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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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nach Übertragung der fremden Gewächse auf den heimathlichen Boden.
Man kann seit den sechsziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zwei De-
cennien hindurch die Literatur unserer Uebersetzungen aus dem Englischen --
an welchen besonders Hamburger und Braunschweiger, die Bode, Ebert,
Eschenburg, betheiligt waren -- Schritt für Schritt verfolgen; kaum ein
paar Jahre vergehen über dem Erscheinen eines Epoche machenden englischen
Werkes, ohne daß nicht eine deutsche Uebersetzung davon erscheint. Wer auf
literarische Bildung Anspruch erhebt, kennt wenigstens die Hauptglieder in
der bald gröberen, bald feineren Kette von Caspar Wilhelm v. Borel,
dem ersten Bearbeiter des Julius Cäsar von Shakespeare (1741), bis auf
Friedrich von Bodenstedt und dessen Gesellen. Unsere eigene Sprache
und Poesie hat, wie allbekannt und anerkannt, dieser bis aus den heutigen
Tag emsig gepflegten Verpflanzung englischer Producte auf deutsches Gebiet
manche der edelsten Früchte zu danken.

Erst ein Menschenalter später begann die rückläufige Strömung: das Be¬
kanntwerden und bald auch die Versuche von Uebersetzungen deutscher Dichter¬
werke in England. In einer Abhandlung "über die alten Balladen" hebt
Walter Scott als den Anfang dieser philogermanischen Bewegung den
21. April 1788 hervor, an welchem Tage Henry Mackenzie, Verfasser
des ok 1'oeUug'", in der königlichen' Gesellschaft zu Edinburg eine Vor¬

lesung hielt über die Bedeutung der deutschen dramatischen Dichtung. Und
doch gilt dieses Datum, wenn solche Dinge sich überhaupt nach Jahreszahlen
und Tagesangaben feststellen lassen, mehr für Schottland und Scott's per--
sömliche Umgebung als für Großbritannien überhaupt. Denn in England
waren -bereits geraume Zeit früher Uebersetzungen von E. Eh. v. Kleist
(17SS), Sal. Geßner (1762). Klopstock (176ö), Zimmermann (1771),
Wieland (1773). Gellert (1776), Goethe (1779). Lessing (1780) u.a.
erschienen, ohne indeß, wie man natürlich finden wird, ein allgemeineres Auf¬
sehen zu erregen. Das wunderliche, barbarische, fast vergessene Stammland
war bei den Engländern zu sehr in Mißachtung gerathen, als daß man sich
von ihm irgend etwas Guten versah. Ohnehin waren diese Proben sehr
mangelhaft oder stammten gar aus zweiter Hand, indem sie französischen
Versionen entlehnt waren. Erst seit Mackenzie, der freilich auch nur aus
französischen Quellen schöpfte, ward jenes bisher vereinzelte Aufhorchen zu
einem allgemeinen Interesse. Durch ihn angeregt sammelte sich im I. 1792
um den damals 21jährigen Advocaten Walter Scott ein Verein von "(Z^rin-in
Ltucleuts" , die aus der neuentdeckten Quelle Labung und Begeisterung
schöpften, so wenig auch ihr deutscher Lehrer, ein Dr. mea. Willich, bei ihnen



") Elzc, (Walter Scott. S. 130 f.) nennt unter den Freunden Scott's als Theilnehmer
an diesen deutschen Studien: Will. Erst'me, Will. Clerk und Th. Thomson.

nach Übertragung der fremden Gewächse auf den heimathlichen Boden.
Man kann seit den sechsziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zwei De-
cennien hindurch die Literatur unserer Uebersetzungen aus dem Englischen —
an welchen besonders Hamburger und Braunschweiger, die Bode, Ebert,
Eschenburg, betheiligt waren — Schritt für Schritt verfolgen; kaum ein
paar Jahre vergehen über dem Erscheinen eines Epoche machenden englischen
Werkes, ohne daß nicht eine deutsche Uebersetzung davon erscheint. Wer auf
literarische Bildung Anspruch erhebt, kennt wenigstens die Hauptglieder in
der bald gröberen, bald feineren Kette von Caspar Wilhelm v. Borel,
dem ersten Bearbeiter des Julius Cäsar von Shakespeare (1741), bis auf
Friedrich von Bodenstedt und dessen Gesellen. Unsere eigene Sprache
und Poesie hat, wie allbekannt und anerkannt, dieser bis aus den heutigen
Tag emsig gepflegten Verpflanzung englischer Producte auf deutsches Gebiet
manche der edelsten Früchte zu danken.

