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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Durcheinander der Meinungen und Urtheile, so daß die merkwürdigsten
Mißverständnisse Umlauf gewannen, z. B. dieses, daß die Leipziger Damen
es eigentlich gewesen wären, welche die Wahl des Lette-Vereins verletzt und
abgestoßen hätte. Diesen Irrthum klärte das Schlußwort von Frl. Auguste
Schmidt wohl für Jedermann befriedigend auf.

Nachdem der kleine Sturm übrigens ausgetobt hatte, lachte über den
Fortgang der Verhandlungen ein desto wolkenloserer Himmel. Man hörte
mit wahrer Andacht Schulze-Delitzsch zu, der in seiner eindringlichen Art die
Bedingungen des Gründers und Gedeihens von Erwerbsgenossenschaften der
Frauen entwickelte. War in diesem Fall die ansteckende und fortreißende
Wärme des berühmten Redners am Platze, um in eine noch nirgends that¬
sächlich eingeschlagene, ffaum erblickte neue Bahn zu weisen, so nicht minder
gut bei dem schon weit bekannteren und populäreren Betrieb systematischer
Krankenpflege Prof. Virchow's ruhige, fast kalte Kritik. Es war allerdings
gut, daß Prediger Müller (vom Unions- und Protestanten-Verein) nach-
gehends Virchow's Idealismus betonte; sonst hätten viele der ZuHörerinnen
ihn für rein skeptisch und negativ halten können. In dem Vortrage selbst
lag aber nichts, was solche Merkennung hätte begründen können. Prof.
Virchow hatte sich augenscheinlich mit Erfolg bemüht, einen Weg aufzufinden,
wie wir allmälig zu Krankenpflegerinnen von Beruf gelangen können, die
weder barmherzige Schwestern noch Diakonissinnen sind. Der Alice-Verein in
Darmstadt und der badische Frauenverein für Krankenpflege lieferten zu
seiner Theorie auf der Stelle die Bestätigung.

Die Großherzogin Luise, welche den letzteren, die Prinzessin Ludwig
von Hessen, welche den ersteren Verein in's Leben gerufen hat, sind neben
der Kronprinzessin von Preußen mit mehr als gewöhnlicher Wahrheit die
Protectorinnen der heutigen deutschen Frauen-Bewegung zu nennen. Ihrer
im Verein mit der Kronprinzessin, die von Cannes hier die Versammelten
ihres Antheils versichern ließ, gedachte beim Festmahl Prof. v. Holtzendorff
in einem schönen ersten Trinkspruch. Er bezeichnete darin solches Thun als
würdig fürstlicher Frauen in unsern Tagen, wo selbst die Monarchie ihren
Werth durch Handeln und Sein beweisen muß, wenn sie sich dauernd be¬
haupten will, und als glücklich abstechend gegen jene andere hergebrachte
Haltung, wo das regierende Geschlecht nur einen stellensuchenden Adel, ein
kriechendes nach unten herrschsüchriges Pfaffenthum, und den nach Almosen
begierigen Theil der übrigen Gesellschaft um sich sammelt. Aufrichtige, ernste
Theilnahme an zeitgenössischen humanen Bestrebungen ist der beste Gebrauch,
den Fürsten und Fürstinnen von den Vorzügen ihres socialen und ökonomi¬
schen Standpunkts machen können. Diese, nicht bloße äußere Hulderweisun¬
gen, ehrten auch die anwesenden Republikaner (Hanseaten, Schweizer und


Durcheinander der Meinungen und Urtheile, so daß die merkwürdigsten
Mißverständnisse Umlauf gewannen, z. B. dieses, daß die Leipziger Damen
es eigentlich gewesen wären, welche die Wahl des Lette-Vereins verletzt und
abgestoßen hätte. Diesen Irrthum klärte das Schlußwort von Frl. Auguste
Schmidt wohl für Jedermann befriedigend auf.

Nachdem der kleine Sturm übrigens ausgetobt hatte, lachte über den
Fortgang der Verhandlungen ein desto wolkenloserer Himmel. Man hörte
mit wahrer Andacht Schulze-Delitzsch zu, der in seiner eindringlichen Art die
Bedingungen des Gründers und Gedeihens von Erwerbsgenossenschaften der
Frauen entwickelte. War in diesem Fall die ansteckende und fortreißende
Wärme des berühmten Redners am Platze, um in eine noch nirgends that¬
sächlich eingeschlagene, ffaum erblickte neue Bahn zu weisen, so nicht minder
gut bei dem schon weit bekannteren und populäreren Betrieb systematischer
Krankenpflege Prof. Virchow's ruhige, fast kalte Kritik. Es war allerdings
gut, daß Prediger Müller (vom Unions- und Protestanten-Verein) nach-
gehends Virchow's Idealismus betonte; sonst hätten viele der ZuHörerinnen
ihn für rein skeptisch und negativ halten können. In dem Vortrage selbst
lag aber nichts, was solche Merkennung hätte begründen können. Prof.
Virchow hatte sich augenscheinlich mit Erfolg bemüht, einen Weg aufzufinden,
wie wir allmälig zu Krankenpflegerinnen von Beruf gelangen können, die
weder barmherzige Schwestern noch Diakonissinnen sind. Der Alice-Verein in
Darmstadt und der badische Frauenverein für Krankenpflege lieferten zu
seiner Theorie auf der Stelle die Bestätigung.

