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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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östreichisch-französischen und russisch-preußischen Bündnissen sprachen, Versuche
zur Wiederherstellung der heiligen Alliance gemacht, und ein Artikel der
"Nationalzeitung" über die gegenwärtige Lage Badens reichte dazu hin. die
Pariser Börse mit Gerüchten von dem bevorstehenden Eintritt des Groß-
herzogthums in den norddeutschen Bund zu ängstigen.

So weit sind wir weder hüben noch drüben. Schon ein Blick auf die
gegenwärtige Lage Bayerns reicht zu der Ueberzeugung hin. daß bei der be¬
kannten Stellung Preußens zur süddeutschen Frage, hundert Gründe gegen
die Wahrscheinlichkeit einer sofortigen Heranziehung Badens sprechen und die
vielbesprochene Reise des Siegers von Sadowa hat bis jetzt zu nichts als zu
publicistischen Streitigkeiten über ihre Bedeutung geführt. Was vollends die
vielbesprochene Annäherung Oestreichs an Rußland anlangt, so fehlen alle An¬
zeichen dafür, daß dieselbe mehr bedeutet, als die Wiederaufnahme der regel¬
mäßigen Formen des diplomatischen Verkehrs; die orientalische Reise Franz
Josephs und die unveränderte Stellung des Wiener Cabinets zu den galizischen
Dingen sprechen sogar dafür, daß der Gegensatz zwischen den Interessen dieser
beiden Staaten schon jetzt über etwaigen freundlichen Absichten ihrer Macht¬
haber die Oberhand gewonnen hat. So wird die Sache wenigstens in Ru߬
land angesehen und bis jetzt hat uns die Wiener Presse nicht gesagt, daß in
der Hofburg andere Anschauungen obwalteten. --Trotz der Herzlichkeit, mit
welcher der Erbe der preußischen Krone in der Stadt aufgenommen worden
ist, an deren Thoren er vor drei Jahren als drohender Sieger stehen blieb,
liegen bis jetzt keine Thatsachen vor, welche auf ein wirklich verändertes Ver¬
hältniß der beiden Mächte schließen ließen, die früher die beiden deutschen
Großmächte hießen. Die Auslegung, welche diesem Besuch von dem größten
Theil der Presse gegeben wurde, war vorn herein höchst unwahrscheinlich, weil
sie den Verhältnissen, unter denen dieser Besuch zu Stande kam, wider¬
sprach. Die Lahmlegung Frankreichs -- hieß es -- habe den Grafen Beust
bewogen, sich an Preußen zu lehnen. Ganz abgesehen davon, daß hier jedes
logische Mittelglied zwischen Vorder- und Nachsatz fehlt, trifft diese Con-
jectur nicht zu, weil das Project und die Direction der Reise des Kronprinzen
preußischer Initiative entsprangen, Oestreich nur nicht abgelehnt hat und
Graf Beust bei der Antwort, die der Kaiser nach Berlin sandte, bekanntlich
gar nicht um seine Meinung gefragt worden ist. Die Courteoifie, welche Preußen
dem Habsburgischen Kaiserhause erwies und die sich östreichischer Seits eigent¬
lich gar nicht ablehnen ließ, ist höflich beantwortet worden -- das ist bis
jetzt Alles, was vorliegt, und zu weiteren Schlußfolgerungen, so willkommen
dieselben auch sein mögen, fehlt aller Boden. Je genauer wir die Geschichte
der letzten Jahre darauf ansehen, desto weniger Grund haben wir zu der An¬
nahme, daß östreichischer Seits die gebotene Versöhnungshand ergriffen und


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östreichisch-französischen und russisch-preußischen Bündnissen sprachen, Versuche
zur Wiederherstellung der heiligen Alliance gemacht, und ein Artikel der
„Nationalzeitung" über die gegenwärtige Lage Badens reichte dazu hin. die
Pariser Börse mit Gerüchten von dem bevorstehenden Eintritt des Groß-
herzogthums in den norddeutschen Bund zu ängstigen.

So weit sind wir weder hüben noch drüben. Schon ein Blick auf die
gegenwärtige Lage Bayerns reicht zu der Ueberzeugung hin. daß bei der be¬
kannten Stellung Preußens zur süddeutschen Frage, hundert Gründe gegen
die Wahrscheinlichkeit einer sofortigen Heranziehung Badens sprechen und die
vielbesprochene Reise des Siegers von Sadowa hat bis jetzt zu nichts als zu
publicistischen Streitigkeiten über ihre Bedeutung geführt. Was vollends die
vielbesprochene Annäherung Oestreichs an Rußland anlangt, so fehlen alle An¬
zeichen dafür, daß dieselbe mehr bedeutet, als die Wiederaufnahme der regel¬
mäßigen Formen des diplomatischen Verkehrs; die orientalische Reise Franz
Josephs und die unveränderte Stellung des Wiener Cabinets zu den galizischen
Dingen sprechen sogar dafür, daß der Gegensatz zwischen den Interessen dieser
beiden Staaten schon jetzt über etwaigen freundlichen Absichten ihrer Macht¬
haber die Oberhand gewonnen hat. So wird die Sache wenigstens in Ru߬
land angesehen und bis jetzt hat uns die Wiener Presse nicht gesagt, daß in
der Hofburg andere Anschauungen obwalteten. —Trotz der Herzlichkeit, mit
welcher der Erbe der preußischen Krone in der Stadt aufgenommen worden
ist, an deren Thoren er vor drei Jahren als drohender Sieger stehen blieb,
liegen bis jetzt keine Thatsachen vor, welche auf ein wirklich verändertes Ver¬
hältniß der beiden Mächte schließen ließen, die früher die beiden deutschen
Großmächte hießen. Die Auslegung, welche diesem Besuch von dem größten
Theil der Presse gegeben wurde, war vorn herein höchst unwahrscheinlich, weil
sie den Verhältnissen, unter denen dieser Besuch zu Stande kam, wider¬
sprach. Die Lahmlegung Frankreichs — hieß es — habe den Grafen Beust
bewogen, sich an Preußen zu lehnen. Ganz abgesehen davon, daß hier jedes
logische Mittelglied zwischen Vorder- und Nachsatz fehlt, trifft diese Con-
jectur nicht zu, weil das Project und die Direction der Reise des Kronprinzen
preußischer Initiative entsprangen, Oestreich nur nicht abgelehnt hat und
Graf Beust bei der Antwort, die der Kaiser nach Berlin sandte, bekanntlich
gar nicht um seine Meinung gefragt worden ist. Die Courteoifie, welche Preußen
dem Habsburgischen Kaiserhause erwies und die sich östreichischer Seits eigent¬
lich gar nicht ablehnen ließ, ist höflich beantwortet worden — das ist bis
jetzt Alles, was vorliegt, und zu weiteren Schlußfolgerungen, so willkommen
dieselben auch sein mögen, fehlt aller Boden. Je genauer wir die Geschichte
der letzten Jahre darauf ansehen, desto weniger Grund haben wir zu der An¬
nahme, daß östreichischer Seits die gebotene Versöhnungshand ergriffen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/195>, abgerufen am 18.05.2024.