschleunigen.


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Grcnzbott» II. I8K9.
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[0025] solcher Anerkennung veranlaßt finden könne. Wenn sie also principiell gegen diese Anerkennung der Civilehe nichts einzuwenden hat, warum will dann die Kirche dieselbe gleichwohl versagen in einer Zeit, die wahrlich höhere Ziele verfolgen sollte, als den Conflict zwischen kirchlicher und staatlicher Ge¬ walt in unerquicklicher Weise zu schärfen? Oder will der Oberkirchenrath sich darauf berufen, daß die Civilehe in Mecklenburg auch von der Staatsgewalt nicht anerkannt ist? Dann vergißt er. daß die staatlichen Institutionen anderer norddeutscher Bundesstaaten auch in Mecklenburg anerkannt und zwar unbedingt anerkannt werden müssen, seit Mecklenburg diesem Bunde an¬ gehört. Dem Bund steht keine Gesetzgebungsgewalt über das hier zur Frage stehende Gebiet zu. Aber wünschenswerth wäre es, wenn seine Competenz je eher je lieber auf verfassungsmäßigen Wege dahin erweitert würde, daß er Anomalien, wie der in dem Erlaß des Oberkirchenraths ausgesproche¬ nen, ein Ende zu machen im Stande wäre. Kann ein aus einem andern Bundesstaat nach Mecklenburg ziehendes Ehepaar sich dort heimisch fühlen, wie es doch im ganzen Bundesgebiet der Fall sein sollte, wenn es wegen seiner in der engeren Heimath unter staatlicher Autorität und Anerkennung eingegangenen Lebensverbindung als Sünderpaar öffentlich gebrandmarkt werden darf? Es gibt noch viel Schutt und Moder hinwegzuräumen im norddeutschen Bundesgebiete. Aber, wer wie der mecklenburgische Oberkirchenrath diesen Schutt absichtlich aufrüttelt und durch seine Staubwolken das Ideal des freien deutschen Einheitsstaates zu verdunkeln gedenkt, der wird bald inne werden, daß er dadurch nur die Augen der Bundesorgane auf solche noch vorhandene Schutt- und Moderplätze lenkt. Und werden diese von den Wächtern der Bundesverfassung einmal ernstlich ins Auge gefaßt, so werden sich auch Mittel und Wege finden sie zu beseitigen. Daß die Civilehe über kurz oder lang im ganzen Bundesgebiete werde eingeführt werden, sei es als Nothehe, facultative oder obligatorische Civilehe, daran zweifeln wir nicht, und vielleicht hat der mecklenburgische Oberkirchenrath sich gerade durch seinen Erlaß vom 7. December 1868 das unfreiwillige Verdienst erworben, eine solche Reform zu beschleunigen. D. Grcnzbott» II. I8K9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/25>, abgerufen am 22.05.2024.