Die Großherzogin Luise, welche den letzteren, die Prinzessin Ludwig
von Hessen, welche den ersteren Verein in's Leben gerufen hat, sind neben
der Kronprinzessin von Preußen mit mehr als gewöhnlicher Wahrheit die
Protectorinnen der heutigen deutschen Frauen-Bewegung zu nennen. Ihrer
im Verein mit der Kronprinzessin, die von Cannes hier die Versammelten
ihres Antheils versichern ließ, gedachte beim Festmahl Prof. v. Holtzendorff
in einem schönen ersten Trinkspruch. Er bezeichnete darin solches Thun als
würdig fürstlicher Frauen in unsern Tagen, wo selbst die Monarchie ihren
Werth durch Handeln und Sein beweisen muß, wenn sie sich dauernd be¬
haupten will, und als glücklich abstechend gegen jene andere hergebrachte
Haltung, wo das regierende Geschlecht nur einen stellensuchenden Adel, ein
kriechendes nach unten herrschsüchriges Pfaffenthum, und den nach Almosen
begierigen Theil der übrigen Gesellschaft um sich sammelt. Aufrichtige, ernste
Theilnahme an zeitgenössischen humanen Bestrebungen ist der beste Gebrauch,
den Fürsten und Fürstinnen von den Vorzügen ihres socialen und ökonomi¬
schen Standpunkts machen können. Diese, nicht bloße äußere Hulderweisun¬
gen, ehrten auch die anwesenden Republikaner (Hanseaten, Schweizer und


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[0292] Durcheinander der Meinungen und Urtheile, so daß die merkwürdigsten Mißverständnisse Umlauf gewannen, z. B. dieses, daß die Leipziger Damen es eigentlich gewesen wären, welche die Wahl des Lette-Vereins verletzt und abgestoßen hätte. Diesen Irrthum klärte das Schlußwort von Frl. Auguste Schmidt wohl für Jedermann befriedigend auf. Nachdem der kleine Sturm übrigens ausgetobt hatte, lachte über den Fortgang der Verhandlungen ein desto wolkenloserer Himmel. Man hörte mit wahrer Andacht Schulze-Delitzsch zu, der in seiner eindringlichen Art die Bedingungen des Gründers und Gedeihens von Erwerbsgenossenschaften der Frauen entwickelte. War in diesem Fall die ansteckende und fortreißende Wärme des berühmten Redners am Platze, um in eine noch nirgends that¬ sächlich eingeschlagene, ffaum erblickte neue Bahn zu weisen, so nicht minder gut bei dem schon weit bekannteren und populäreren Betrieb systematischer Krankenpflege Prof. Virchow's ruhige, fast kalte Kritik. Es war allerdings gut, daß Prediger Müller (vom Unions- und Protestanten-Verein) nach- gehends Virchow's Idealismus betonte; sonst hätten viele der ZuHörerinnen ihn für rein skeptisch und negativ halten können. In dem Vortrage selbst lag aber nichts, was solche Merkennung hätte begründen können. Prof. Virchow hatte sich augenscheinlich mit Erfolg bemüht, einen Weg aufzufinden, wie wir allmälig zu Krankenpflegerinnen von Beruf gelangen können, die weder barmherzige Schwestern noch Diakonissinnen sind. Der Alice-Verein in Darmstadt und der badische Frauenverein für Krankenpflege lieferten zu seiner Theorie auf der Stelle die Bestätigung. Die Großherzogin Luise, welche den letzteren, die Prinzessin Ludwig von Hessen, welche den ersteren Verein in's Leben gerufen hat, sind neben der Kronprinzessin von Preußen mit mehr als gewöhnlicher Wahrheit die Protectorinnen der heutigen deutschen Frauen-Bewegung zu nennen. Ihrer im Verein mit der Kronprinzessin, die von Cannes hier die Versammelten ihres Antheils versichern ließ, gedachte beim Festmahl Prof. v. Holtzendorff in einem schönen ersten Trinkspruch. Er bezeichnete darin solches Thun als würdig fürstlicher Frauen in unsern Tagen, wo selbst die Monarchie ihren Werth durch Handeln und Sein beweisen muß, wenn sie sich dauernd be¬ haupten will, und als glücklich abstechend gegen jene andere hergebrachte Haltung, wo das regierende Geschlecht nur einen stellensuchenden Adel, ein kriechendes nach unten herrschsüchriges Pfaffenthum, und den nach Almosen begierigen Theil der übrigen Gesellschaft um sich sammelt. Aufrichtige, ernste Theilnahme an zeitgenössischen humanen Bestrebungen ist der beste Gebrauch, den Fürsten und Fürstinnen von den Vorzügen ihres socialen und ökonomi¬ schen Standpunkts machen können. Diese, nicht bloße äußere Hulderweisun¬ gen, ehrten auch die anwesenden Republikaner (Hanseaten, Schweizer und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/292>, abgerufen am 13.05.2024.