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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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er schon als Knabe mit sichtlicher Borliebe diese besondere Kraft und war
auch als junger Mann auf die Ausbildung seiner musikalischen Anlagen ernst¬
lich bedacht. Wer ihn noch am Ende der dreißiger Jahre kurz vor seiner
Römerfahrt in Paris beobachtete, den leidenschaftlichen Theaterbesucher, den
andächtigen Zuhörer bei allen musikalischen Aufführungen, wie er, dem sonst
die größere Geselligkeit ein Gräuel war, doch in musikalischen Salons sich
gern tummelte, eifrig den Verkehr mit Künstlern und Kunstfreunden suchte,
durfte immerhin glauben, daß Jahr ausschließlich den musikalischen Interessen
ergeben sei. In der That zeigte er in seiner Jugend die größte Lust, die
künstlerische Laufbahn zu ergreifen. Aber wenn sein Vater, der angesehene
Syndicus der Schleswig-Holstein'schen Ritterschaft, es auch zugegeben hatte,
daß der älteste Sohn sich der Sculptur widme, welche ja damals in der
dänischen Hauptstadt, Dank Thorwaldsen. in großen Ehren stand, so genoß
doch die musikalische Kunst, so viel ihr auch sonst im Jahn'schen Hause ge¬
huldigt wurde, nicht das Ansehen und bot nicht die sicheren Aussichten, als
daß es in des Vaters Wünschen gelegen hätte, in ihr den Lebensberuf Otto's
zu erblicken. Der Wechsel desselben verlor bald die Bitterkeit, welche er wohl
anfangs für Jcchn's jugendliches Gemüth haben mochte. Sein wunderbares
Gedächtniß, sein unbändiger Lesetrieb, sein unersättlicher Wissensdurst, Eigen¬
schaften, die sich in dem Knaben ebenso frühzeitig offenbarten, wie seine Musikliebe,
ließen ihn die gelehrten Studien rasch mit Eifer und innerer Befriedigung treiben.
Es traf sich gut, daß der Kieler Organist Apel, dessen Leitung sich Jahr vorzugs¬
weise anvertraut hatte und welchem er noch jüngst in den "Musikalischen Auf¬
sätzen" ein schönes Denkmal gesetzt, mit schonungslosem Ernste daran festhielt,
der Schüler sei an die volle Strenge der Regeln zu binden, daß Apel auf
die gründliche Kenntniß der Musiktheorie einen großen Nachdruck legte und
in der älteren musikalischen Literatur trefflich bewandert war, in deren Schutze
er auch Jahr, den treuen Gehilfen bei allen größeren Musikaufführungen,
liebevoll einführte. So fand sich ungesucht eine Brücke zwischen den musi¬
kalischen Neigungen und dem gelehrten Zuge Jcchn's. Wie weit er auf dieser
Brücke gelangte, mit welcher Meisterschaft er das Eine mit dem Anderen zu
verweben verstand, wie diese Vereinigung gelehrter Geduld, wissenschaftlichen
Scharfsinnes und künstlerischer Erfindung ihn befähigte, sich Aufgaben zu
stellen und zu lösen, an welche kein Lebender sonst sich wagen durfte, sagt
uns sein "Mozart." Wurden die Männer vom Fache erfreut durch die
ebenso genauen wie richtigen Analysen der Einzelwerke des Meisters, waren
sie überrascht, von Jahr in der klarsten Weise auseinandergesetzt und erklärt
zu sehen^ was sie als Zunstgeheimniß zu behandeln, als unsagbar zu behaupten
gewohnt waren, so fühlten sich wieder die Leser, die von den Interessen der
allgemeinen Bildung geleitet, an das Buch herantraten, angezogen von dem


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er schon als Knabe mit sichtlicher Borliebe diese besondere Kraft und war
auch als junger Mann auf die Ausbildung seiner musikalischen Anlagen ernst¬
lich bedacht. Wer ihn noch am Ende der dreißiger Jahre kurz vor seiner
Römerfahrt in Paris beobachtete, den leidenschaftlichen Theaterbesucher, den
andächtigen Zuhörer bei allen musikalischen Aufführungen, wie er, dem sonst
die größere Geselligkeit ein Gräuel war, doch in musikalischen Salons sich
gern tummelte, eifrig den Verkehr mit Künstlern und Kunstfreunden suchte,
durfte immerhin glauben, daß Jahr ausschließlich den musikalischen Interessen
ergeben sei. In der That zeigte er in seiner Jugend die größte Lust, die
künstlerische Laufbahn zu ergreifen. Aber wenn sein Vater, der angesehene
Syndicus der Schleswig-Holstein'schen Ritterschaft, es auch zugegeben hatte,
daß der älteste Sohn sich der Sculptur widme, welche ja damals in der
dänischen Hauptstadt, Dank Thorwaldsen. in großen Ehren stand, so genoß
doch die musikalische Kunst, so viel ihr auch sonst im Jahn'schen Hause ge¬
huldigt wurde, nicht das Ansehen und bot nicht die sicheren Aussichten, als
daß es in des Vaters Wünschen gelegen hätte, in ihr den Lebensberuf Otto's
zu erblicken. Der Wechsel desselben verlor bald die Bitterkeit, welche er wohl
anfangs für Jcchn's jugendliches Gemüth haben mochte. Sein wunderbares
Gedächtniß, sein unbändiger Lesetrieb, sein unersättlicher Wissensdurst, Eigen¬
schaften, die sich in dem Knaben ebenso frühzeitig offenbarten, wie seine Musikliebe,
ließen ihn die gelehrten Studien rasch mit Eifer und innerer Befriedigung treiben.
