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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Dies zeigte sich schon bei den Wahlen zur aufgelösten Kammer, wo die
bescheidene Zurückhaltung des Ministeriums sich zwar überaus konstitutionell
ausnahm, aber doch nur die Folge der inneren Schwäche war; denn sonst
hätte man doch nicht Verwaltungsbeamte, wie dies da und dort vorkam,
in der unbefangensten Weise gegen das Ministerium auftreten, sonst hätte
man doch nicht Ministerialräthe geradezu an die Spitze der Opposition treten
lassen. Aber die patriotische Partei glaubte sich Alles erlauben zu dürfen,
sie trug eine Zuversicht zur Schau, als ob sie morgen die vacanten Minister¬
posten zu besetzen hätte. Der Ausfall der Wahlen war denn auch dem ent¬
sprechend. Die ministerielle Partei in der Kammer, bisher dominirend,
schmolz zu einer kleinen Fraction zusammen, die Wähler gingen theils weiter
nach rechts, theils weiter nach links, sie votirten theils für die Fortschritts¬
partei mit ihrem bestimmteren nationalen Programm, theils für die patrio¬
tische Partei, welche das Landvolk mit den Mitteln einer hierarchischen De¬
magogie gegen die Bourgeoisie aussetzte. Die Städte wählten liberal, das
Landvolk clerical. Es waren, wie man sich in Bayern ausdrückte, extreme
Wahlen, obwol nur hier die Dinge so seltsam liegen, daß die nationale
Partei als eine extreme rothe Partei prädicirt werden kann.

War es so wenigstens zum Theil der Mangel an Autorität der Regie¬
rung, der das Wahlresultat herbeiführte, so war derselbe Mangel noch empfind¬
licher zu spüren, als die konstitutionelle Maschine in Folge dieses Resultats
sichtbar ins Stocken gerieth. Auch hier nahm es sich ganz constitutionell
aus, daß die Regierung 14 Tage dem fruchtlosen Schauspiel in der Pranner-
gasse mit gekreuzten Armen zusah, aber man weiß auch, daß es nicht ein be¬
rechneter Plan, sondern die völlige Rathlosigkeit, die Furcht vor dem Un¬
bekannten war, in Folge deren sie es vorzog, eine Entscheidung so lang als
möglich hinauszuschieben. Als ob die Lage eine andere geworden wäre, wenn
in Folge eines Zufalls -- denn auf anderes konnte man kaum rechnen, die
absolute Mehrheit doch der einen Partei zugefallen oder durch ein Compromiß
die Constituirung der Kammer ermöglicht worden wäre. Als ob sich nicht
sofort bei den Ausschußwahlen das Schauspiel wiederholt hätte, und als ob
mit einer so zusammengesetzten Kammer, deren innerer Zwiespalt noch vor
der Constituirung so drastisch sich aufdrängte, irgendwie auch nur die lau¬
fenden Geschäfte, geschweige denn die noch rückständigen gesetzgeberischen Ar¬
beiten hätten besorgt werden können. Es war sogar die Gefahr vorhanden,
daß wenn durch einen Zufall doch die Bildung des Bureaus gelänge, dies
nur auf Kosten der liberalen Parteien geschehen könne, die bei den Verhand¬
lungen über die Anträge der Legitimationscommission nur durch ein überaus
geschicktes Parteimanöver, das einige Gegner verblüffte, und das wesentlich
das Verdienst des scharfsinnigen Bürgermeisters von Augsburg war, die


Dies zeigte sich schon bei den Wahlen zur aufgelösten Kammer, wo die
bescheidene Zurückhaltung des Ministeriums sich zwar überaus konstitutionell
ausnahm, aber doch nur die Folge der inneren Schwäche war; denn sonst
hätte man doch nicht Verwaltungsbeamte, wie dies da und dort vorkam,
in der unbefangensten Weise gegen das Ministerium auftreten, sonst hätte
man doch nicht Ministerialräthe geradezu an die Spitze der Opposition treten
lassen. Aber die patriotische Partei glaubte sich Alles erlauben zu dürfen,
sie trug eine Zuversicht zur Schau, als ob sie morgen die vacanten Minister¬
posten zu besetzen hätte. Der Ausfall der Wahlen war denn auch dem ent¬
sprechend. Die ministerielle Partei in der Kammer, bisher dominirend,
schmolz zu einer kleinen Fraction zusammen, die Wähler gingen theils weiter
nach rechts, theils weiter nach links, sie votirten theils für die Fortschritts¬
partei mit ihrem bestimmteren nationalen Programm, theils für die patrio¬
tische Partei, welche das Landvolk mit den Mitteln einer hierarchischen De¬
magogie gegen die Bourgeoisie aussetzte. Die Städte wählten liberal, das
Landvolk clerical. Es waren, wie man sich in Bayern ausdrückte, extreme
Wahlen, obwol nur hier die Dinge so seltsam liegen, daß die nationale
Partei als eine extreme rothe Partei prädicirt werden kann.

War es so wenigstens zum Theil der Mangel an Autorität der Regie¬
rung, der das Wahlresultat herbeiführte, so war derselbe Mangel noch empfind¬
licher zu spüren, als die konstitutionelle Maschine in Folge dieses Resultats
sichtbar ins Stocken gerieth. Auch hier nahm es sich ganz constitutionell
aus, daß die Regierung 14 Tage dem fruchtlosen Schauspiel in der Pranner-
gasse mit gekreuzten Armen zusah, aber man weiß auch, daß es nicht ein be¬
rechneter Plan, sondern die völlige Rathlosigkeit, die Furcht vor dem Un¬
bekannten war, in Folge deren sie es vorzog, eine Entscheidung so lang als
möglich hinauszuschieben. Als ob die Lage eine andere geworden wäre, wenn
in Folge eines Zufalls — denn auf anderes konnte man kaum rechnen, die
absolute Mehrheit doch der einen Partei zugefallen oder durch ein Compromiß
die Constituirung der Kammer ermöglicht worden wäre. Als ob sich nicht
sofort bei den Ausschußwahlen das Schauspiel wiederholt hätte, und als ob
mit einer so zusammengesetzten Kammer, deren innerer Zwiespalt noch vor
der Constituirung so drastisch sich aufdrängte, irgendwie auch nur die lau¬
fenden Geschäfte, geschweige denn die noch rückständigen gesetzgeberischen Ar¬
beiten hätten besorgt werden können. Es war sogar die Gefahr vorhanden,
daß wenn durch einen Zufall doch die Bildung des Bureaus gelänge, dies
nur auf Kosten der liberalen Parteien geschehen könne, die bei den Verhand¬
lungen über die Anträge der Legitimationscommission nur durch ein überaus
geschicktes Parteimanöver, das einige Gegner verblüffte, und das wesentlich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/131>, abgerufen am 17.06.2024.