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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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andere Weise bereits überholt hätten, sondern weit mehr ist dies der Grund,
daß die Reformation Martin Luthers wesentlich eine That des deutschen
Geistes gewesen ist. die nur in Ländern vorherrschend deutschen Blutes außer¬
halb des Vaterlandes sich Eingang verschafft hat, eine That fast mehr von
nationalem als von theologischen Charakter. Und so müßte uns auch eine
Lebensbeschreibung den Mann nicht blos schildern als Gegner des Abla߬
handels und als Urheber der Lehre vom knechtischen Willen, sondern sie
müßte zeigen, wie sein Leben eine Verkörperung war von deutscher Art und
Sitte, das seiner Zeit angehörte und ihr seinen Tribut bezahlte, aber in wel¬
chem wir die unverlierbaren Züge unseres Volksthums wiederfinden, dessen
ganze Wiedergeburt und Zukunft auf sein Werk gegründet ist.

An dasjenige Luther's gehalten, ist das Leben Zwingli's einfach zu
nennen, beschränkter im Schauplatz und in unmittelbarer Wirksamkeit, und
leichter läßt es sich ablösen von dem größeren geschichtlichen Zusammenhang.
stetig reift es heran, ohne jene gewaltigen inneren Krisen wie ohne jene
dramatischen Scenen auf der öffentlichen Bühne, welche schon dem Kind un¬
vergeßlich bleiben, wenn es den Namen Luther gehört hat. Klug und ent¬
schlossen zugleich thut Zwingli seine Schritte, inmitten eines Gemeinwesens,
das ihn trägt und dessen Leitung ihm wie von selbst zufällt. Festgewurzelt
in diesem Mittelpunkt greift sein Werk weiter um sich in Stadt und Land,
es zielt auf die Erneuerung seines ganzen Volksstamms, und wenn nicht
vollendet, so steht es doch sestgegründet und unzerstörbar da, als ein helden-
müthiger Tod ihn auf die Wahlstatt streckt. So hat Mörikofer. der ver¬
diente Geschichtschreiber der schweizerischen Literatur im vorigen Jahrhundert,
das Leben Ulrich Zwingli's beschrieben, einfach, anspruchslos, mit gelehrtem
Fleiß und doch für's Volk bestimmt. Die äußeren Lebensschicksale wie der
innere Bildungsgang, Anfang und Fortgang der resormatonschen Thätig¬
keit, Ausbreitung wie Hemmnisse der neuen Lehre bis zum bewaffneten Con¬
flict und zur Schlußkatastrophe, das Alles ist mit ruhigem, sicherem Griffel
erzählt, meist in chronologischer Ordnung. Abschweifungen sind mit Recht
vermieden. Man wird weder mit Ausführungen über den Zustand der
Kirche im Allgemeinen, noch mit solchen über die politische Weltlage behelligt;
auch die theologischen Abschnitte sind kurz und sachgemäß behandelt. Der
erste Band schließt mit einer allgemeinen Charakteristik von Zwingli's Per¬
sönlichkeit und Wirken, die am Schluß des ganzen Werks wieder aufgenom¬
men und noch genauer durchgearbeitet ist.

Mit Recht gilt Zwingli nicht blos als der Urheber der schweizerischen
Kirchenversammlung, sondern auch als politischer Reformator seines Landes.
Und zwar ist er dies nicht blos insofern, als mit der Reformation auch die
bürgerlichen Verhältnisse der Schweiz einen Umschwung erlitten und die


andere Weise bereits überholt hätten, sondern weit mehr ist dies der Grund,
daß die Reformation Martin Luthers wesentlich eine That des deutschen
Geistes gewesen ist. die nur in Ländern vorherrschend deutschen Blutes außer¬
halb des Vaterlandes sich Eingang verschafft hat, eine That fast mehr von
nationalem als von theologischen Charakter. Und so müßte uns auch eine
Lebensbeschreibung den Mann nicht blos schildern als Gegner des Abla߬
handels und als Urheber der Lehre vom knechtischen Willen, sondern sie
müßte zeigen, wie sein Leben eine Verkörperung war von deutscher Art und
Sitte, das seiner Zeit angehörte und ihr seinen Tribut bezahlte, aber in wel¬
chem wir die unverlierbaren Züge unseres Volksthums wiederfinden, dessen
ganze Wiedergeburt und Zukunft auf sein Werk gegründet ist.

An dasjenige Luther's gehalten, ist das Leben Zwingli's einfach zu
nennen, beschränkter im Schauplatz und in unmittelbarer Wirksamkeit, und
leichter läßt es sich ablösen von dem größeren geschichtlichen Zusammenhang.
stetig reift es heran, ohne jene gewaltigen inneren Krisen wie ohne jene
dramatischen Scenen auf der öffentlichen Bühne, welche schon dem Kind un¬
vergeßlich bleiben, wenn es den Namen Luther gehört hat. Klug und ent¬
schlossen zugleich thut Zwingli seine Schritte, inmitten eines Gemeinwesens,
das ihn trägt und dessen Leitung ihm wie von selbst zufällt. Festgewurzelt
in diesem Mittelpunkt greift sein Werk weiter um sich in Stadt und Land,
es zielt auf die Erneuerung seines ganzen Volksstamms, und wenn nicht
vollendet, so steht es doch sestgegründet und unzerstörbar da, als ein helden-
müthiger Tod ihn auf die Wahlstatt streckt. So hat Mörikofer. der ver¬
diente Geschichtschreiber der schweizerischen Literatur im vorigen Jahrhundert,
das Leben Ulrich Zwingli's beschrieben, einfach, anspruchslos, mit gelehrtem
Fleiß und doch für's Volk bestimmt. Die äußeren Lebensschicksale wie der
innere Bildungsgang, Anfang und Fortgang der resormatonschen Thätig¬
keit, Ausbreitung wie Hemmnisse der neuen Lehre bis zum bewaffneten Con¬
flict und zur Schlußkatastrophe, das Alles ist mit ruhigem, sicherem Griffel
erzählt, meist in chronologischer Ordnung. Abschweifungen sind mit Recht
vermieden. Man wird weder mit Ausführungen über den Zustand der
Kirche im Allgemeinen, noch mit solchen über die politische Weltlage behelligt;
auch die theologischen Abschnitte sind kurz und sachgemäß behandelt. Der
erste Band schließt mit einer allgemeinen Charakteristik von Zwingli's Per¬
sönlichkeit und Wirken, die am Schluß des ganzen Werks wieder aufgenom¬
men und noch genauer durchgearbeitet ist.

Mit Recht gilt Zwingli nicht blos als der Urheber der schweizerischen
Kirchenversammlung, sondern auch als politischer Reformator seines Landes.
Und zwar ist er dies nicht blos insofern, als mit der Reformation auch die
bürgerlichen Verhältnisse der Schweiz einen Umschwung erlitten und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/253>, abgerufen am 26.05.2024.