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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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frei genug/' -- Harte Schicksalsschläge trafen früh sein Haupt, die Ruhe des
Gemüths, eine ungetrübte Heiterkeit waren schon in frühen Jahren Gäste,
deren Einkehr er nicht mehr zu hoffen wagte. Bereits 1846, als er seine
"Archäologischen Beiträge" herausgab, klagt er seinem alten Lehrer Forch¬
hammer "über den Druck einer schweren und trüben Zeit, welchen selbst die
reinigende und stärkende Beschäftigung mit der Kunst nicht heben kann."
"Schwere Leiden", bekennt er in der Vorrede zum Mozart, "machten mir
Jahre lang alle Musik unmöglich." Die Berufung von Greifswald an die
Leipziger Universität schien viele Wolken zu zertheilen. Die Leipziger Zeit
war jedenfalls die hellste, die Jahr gegönnt war. "Eine mäßige Zahl von
Männern." so schildert er in Danzels Biographie dieselbe, "die sich zum Theil
schon früher nahe gestanden hatten, waren durch die gemeinsamen Interessen
und Erlebnisse des Jahres 1848 noch enger mit einander verbunden und sie
kamen damals in zwangloser Geselligkeit häufig zusammen. Während alle
die höchsten Interessen geistiger Bildung theilten und mit Ernst verfolgten,
gehörten sie ihren Beschäftigungen, Studien und Liebhabereien nach sehr ver¬
schiedenen Richtungen an und eben diese Mannigfaltigkeit gab dem Verkehr
den größten Reiz. Von den Buchhändlern K. Reimer, S. Hirzel, G. Wi-
gand machte Dr. H. Härtel den Uebergang zu dem ausschließlich gelehrten
Contingent von Haupt, Mommsen und mir. Namentlich für uns Gelehrte
war der Umgang mit Männern unschätzbar, welche bei rechter Bildung von
ihrer praktischen Stellung aus dem Leben ganz andere Gesichtspunkte ab¬
zugewinnen wußten und dem Verkehr reichen Inhalt gaben. Wie in den wich¬
tigsten und höchsten Angelegenheiten, so war diese Gesellschaft auch einig im
Behagen an Witz und Necken, und die Kunst, seinen Nächsten zu schrauben,
wurde mit eben so großer Meisterschaft geübt, als die, sich schrauben zu
lassen. Denn da Niemand geneckt wurde, dem es weh that und der sich
nicht wehren konnte, so bot sich jeder mit derselben Heiterkeit zum Opfer der
Unterhaltung dar, mit welcher er einen Andern dazu machte." Den Schrift-
gelehrten Neigungen entsprechend wurden die Scherze gern in literarische
Formen gekleidet. Der Hausnachbar wurde durch fingirte Meßkataloge über¬
rascht, durch Fragmente aus ungedruckten Familienchroniken ergötzt, ab¬
wesenden Freunden, wie dem "lieben Vetter in Wien", dem liebenswürdigen
Karajan, seltene alte Fastnachtspredigten als Angebinde gesendet, wer Grillen
fangen wollte, für den, der "Grillen" eingefangen, und ähnliche artige Scherze
mehr. Als leichtgeschürzter Journalist auszutreten, lockte Jahr die rege
Freundschaft mit dem Herausgeber der "Grenzboten" zu fröhlichen kritischen
Streifzügen, wo scharf gezielt und gut getroffen wurde, reizte das neu¬
begründete literarische Centralblatt.

In Leipzig erlebte Jahr das Jahr 1848. Er dachte darüber wie sein


frei genug/' — Harte Schicksalsschläge trafen früh sein Haupt, die Ruhe des
Gemüths, eine ungetrübte Heiterkeit waren schon in frühen Jahren Gäste,
deren Einkehr er nicht mehr zu hoffen wagte. Bereits 1846, als er seine
„Archäologischen Beiträge" herausgab, klagt er seinem alten Lehrer Forch¬
hammer „über den Druck einer schweren und trüben Zeit, welchen selbst die
reinigende und stärkende Beschäftigung mit der Kunst nicht heben kann."
„Schwere Leiden", bekennt er in der Vorrede zum Mozart, „machten mir
Jahre lang alle Musik unmöglich." Die Berufung von Greifswald an die
Leipziger Universität schien viele Wolken zu zertheilen. Die Leipziger Zeit
war jedenfalls die hellste, die Jahr gegönnt war. „Eine mäßige Zahl von
Männern." so schildert er in Danzels Biographie dieselbe, „die sich zum Theil
schon früher nahe gestanden hatten, waren durch die gemeinsamen Interessen
und Erlebnisse des Jahres 1848 noch enger mit einander verbunden und sie
kamen damals in zwangloser Geselligkeit häufig zusammen. Während alle
die höchsten Interessen geistiger Bildung theilten und mit Ernst verfolgten,
gehörten sie ihren Beschäftigungen, Studien und Liebhabereien nach sehr ver¬
schiedenen Richtungen an und eben diese Mannigfaltigkeit gab dem Verkehr
den größten Reiz. Von den Buchhändlern K. Reimer, S. Hirzel, G. Wi-
gand machte Dr. H. Härtel den Uebergang zu dem ausschließlich gelehrten
Contingent von Haupt, Mommsen und mir. Namentlich für uns Gelehrte
war der Umgang mit Männern unschätzbar, welche bei rechter Bildung von
ihrer praktischen Stellung aus dem Leben ganz andere Gesichtspunkte ab¬
zugewinnen wußten und dem Verkehr reichen Inhalt gaben. Wie in den wich¬
tigsten und höchsten Angelegenheiten, so war diese Gesellschaft auch einig im
Behagen an Witz und Necken, und die Kunst, seinen Nächsten zu schrauben,
wurde mit eben so großer Meisterschaft geübt, als die, sich schrauben zu
lassen. Denn da Niemand geneckt wurde, dem es weh that und der sich
nicht wehren konnte, so bot sich jeder mit derselben Heiterkeit zum Opfer der
Unterhaltung dar, mit welcher er einen Andern dazu machte." Den Schrift-
gelehrten Neigungen entsprechend wurden die Scherze gern in literarische
Formen gekleidet. Der Hausnachbar wurde durch fingirte Meßkataloge über¬
rascht, durch Fragmente aus ungedruckten Familienchroniken ergötzt, ab¬
wesenden Freunden, wie dem „lieben Vetter in Wien", dem liebenswürdigen
Karajan, seltene alte Fastnachtspredigten als Angebinde gesendet, wer Grillen
fangen wollte, für den, der „Grillen" eingefangen, und ähnliche artige Scherze
mehr. Als leichtgeschürzter Journalist auszutreten, lockte Jahr die rege
Freundschaft mit dem Herausgeber der „Grenzboten" zu fröhlichen kritischen
Streifzügen, wo scharf gezielt und gut getroffen wurde, reizte das neu¬
begründete literarische Centralblatt.

