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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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die weitergehenden Befugnisse der Bischöfe in Kraft. Im Uebrigen bemerken
sie, daß jene Bestimmung der bisherigen Praxis entspreche und ihre innere
Berechtigung in dem Beruf der theologischen-Facultäten "zur wissenschaft¬
lichen Ausbildung der künftigen Diener der Kirche" zu suchen sei.

Wir wissen nicht, wie weit in Wirklichkeit eine ausdrückliche Befragung
der kirchlichen Behörden, die hier zum Gesetz erhoben wird, bisher auch bet
den evangelischen Facultäten stattgefunden und als Regel' bestanden hat.
Daß seit der Zeit des Raumer'schen Ministeriums die Lehrstühle ausschlie߬
lich mit orthodoxen Theologen besetzt und nach Möglichkeit alle Bekenner
einer freieren theologischen Richtung zurückgedrängt sind, ist leider eine offen¬
kundige Thatsache. Daß überhaupt das Meiste von dem, was in den vor¬
liegenden Entwurf aufgenommen ist, "der bisherigen Praxis" entspricht,
dürfte kaum einem Zweifel unterliegen. Diese Thatsache allein aber reicht
schon hin, um das Gesammturtheil über den Werth und den Charakter
des Entwurfs, soweit er den kirchlichen Verhältnissen Rechnung trägt, zu be¬
stimmen. Derselbe stellt sich eben lediglich als ein Versuch dar, den¬
jenigen Maximen, welche bisher von der Verwaltung gehandhabt worden
sind, die gesetzliche Sanction zu ertheilen. Gneist hat in evidenter Weise ge¬
zeigt, daß diese pseudvrechtliche Verwaltungspraxis im Widerspruch steht mit
dem Landrecht, daß sie jeder gesetzlichen Basis entbehrt. Der Entwurf will
die fehlenden rechtlichen Grundlagen schaffen, er gibt sich die Miene, dabei
die Principien der Verfassung zur Ausführung zu bringen und er muthet
der Landesvertretung zu, ihm bei diesem Werke behilflich zu sein.

Es ist glücklicherweise nicht zu fürchten, daß die verlangte Mitwirkung
gewährt wird. Die Majorität der Kammer hat die Macht und den Willen,
uns vor einer Gesetzgebung zu schützen, die auf religiösem Gebiete uns ähn¬
liche Bundesgenossen zuführen würde, wie auf politischem der Particularis-
mus des Herrn von Lippe. Ihre Aufgabe kann nur darin bestehen, dem
von der Regierung vorgelegten Entwurf einen anderen gegenüber zu stellen
und einer hoffentlich nicht fernen Zukunft tüchtige und brauchbare Bausteine
zu liefern. Inzwischen wird man nicht anstehen, einen bedeutungsvollen Zu¬
fall darin zu erkennen, daß Herr von Muster eine Codification der konfessio¬
nellen Grundsätze auf dem Boden des preußischen Schulwesens in dem Augen¬
blicke unternimmt, in dem der Ultramontanismus seine letzten Kräfte zu¬
sammenrafft, um die Macht des Lichtes und der Wissenschaft, um die
Grundlagen des modernen Culturlebens zu vernichten.




die weitergehenden Befugnisse der Bischöfe in Kraft. Im Uebrigen bemerken
sie, daß jene Bestimmung der bisherigen Praxis entspreche und ihre innere
Berechtigung in dem Beruf der theologischen-Facultäten „zur wissenschaft¬
lichen Ausbildung der künftigen Diener der Kirche" zu suchen sei.

Wir wissen nicht, wie weit in Wirklichkeit eine ausdrückliche Befragung
der kirchlichen Behörden, die hier zum Gesetz erhoben wird, bisher auch bet
den evangelischen Facultäten stattgefunden und als Regel' bestanden hat.
Daß seit der Zeit des Raumer'schen Ministeriums die Lehrstühle ausschlie߬
lich mit orthodoxen Theologen besetzt und nach Möglichkeit alle Bekenner
einer freieren theologischen Richtung zurückgedrängt sind, ist leider eine offen¬
kundige Thatsache. Daß überhaupt das Meiste von dem, was in den vor¬
liegenden Entwurf aufgenommen ist, „der bisherigen Praxis" entspricht,
dürfte kaum einem Zweifel unterliegen. Diese Thatsache allein aber reicht
schon hin, um das Gesammturtheil über den Werth und den Charakter
des Entwurfs, soweit er den kirchlichen Verhältnissen Rechnung trägt, zu be¬
stimmen. Derselbe stellt sich eben lediglich als ein Versuch dar, den¬
jenigen Maximen, welche bisher von der Verwaltung gehandhabt worden
sind, die gesetzliche Sanction zu ertheilen. Gneist hat in evidenter Weise ge¬
zeigt, daß diese pseudvrechtliche Verwaltungspraxis im Widerspruch steht mit
dem Landrecht, daß sie jeder gesetzlichen Basis entbehrt. Der Entwurf will
die fehlenden rechtlichen Grundlagen schaffen, er gibt sich die Miene, dabei
die Principien der Verfassung zur Ausführung zu bringen und er muthet
der Landesvertretung zu, ihm bei diesem Werke behilflich zu sein.