Erst ein Menschenalter später begann die rückläufige Strömung: das Be¬
kanntwerden und bald auch die Versuche von Uebersetzungen deutscher Dichter¬
werke in England. In einer Abhandlung „über die alten Balladen" hebt
Walter Scott als den Anfang dieser philogermanischen Bewegung den
21. April 1788 hervor, an welchem Tage Henry Mackenzie, Verfasser
des ok 1'oeUug'", in der königlichen' Gesellschaft zu Edinburg eine Vor¬

lesung hielt über die Bedeutung der deutschen dramatischen Dichtung. Und
doch gilt dieses Datum, wenn solche Dinge sich überhaupt nach Jahreszahlen
und Tagesangaben feststellen lassen, mehr für Schottland und Scott's per--
sömliche Umgebung als für Großbritannien überhaupt. Denn in England
waren -bereits geraume Zeit früher Uebersetzungen von E. Eh. v. Kleist
(17SS), Sal. Geßner (1762). Klopstock (176ö), Zimmermann (1771),
Wieland (1773). Gellert (1776), Goethe (1779). Lessing (1780) u.a.
erschienen, ohne indeß, wie man natürlich finden wird, ein allgemeineres Auf¬
sehen zu erregen. Das wunderliche, barbarische, fast vergessene Stammland
war bei den Engländern zu sehr in Mißachtung gerathen, als daß man sich
von ihm irgend etwas Guten versah. Ohnehin waren diese Proben sehr
mangelhaft oder stammten gar aus zweiter Hand, indem sie französischen
Versionen entlehnt waren. Erst seit Mackenzie, der freilich auch nur aus
französischen Quellen schöpfte, ward jenes bisher vereinzelte Aufhorchen zu
einem allgemeinen Interesse. Durch ihn angeregt sammelte sich im I. 1792
um den damals 21jährigen Advocaten Walter Scott ein Verein von „(Z^rin-in
Ltucleuts" , die aus der neuentdeckten Quelle Labung und Begeisterung
schöpften, so wenig auch ihr deutscher Lehrer, ein Dr. mea. Willich, bei ihnen



") Elzc, (Walter Scott. S. 130 f.) nennt unter den Freunden Scott's als Theilnehmer
an diesen deutschen Studien: Will. Erst'me, Will. Clerk und Th. Thomson.
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[0294] nach Übertragung der fremden Gewächse auf den heimathlichen Boden. Man kann seit den sechsziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zwei De- cennien hindurch die Literatur unserer Uebersetzungen aus dem Englischen — an welchen besonders Hamburger und Braunschweiger, die Bode, Ebert, Eschenburg, betheiligt waren — Schritt für Schritt verfolgen; kaum ein paar Jahre vergehen über dem Erscheinen eines Epoche machenden englischen Werkes, ohne daß nicht eine deutsche Uebersetzung davon erscheint. Wer auf literarische Bildung Anspruch erhebt, kennt wenigstens die Hauptglieder in der bald gröberen, bald feineren Kette von Caspar Wilhelm v. Borel, dem ersten Bearbeiter des Julius Cäsar von Shakespeare (1741), bis auf Friedrich von Bodenstedt und dessen Gesellen. Unsere eigene Sprache und Poesie hat, wie allbekannt und anerkannt, dieser bis aus den heutigen Tag emsig gepflegten Verpflanzung englischer Producte auf deutsches Gebiet manche der edelsten Früchte zu danken. Erst ein Menschenalter später begann die rückläufige Strömung: das Be¬ kanntwerden und bald auch die Versuche von Uebersetzungen deutscher Dichter¬ werke in England. In einer Abhandlung „über die alten Balladen" hebt Walter Scott als den Anfang dieser philogermanischen Bewegung den 21. April 1788 hervor, an welchem Tage Henry Mackenzie, Verfasser des ok 1'oeUug'", in der königlichen' Gesellschaft zu Edinburg eine Vor¬ lesung hielt über die Bedeutung der deutschen dramatischen Dichtung. Und doch gilt dieses Datum, wenn solche Dinge sich überhaupt nach Jahreszahlen und Tagesangaben feststellen lassen, mehr für Schottland und Scott's per-- sömliche Umgebung als für Großbritannien überhaupt. Denn in England waren -bereits geraume Zeit früher Uebersetzungen von E. Eh. v. Kleist (17SS), Sal. Geßner (1762). Klopstock (176ö), Zimmermann (1771), Wieland (1773). Gellert (1776), Goethe (1779). Lessing (1780) u.a. erschienen, ohne indeß, wie man natürlich finden wird, ein allgemeineres Auf¬ sehen zu erregen. Das wunderliche, barbarische, fast vergessene Stammland war bei den Engländern zu sehr in Mißachtung gerathen, als daß man sich von ihm irgend etwas Guten versah. Ohnehin waren diese Proben sehr mangelhaft oder stammten gar aus zweiter Hand, indem sie französischen Versionen entlehnt waren. Erst seit Mackenzie, der freilich auch nur aus französischen Quellen schöpfte, ward jenes bisher vereinzelte Aufhorchen zu einem allgemeinen Interesse. Durch ihn angeregt sammelte sich im I. 1792 um den damals 21jährigen Advocaten Walter Scott ein Verein von „(Z^rin-in Ltucleuts" , die aus der neuentdeckten Quelle Labung und Begeisterung schöpften, so wenig auch ihr deutscher Lehrer, ein Dr. mea. Willich, bei ihnen ") Elzc, (Walter Scott. S. 130 f.) nennt unter den Freunden Scott's als Theilnehmer an diesen deutschen Studien: Will. Erst'me, Will. Clerk und Th. Thomson.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/294>, abgerufen am 13.05.2024.