Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Männer, die ihr Leben als Lehrer der Rhetorik in Seminarien, als Ordens¬
generale, als Angehörige eines Prälaten hinbrachten, und deren Namen ver¬
gessen sind, hätten anderswo in Academien und auf Lehrstühlen geglänzt und
ihre Namen durch Entdeckungen in die Annalen der Wissenschaft eingezeich¬
net. Zwei Beispiele solcher Existenzen begegnen uns unter Winckelmann's
Bekannten. Monsignor Michelangelo Giacometti galt sür den größten Griechen
in Rom, vor dem auch W. anfangs "die Segel strich." Er übersetzte die
Electra und den Prometheus und erneuerte als Secretär der Breven an die
Fürsten die Latinität des Poggio und der humanistischen Seeretäre. Dieser
Mann, der an der Universität Pisa eine Leuchte italienischer Philologie hätte
werden können, ward durch seinen Ehrgeiz in die jansenistischen Streitigkeiten
hineingezogen, die, ohne daß eine entschiedene Ueberzeugung ihn entschädigt
oder getröstet hätte, sein ganzes Leben durch Leidenschaften und Intriguen
trübte, bis der Schiffbruch seiner Sache unter Ganganelli ihm zu spät Ge¬
legenheit gab, von seiner Philosophie Gebrauch zu machen. Der arme Con-
stantin Ruggieri verbrauchte seine reichen Gaben und Kenntnisse in Arbeiten,
mit denen ihn bald der Papst, bald sein Cardinal bedrängten, und doch sah
er sich, als der Letztere (es war Spinelli) starb, so hilflos, daß er in einem
Anfall von Melancholie sich das Leben nahm. Welch' eigne Erscheinung,
einen Mann wie Eduard Corsini, den Verfasser der attischen Fasten, diesen
"großen Mann" (so nennt ihn Winckelmann) in Rom zu beobachten, als er
endlich seinen langgehegten Wunsch, nach dem Centrum der Alterthümer zu
kommen, erfüllt sieht! Wie kann ein Ordensgeneral zu so etwas Zeit haben:
Geschäft, Cerimonien, Besuche und Gegenbesuche sind sein Tagewerk, bis er
nach Albano entflieht.

Die Verbindung mit solchen Männern erleichterte Winckelmann die
Orientirung auf römischem Boden; sie gab einigermaßen dem Spätgekommenen
einen Ersatz für den Vortheil, den hier Ausgewachsene vor dem Fremden
immer haben. Wenn er in wenigen Jahren sogar in ihrer Sprache schrieb
und selbst von Römischer Eifersucht anerkannt wurde, so verdankt er dieß
außer seinem Genie auch dem Verkehr mit jenen anspruchlosen und mittheil¬
samen Gelehrten.


C. Justi.


Männer, die ihr Leben als Lehrer der Rhetorik in Seminarien, als Ordens¬
generale, als Angehörige eines Prälaten hinbrachten, und deren Namen ver¬
gessen sind, hätten anderswo in Academien und auf Lehrstühlen geglänzt und
ihre Namen durch Entdeckungen in die Annalen der Wissenschaft eingezeich¬
net. Zwei Beispiele solcher Existenzen begegnen uns unter Winckelmann's
Bekannten. Monsignor Michelangelo Giacometti galt sür den größten Griechen
in Rom, vor dem auch W. anfangs „die Segel strich." Er übersetzte die
Electra und den Prometheus und erneuerte als Secretär der Breven an die
Fürsten die Latinität des Poggio und der humanistischen Seeretäre. Dieser
Mann, der an der Universität Pisa eine Leuchte italienischer Philologie hätte
werden können, ward durch seinen Ehrgeiz in die jansenistischen Streitigkeiten
hineingezogen, die, ohne daß eine entschiedene Ueberzeugung ihn entschädigt
oder getröstet hätte, sein ganzes Leben durch Leidenschaften und Intriguen
trübte, bis der Schiffbruch seiner Sache unter Ganganelli ihm zu spät Ge¬
legenheit gab, von seiner Philosophie Gebrauch zu machen. Der arme Con-
stantin Ruggieri verbrauchte seine reichen Gaben und Kenntnisse in Arbeiten,
mit denen ihn bald der Papst, bald sein Cardinal bedrängten, und doch sah
er sich, als der Letztere (es war Spinelli) starb, so hilflos, daß er in einem
Anfall von Melancholie sich das Leben nahm. Welch' eigne Erscheinung,
einen Mann wie Eduard Corsini, den Verfasser der attischen Fasten, diesen
„großen Mann" (so nennt ihn Winckelmann) in Rom zu beobachten, als er
endlich seinen langgehegten Wunsch, nach dem Centrum der Alterthümer zu
kommen, erfüllt sieht! Wie kann ein Ordensgeneral zu so etwas Zeit haben:
Geschäft, Cerimonien, Besuche und Gegenbesuche sind sein Tagewerk, bis er
nach Albano entflieht.

Die Verbindung mit solchen Männern erleichterte Winckelmann die
Orientirung auf römischem Boden; sie gab einigermaßen dem Spätgekommenen
einen Ersatz für den Vortheil, den hier Ausgewachsene vor dem Fremden
immer haben. Wenn er in wenigen Jahren sogar in ihrer Sprache schrieb
und selbst von Römischer Eifersucht anerkannt wurde, so verdankt er dieß
außer seinem Genie auch dem Verkehr mit jenen anspruchlosen und mittheil¬
samen Gelehrten.