Es ist glücklicherweise nicht zu fürchten, daß die verlangte Mitwirkung
gewährt wird. Die Majorität der Kammer hat die Macht und den Willen,
uns vor einer Gesetzgebung zu schützen, die auf religiösem Gebiete uns ähn¬
liche Bundesgenossen zuführen würde, wie auf politischem der Particularis-
mus des Herrn von Lippe. Ihre Aufgabe kann nur darin bestehen, dem
von der Regierung vorgelegten Entwurf einen anderen gegenüber zu stellen
und einer hoffentlich nicht fernen Zukunft tüchtige und brauchbare Bausteine
zu liefern. Inzwischen wird man nicht anstehen, einen bedeutungsvollen Zu¬
fall darin zu erkennen, daß Herr von Muster eine Codification der konfessio¬
nellen Grundsätze auf dem Boden des preußischen Schulwesens in dem Augen¬
blicke unternimmt, in dem der Ultramontanismus seine letzten Kräfte zu¬
sammenrafft, um die Macht des Lichtes und der Wissenschaft, um die
Grundlagen des modernen Culturlebens zu vernichten.




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[0364] die weitergehenden Befugnisse der Bischöfe in Kraft. Im Uebrigen bemerken sie, daß jene Bestimmung der bisherigen Praxis entspreche und ihre innere Berechtigung in dem Beruf der theologischen-Facultäten „zur wissenschaft¬ lichen Ausbildung der künftigen Diener der Kirche" zu suchen sei. Wir wissen nicht, wie weit in Wirklichkeit eine ausdrückliche Befragung der kirchlichen Behörden, die hier zum Gesetz erhoben wird, bisher auch bet den evangelischen Facultäten stattgefunden und als Regel' bestanden hat. Daß seit der Zeit des Raumer'schen Ministeriums die Lehrstühle ausschlie߬ lich mit orthodoxen Theologen besetzt und nach Möglichkeit alle Bekenner einer freieren theologischen Richtung zurückgedrängt sind, ist leider eine offen¬ kundige Thatsache. Daß überhaupt das Meiste von dem, was in den vor¬ liegenden Entwurf aufgenommen ist, „der bisherigen Praxis" entspricht, dürfte kaum einem Zweifel unterliegen. Diese Thatsache allein aber reicht schon hin, um das Gesammturtheil über den Werth und den Charakter des Entwurfs, soweit er den kirchlichen Verhältnissen Rechnung trägt, zu be¬ stimmen. Derselbe stellt sich eben lediglich als ein Versuch dar, den¬ jenigen Maximen, welche bisher von der Verwaltung gehandhabt worden sind, die gesetzliche Sanction zu ertheilen. Gneist hat in evidenter Weise ge¬ zeigt, daß diese pseudvrechtliche Verwaltungspraxis im Widerspruch steht mit dem Landrecht, daß sie jeder gesetzlichen Basis entbehrt. Der Entwurf will die fehlenden rechtlichen Grundlagen schaffen, er gibt sich die Miene, dabei die Principien der Verfassung zur Ausführung zu bringen und er muthet der Landesvertretung zu, ihm bei diesem Werke behilflich zu sein. Es ist glücklicherweise nicht zu fürchten, daß die verlangte Mitwirkung gewährt wird. Die Majorität der Kammer hat die Macht und den Willen, uns vor einer Gesetzgebung zu schützen, die auf religiösem Gebiete uns ähn¬ liche Bundesgenossen zuführen würde, wie auf politischem der Particularis- mus des Herrn von Lippe. Ihre Aufgabe kann nur darin bestehen, dem von der Regierung vorgelegten Entwurf einen anderen gegenüber zu stellen und einer hoffentlich nicht fernen Zukunft tüchtige und brauchbare Bausteine zu liefern. Inzwischen wird man nicht anstehen, einen bedeutungsvollen Zu¬ fall darin zu erkennen, daß Herr von Muster eine Codification der konfessio¬ nellen Grundsätze auf dem Boden des preußischen Schulwesens in dem Augen¬ blicke unternimmt, in dem der Ultramontanismus seine letzten Kräfte zu¬ sammenrafft, um die Macht des Lichtes und der Wissenschaft, um die Grundlagen des modernen Culturlebens zu vernichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/364>, abgerufen am 13.05.2024.