In Leipzig erlebte Jahr das Jahr 1848. Er dachte darüber wie sein


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[0220] frei genug/' — Harte Schicksalsschläge trafen früh sein Haupt, die Ruhe des Gemüths, eine ungetrübte Heiterkeit waren schon in frühen Jahren Gäste, deren Einkehr er nicht mehr zu hoffen wagte. Bereits 1846, als er seine „Archäologischen Beiträge" herausgab, klagt er seinem alten Lehrer Forch¬ hammer „über den Druck einer schweren und trüben Zeit, welchen selbst die reinigende und stärkende Beschäftigung mit der Kunst nicht heben kann." „Schwere Leiden", bekennt er in der Vorrede zum Mozart, „machten mir Jahre lang alle Musik unmöglich." Die Berufung von Greifswald an die Leipziger Universität schien viele Wolken zu zertheilen. Die Leipziger Zeit war jedenfalls die hellste, die Jahr gegönnt war. „Eine mäßige Zahl von Männern." so schildert er in Danzels Biographie dieselbe, „die sich zum Theil schon früher nahe gestanden hatten, waren durch die gemeinsamen Interessen und Erlebnisse des Jahres 1848 noch enger mit einander verbunden und sie kamen damals in zwangloser Geselligkeit häufig zusammen. Während alle die höchsten Interessen geistiger Bildung theilten und mit Ernst verfolgten, gehörten sie ihren Beschäftigungen, Studien und Liebhabereien nach sehr ver¬ schiedenen Richtungen an und eben diese Mannigfaltigkeit gab dem Verkehr den größten Reiz. Von den Buchhändlern K. Reimer, S. Hirzel, G. Wi- gand machte Dr. H. Härtel den Uebergang zu dem ausschließlich gelehrten Contingent von Haupt, Mommsen und mir. Namentlich für uns Gelehrte war der Umgang mit Männern unschätzbar, welche bei rechter Bildung von ihrer praktischen Stellung aus dem Leben ganz andere Gesichtspunkte ab¬ zugewinnen wußten und dem Verkehr reichen Inhalt gaben. Wie in den wich¬ tigsten und höchsten Angelegenheiten, so war diese Gesellschaft auch einig im Behagen an Witz und Necken, und die Kunst, seinen Nächsten zu schrauben, wurde mit eben so großer Meisterschaft geübt, als die, sich schrauben zu lassen. Denn da Niemand geneckt wurde, dem es weh that und der sich nicht wehren konnte, so bot sich jeder mit derselben Heiterkeit zum Opfer der Unterhaltung dar, mit welcher er einen Andern dazu machte." Den Schrift- gelehrten Neigungen entsprechend wurden die Scherze gern in literarische Formen gekleidet. Der Hausnachbar wurde durch fingirte Meßkataloge über¬ rascht, durch Fragmente aus ungedruckten Familienchroniken ergötzt, ab¬ wesenden Freunden, wie dem „lieben Vetter in Wien", dem liebenswürdigen Karajan, seltene alte Fastnachtspredigten als Angebinde gesendet, wer Grillen fangen wollte, für den, der „Grillen" eingefangen, und ähnliche artige Scherze mehr. Als leichtgeschürzter Journalist auszutreten, lockte Jahr die rege Freundschaft mit dem Herausgeber der „Grenzboten" zu fröhlichen kritischen Streifzügen, wo scharf gezielt und gut getroffen wurde, reizte das neu¬ begründete literarische Centralblatt. In Leipzig erlebte Jahr das Jahr 1848. Er dachte darüber wie sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/220>, abgerufen am 13.05.2024.