C. Justi.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122138"/>
          <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067"> Männer, die ihr Leben als Lehrer der Rhetorik in Seminarien, als Ordens¬<lb/>
generale, als Angehörige eines Prälaten hinbrachten, und deren Namen ver¬<lb/>
gessen sind, hätten anderswo in Academien und auf Lehrstühlen geglänzt und<lb/>
ihre Namen durch Entdeckungen in die Annalen der Wissenschaft eingezeich¬<lb/>
net. Zwei Beispiele solcher Existenzen begegnen uns unter Winckelmann's<lb/>
Bekannten. Monsignor Michelangelo Giacometti galt sür den größten Griechen<lb/>
in Rom, vor dem auch W. anfangs &#x201E;die Segel strich." Er übersetzte die<lb/>
Electra und den Prometheus und erneuerte als Secretär der Breven an die<lb/>
Fürsten die Latinität des Poggio und der humanistischen Seeretäre. Dieser<lb/>
Mann, der an der Universität Pisa eine Leuchte italienischer Philologie hätte<lb/>
werden können, ward durch seinen Ehrgeiz in die jansenistischen Streitigkeiten<lb/>
hineingezogen, die, ohne daß eine entschiedene Ueberzeugung ihn entschädigt<lb/>
oder getröstet hätte, sein ganzes Leben durch Leidenschaften und Intriguen<lb/>
trübte, bis der Schiffbruch seiner Sache unter Ganganelli ihm zu spät Ge¬<lb/>
legenheit gab, von seiner Philosophie Gebrauch zu machen. Der arme Con-<lb/>
stantin Ruggieri verbrauchte seine reichen Gaben und Kenntnisse in Arbeiten,<lb/>
mit denen ihn bald der Papst, bald sein Cardinal bedrängten, und doch sah<lb/>
er sich, als der Letztere (es war Spinelli) starb, so hilflos, daß er in einem<lb/>
Anfall von Melancholie sich das Leben nahm. Welch' eigne Erscheinung,<lb/>
einen Mann wie Eduard Corsini, den Verfasser der attischen Fasten, diesen<lb/>
&#x201E;großen Mann" (so nennt ihn Winckelmann) in Rom zu beobachten, als er<lb/>
endlich seinen langgehegten Wunsch, nach dem Centrum der Alterthümer zu<lb/>
kommen, erfüllt sieht! Wie kann ein Ordensgeneral zu so etwas Zeit haben:<lb/>
Geschäft, Cerimonien, Besuche und Gegenbesuche sind sein Tagewerk, bis er<lb/>
nach Albano entflieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1069"> Die Verbindung mit solchen Männern erleichterte Winckelmann die<lb/>
Orientirung auf römischem Boden; sie gab einigermaßen dem Spätgekommenen<lb/>
einen Ersatz für den Vortheil, den hier Ausgewachsene vor dem Fremden<lb/>
immer haben. Wenn er in wenigen Jahren sogar in ihrer Sprache schrieb<lb/>
und selbst von Römischer Eifersucht anerkannt wurde, so verdankt er dieß<lb/>
außer seinem Genie auch dem Verkehr mit jenen anspruchlosen und mittheil¬<lb/>
samen Gelehrten.</p><lb/>
          <note type="byline"> C. Justi.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] Männer, die ihr Leben als Lehrer der Rhetorik in Seminarien, als Ordens¬ generale, als Angehörige eines Prälaten hinbrachten, und deren Namen ver¬ gessen sind, hätten anderswo in Academien und auf Lehrstühlen geglänzt und ihre Namen durch Entdeckungen in die Annalen der Wissenschaft eingezeich¬ net. Zwei Beispiele solcher Existenzen begegnen uns unter Winckelmann's Bekannten. Monsignor Michelangelo Giacometti galt sür den größten Griechen in Rom, vor dem auch W. anfangs „die Segel strich." Er übersetzte die Electra und den Prometheus und erneuerte als Secretär der Breven an die Fürsten die Latinität des Poggio und der humanistischen Seeretäre. Dieser Mann, der an der Universität Pisa eine Leuchte italienischer Philologie hätte werden können, ward durch seinen Ehrgeiz in die jansenistischen Streitigkeiten hineingezogen, die, ohne daß eine entschiedene Ueberzeugung ihn entschädigt oder getröstet hätte, sein ganzes Leben durch Leidenschaften und Intriguen trübte, bis der Schiffbruch seiner Sache unter Ganganelli ihm zu spät Ge¬ legenheit gab, von seiner Philosophie Gebrauch zu machen. Der arme Con- stantin Ruggieri verbrauchte seine reichen Gaben und Kenntnisse in Arbeiten, mit denen ihn bald der Papst, bald sein Cardinal bedrängten, und doch sah er sich, als der Letztere (es war Spinelli) starb, so hilflos, daß er in einem Anfall von Melancholie sich das Leben nahm. Welch' eigne Erscheinung, einen Mann wie Eduard Corsini, den Verfasser der attischen Fasten, diesen „großen Mann" (so nennt ihn Winckelmann) in Rom zu beobachten, als er endlich seinen langgehegten Wunsch, nach dem Centrum der Alterthümer zu kommen, erfüllt sieht! Wie kann ein Ordensgeneral zu so etwas Zeit haben: Geschäft, Cerimonien, Besuche und Gegenbesuche sind sein Tagewerk, bis er nach Albano entflieht. Die Verbindung mit solchen Männern erleichterte Winckelmann die Orientirung auf römischem Boden; sie gab einigermaßen dem Spätgekommenen einen Ersatz für den Vortheil, den hier Ausgewachsene vor dem Fremden immer haben. Wenn er in wenigen Jahren sogar in ihrer Sprache schrieb und selbst von Römischer Eifersucht anerkannt wurde, so verdankt er dieß außer seinem Genie auch dem Verkehr mit jenen anspruchlosen und mittheil¬ samen Gelehrten. C. Justi.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/383>, abgerufen am 13.05.2024.