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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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anzudrehen wissen; aber das Geschrei über Verkürzung und Ungerechtigkeit
kann man bei so bewandten Dingen Niemandem verbieten. Dazu kommt,
daß die Regierung öffentlich ein wohlwollendes und unparteiisch lautendes
Wahleircular hat ergehen lassen, im Geheimen aber ein anderes, das zu allen
möglichen Wahlbeeinflussungen aufforderte. Das Ding war kaum von Wien
abgesendet, als es die Prager "Politik" schon abdruckte und im Voraus ver¬
sprach, alle etwaigen nachfolgenden geheimen Circulare ebenfalls sofort zu
bringen. Und das geht im Großen wie im Kleinen so. Neuerdings denun-
cirte ein deutscher Privatbeamter einen czechischen Agitator heimlich bei Koller,
am anderen Tage wußte dieser nicht nur jede Silbe der geheimen Unter¬
redung, sondern auch das Memorandum, das sich Koller im Geheimbunde
gemacht, vorbotenus.

Der Religionsfond, den die Regierung aus den früher eingezogenen
geistlichen Gütern besitzt, wird zu allem Möglichen außer zur Aufbesserung
der Unterrichtsanstalten benutzt. 20 Millionen daraus sollen in die anderen
Provinzen fließen; ein Geistlicher erzählte mir, daß er selbst längere Zeit habe
die Quittungen für Pensionsgelder, die aus diesem Fonds an Maitressen
hochgestellter Persönlichkeiten gezahlt worden, mitzuunterzeichnen gehabt. So
hat der Prager Domprobst 30,000 si. Gehalt; die meisten Capläne freilich
nur 1S0 si., wovon sie noch 100 si. für die Kost abgeben, und man kann
20 Jahre lang Kaplan sein; die Lehrer stehen noch schlechter. Wie die
Schulen im Innern des Landes aussehen, davon hat ein Norddeutscher keinen
Begriff. Wie eifrig aber in diesen Schulstuben, die oft reine Spelunken sind,
speciell czechische Sachen jetzt betrieben werden, kann man nur im Vergleich
mit der früheren Zeit, wo nur das Deutsche Mode war und die Geistlichen
nicht einmal richtig Böhmisch schreiben konnten, ermessen. Damals lud un¬
sere Wirthin, um mit ihren Sprachkenntnissen zu prunken, unermüdlich jedes
Jahr zum " Ho rron ationsball" im Gasthof "zur goldenen Stern" ein;
jetzt liest und erklärt sie den Stammgästen die Mroäni listz^. -- Das viel¬
getadelte Wegbleiben der Czechen aus dem Landtage finde ich von ihrer
Seite aus sehr plausibel, sie wissen, daß doch alle Gesetze gegen ihren Willen
durchgehen würden und sie sie auf diese Weise doch nicht mit sanctioniren.
Schlimmer als jetzt könne es für sie auf keinen Fall werden, meinen sie.
"Wären wir preußisch, so hätten wir jedenfalls gute Finanzen und ein geord¬
netes Verwaltungssystem" auch die Geistlichen sind vielfach fest überzeugt,
daß sie unter preußischer Regierung viel gesichertere kirchliche Zustände haben
würden, als hier. Freilich ist die Furcht vor einer Germanisirung wie in
Posen so groß, daß sich Niemand diesen Fall wünscht. Man rechnet so: die
östreichische Negierung begünstigt immer die Ungarn, um der Slaven Herr
zu werden und umgekehrt, und da jetzt die Ungarn wieder gar so nuper-


anzudrehen wissen; aber das Geschrei über Verkürzung und Ungerechtigkeit
kann man bei so bewandten Dingen Niemandem verbieten. Dazu kommt,
daß die Regierung öffentlich ein wohlwollendes und unparteiisch lautendes
Wahleircular hat ergehen lassen, im Geheimen aber ein anderes, das zu allen
möglichen Wahlbeeinflussungen aufforderte. Das Ding war kaum von Wien
abgesendet, als es die Prager „Politik" schon abdruckte und im Voraus ver¬
sprach, alle etwaigen nachfolgenden geheimen Circulare ebenfalls sofort zu
bringen. Und das geht im Großen wie im Kleinen so. Neuerdings denun-
cirte ein deutscher Privatbeamter einen czechischen Agitator heimlich bei Koller,
am anderen Tage wußte dieser nicht nur jede Silbe der geheimen Unter¬
redung, sondern auch das Memorandum, das sich Koller im Geheimbunde
gemacht, vorbotenus.