Es traf sich gut, daß der Kieler Organist Apel, dessen Leitung sich Jahr vorzugs¬
weise anvertraut hatte und welchem er noch jüngst in den „Musikalischen Auf¬
sätzen" ein schönes Denkmal gesetzt, mit schonungslosem Ernste daran festhielt,
der Schüler sei an die volle Strenge der Regeln zu binden, daß Apel auf
die gründliche Kenntniß der Musiktheorie einen großen Nachdruck legte und
in der älteren musikalischen Literatur trefflich bewandert war, in deren Schutze
er auch Jahr, den treuen Gehilfen bei allen größeren Musikaufführungen,
liebevoll einführte. So fand sich ungesucht eine Brücke zwischen den musi¬
kalischen Neigungen und dem gelehrten Zuge Jcchn's. Wie weit er auf dieser
Brücke gelangte, mit welcher Meisterschaft er das Eine mit dem Anderen zu
verweben verstand, wie diese Vereinigung gelehrter Geduld, wissenschaftlichen
Scharfsinnes und künstlerischer Erfindung ihn befähigte, sich Aufgaben zu
stellen und zu lösen, an welche kein Lebender sonst sich wagen durfte, sagt
uns sein „Mozart." Wurden die Männer vom Fache erfreut durch die
ebenso genauen wie richtigen Analysen der Einzelwerke des Meisters, waren
sie überrascht, von Jahr in der klarsten Weise auseinandergesetzt und erklärt
zu sehen^ was sie als Zunstgeheimniß zu behandeln, als unsagbar zu behaupten
gewohnt waren, so fühlten sich wieder die Leser, die von den Interessen der
allgemeinen Bildung geleitet, an das Buch herantraten, angezogen von dem


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[0211] er schon als Knabe mit sichtlicher Borliebe diese besondere Kraft und war auch als junger Mann auf die Ausbildung seiner musikalischen Anlagen ernst¬ lich bedacht. Wer ihn noch am Ende der dreißiger Jahre kurz vor seiner Römerfahrt in Paris beobachtete, den leidenschaftlichen Theaterbesucher, den andächtigen Zuhörer bei allen musikalischen Aufführungen, wie er, dem sonst die größere Geselligkeit ein Gräuel war, doch in musikalischen Salons sich gern tummelte, eifrig den Verkehr mit Künstlern und Kunstfreunden suchte, durfte immerhin glauben, daß Jahr ausschließlich den musikalischen Interessen ergeben sei. In der That zeigte er in seiner Jugend die größte Lust, die künstlerische Laufbahn zu ergreifen. Aber wenn sein Vater, der angesehene Syndicus der Schleswig-Holstein'schen Ritterschaft, es auch zugegeben hatte, daß der älteste Sohn sich der Sculptur widme, welche ja damals in der dänischen Hauptstadt, Dank Thorwaldsen. in großen Ehren stand, so genoß doch die musikalische Kunst, so viel ihr auch sonst im Jahn'schen Hause ge¬ huldigt wurde, nicht das Ansehen und bot nicht die sicheren Aussichten, als daß es in des Vaters Wünschen gelegen hätte, in ihr den Lebensberuf Otto's zu erblicken. Der Wechsel desselben verlor bald die Bitterkeit, welche er wohl anfangs für Jcchn's jugendliches Gemüth haben mochte. Sein wunderbares Gedächtniß, sein unbändiger Lesetrieb, sein unersättlicher Wissensdurst, Eigen¬ schaften, die sich in dem Knaben ebenso frühzeitig offenbarten, wie seine Musikliebe, ließen ihn die gelehrten Studien rasch mit Eifer und innerer Befriedigung treiben. Es traf sich gut, daß der Kieler Organist Apel, dessen Leitung sich Jahr vorzugs¬ weise anvertraut hatte und welchem er noch jüngst in den „Musikalischen Auf¬ sätzen" ein schönes Denkmal gesetzt, mit schonungslosem Ernste daran festhielt, der Schüler sei an die volle Strenge der Regeln zu binden, daß Apel auf die gründliche Kenntniß der Musiktheorie einen großen Nachdruck legte und in der älteren musikalischen Literatur trefflich bewandert war, in deren Schutze er auch Jahr, den treuen Gehilfen bei allen größeren Musikaufführungen, liebevoll einführte. So fand sich ungesucht eine Brücke zwischen den musi¬ kalischen Neigungen und dem gelehrten Zuge Jcchn's. Wie weit er auf dieser Brücke gelangte, mit welcher Meisterschaft er das Eine mit dem Anderen zu verweben verstand, wie diese Vereinigung gelehrter Geduld, wissenschaftlichen Scharfsinnes und künstlerischer Erfindung ihn befähigte, sich Aufgaben zu stellen und zu lösen, an welche kein Lebender sonst sich wagen durfte, sagt uns sein „Mozart." Wurden die Männer vom Fache erfreut durch die ebenso genauen wie richtigen Analysen der Einzelwerke des Meisters, waren sie überrascht, von Jahr in der klarsten Weise auseinandergesetzt und erklärt zu sehen^ was sie als Zunstgeheimniß zu behandeln, als unsagbar zu behaupten gewohnt waren, so fühlten sich wieder die Leser, die von den Interessen der allgemeinen Bildung geleitet, an das Buch herantraten, angezogen von dem 26 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/211>, abgerufen am 06.06.2024.