Der Religionsfond, den die Regierung aus den früher eingezogenen
geistlichen Gütern besitzt, wird zu allem Möglichen außer zur Aufbesserung
der Unterrichtsanstalten benutzt. 20 Millionen daraus sollen in die anderen
Provinzen fließen; ein Geistlicher erzählte mir, daß er selbst längere Zeit habe
die Quittungen für Pensionsgelder, die aus diesem Fonds an Maitressen
hochgestellter Persönlichkeiten gezahlt worden, mitzuunterzeichnen gehabt. So
hat der Prager Domprobst 30,000 si. Gehalt; die meisten Capläne freilich
nur 1S0 si., wovon sie noch 100 si. für die Kost abgeben, und man kann
20 Jahre lang Kaplan sein; die Lehrer stehen noch schlechter. Wie die
Schulen im Innern des Landes aussehen, davon hat ein Norddeutscher keinen
Begriff. Wie eifrig aber in diesen Schulstuben, die oft reine Spelunken sind,
speciell czechische Sachen jetzt betrieben werden, kann man nur im Vergleich
mit der früheren Zeit, wo nur das Deutsche Mode war und die Geistlichen
nicht einmal richtig Böhmisch schreiben konnten, ermessen. Damals lud un¬
sere Wirthin, um mit ihren Sprachkenntnissen zu prunken, unermüdlich jedes
Jahr zum „ Ho rron ationsball" im Gasthof „zur goldenen Stern" ein;
jetzt liest und erklärt sie den Stammgästen die Mroäni listz^. — Das viel¬
getadelte Wegbleiben der Czechen aus dem Landtage finde ich von ihrer
Seite aus sehr plausibel, sie wissen, daß doch alle Gesetze gegen ihren Willen
durchgehen würden und sie sie auf diese Weise doch nicht mit sanctioniren.
Schlimmer als jetzt könne es für sie auf keinen Fall werden, meinen sie.
„Wären wir preußisch, so hätten wir jedenfalls gute Finanzen und ein geord¬
netes Verwaltungssystem" auch die Geistlichen sind vielfach fest überzeugt,
daß sie unter preußischer Regierung viel gesichertere kirchliche Zustände haben
würden, als hier. Freilich ist die Furcht vor einer Germanisirung wie in
Posen so groß, daß sich Niemand diesen Fall wünscht. Man rechnet so: die
östreichische Negierung begünstigt immer die Ungarn, um der Slaven Herr
zu werden und umgekehrt, und da jetzt die Ungarn wieder gar so nuper-


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[0125] anzudrehen wissen; aber das Geschrei über Verkürzung und Ungerechtigkeit kann man bei so bewandten Dingen Niemandem verbieten. Dazu kommt, daß die Regierung öffentlich ein wohlwollendes und unparteiisch lautendes Wahleircular hat ergehen lassen, im Geheimen aber ein anderes, das zu allen möglichen Wahlbeeinflussungen aufforderte. Das Ding war kaum von Wien abgesendet, als es die Prager „Politik" schon abdruckte und im Voraus ver¬ sprach, alle etwaigen nachfolgenden geheimen Circulare ebenfalls sofort zu bringen. Und das geht im Großen wie im Kleinen so. Neuerdings denun- cirte ein deutscher Privatbeamter einen czechischen Agitator heimlich bei Koller, am anderen Tage wußte dieser nicht nur jede Silbe der geheimen Unter¬ redung, sondern auch das Memorandum, das sich Koller im Geheimbunde gemacht, vorbotenus. Der Religionsfond, den die Regierung aus den früher eingezogenen geistlichen Gütern besitzt, wird zu allem Möglichen außer zur Aufbesserung der Unterrichtsanstalten benutzt. 20 Millionen daraus sollen in die anderen Provinzen fließen; ein Geistlicher erzählte mir, daß er selbst längere Zeit habe die Quittungen für Pensionsgelder, die aus diesem Fonds an Maitressen hochgestellter Persönlichkeiten gezahlt worden, mitzuunterzeichnen gehabt. So hat der Prager Domprobst 30,000 si. Gehalt; die meisten Capläne freilich nur 1S0 si., wovon sie noch 100 si. für die Kost abgeben, und man kann 20 Jahre lang Kaplan sein; die Lehrer stehen noch schlechter. Wie die Schulen im Innern des Landes aussehen, davon hat ein Norddeutscher keinen Begriff. Wie eifrig aber in diesen Schulstuben, die oft reine Spelunken sind, speciell czechische Sachen jetzt betrieben werden, kann man nur im Vergleich mit der früheren Zeit, wo nur das Deutsche Mode war und die Geistlichen nicht einmal richtig Böhmisch schreiben konnten, ermessen. Damals lud un¬ sere Wirthin, um mit ihren Sprachkenntnissen zu prunken, unermüdlich jedes Jahr zum „ Ho rron ationsball" im Gasthof „zur goldenen Stern" ein; jetzt liest und erklärt sie den Stammgästen die Mroäni listz^. — Das viel¬ getadelte Wegbleiben der Czechen aus dem Landtage finde ich von ihrer Seite aus sehr plausibel, sie wissen, daß doch alle Gesetze gegen ihren Willen durchgehen würden und sie sie auf diese Weise doch nicht mit sanctioniren. Schlimmer als jetzt könne es für sie auf keinen Fall werden, meinen sie. „Wären wir preußisch, so hätten wir jedenfalls gute Finanzen und ein geord¬ netes Verwaltungssystem" auch die Geistlichen sind vielfach fest überzeugt, daß sie unter preußischer Regierung viel gesichertere kirchliche Zustände haben würden, als hier. Freilich ist die Furcht vor einer Germanisirung wie in Posen so groß, daß sich Niemand diesen Fall wünscht. Man rechnet so: die östreichische Negierung begünstigt immer die Ungarn, um der Slaven Herr zu werden und umgekehrt, und da jetzt die Ungarn wieder gar so nuper-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/125>, abgerufen am 11.05.2024.