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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Jahren schmerzlich vermissen, ging eine Zustimmungs-Adresse an die Mehr¬
heit der Martini-Gemeinde ein.

Was der Senat thun würde, war in liberalen Kreisen von vornherein
kein Gegenstand großer Sorge; vermöge der obenerwähnten Wahlmaxime
war seine Mehrheit von rationalistischer Farbe. Es wurde zwar eifrig ver¬
sucht, ihm von der Seite seiner politischen Deferenz .gegen Preußen beizu-
kommen, und die Correspondenz zwischen Se. Stephani -- so heißt im Volks¬
munde das hochkirchliche Hauptquartier Bremens -- und Berlin soll in jenen
Tagen sehr lebhaft gewesen sein. Man sprengte sogar aus, Minister v. Muster
habe durch irgend eine in Berlin anwesende Mittelsperson einen auf Pastor
Schwalb's Absetzung gerichteten Druck nach Bremen hin zu üben versucht.
Es war gut, daß dies officiös in Abrede gestellt werden konnte, denn sonst
hätte der dermalige preußische Cultusminister eine Niederlage mehr in das
Buch seiner unglücklichen Feldzüge eintragen müssen. Der Senat wies die
Ankläger Schwalb's, Amtsbruder wie unzufriedene Gemeindemitglieder, in ihre
Schranken zurück. Als der deutsche Protestantentag Pfingsten 1868 in
Bremen tagte, konnte er an seine Verhandlungen mit dem Bewußtsein gehen,
daß hier ein gesicherter Boden für die Lehrfreiheit sei, welche er allen deutschen
Kirchen und Gemeinden zu erkämpfen trachtet.

Die geschlagene Partei hätte es großenteils unzweifelhaft gern gesehen,
wenn die preußische Negierung sich unter irgend einem plausibler Vorwande
in die Sache eingemischt hätte. Keine Frage wohl auch, daß die Herrn v.
Muster, Hofmann und f. f. nicht anders als gern ihren Bremer Gesinnungs¬
genossen zu Hilfe gekommen wären. Aber das Bundesverhältniß bot leider
für Einmischungen in kirchliche Angelegenheiten schlechterdings keine Handhabe,
und um einem bloßen guten Rathe eine besonders eindringliche Schneide zu
geben, waren die Zeiten nicht mehr günstig genug, die Autorität des preußi¬
schen Kirchenregiments selbst schon zu sehr erschüttert. So wurden die kon¬
servativen Leute, welche zuerst gedacht hatten, mit den Mitteln des alten
kirchlichen Absolutismus ihr Ziel, die Reinhaltung der Kanzeln ihrer Stadt
von ketzerischen Lehren, zu erreichen, auf einen Weg gedrängt, der ihnen
noch kurz vorher ganz ungangbar und in die Wüste führend erschienen war.
Sie begannen sich für eine Synodalverfassung zu interessiren, und die Forde¬
rung aufzustellen, der Senat solle seine oberbischöfliche Gewalt an die Kirche
zurückgeben. In Preußen fanden sie diese Forderung vielleicht nach wie vor
revolutionär, aber im Bremen konnte sie ja nicht anders, als zum Heil der
Seelen ausschlagen.

In diesem neuen Verlangen wurden sie von einer unerwarteten Bundes¬
genossenschaft unterstützt. Professor M. Baumgarten aus Rostock, der Märtyrer
des mecklenburgischen Papstthums der Klieforth und Krabbe, kam Neujahr 1869


Grenzboten IV. 1869, ßv

Jahren schmerzlich vermissen, ging eine Zustimmungs-Adresse an die Mehr¬
heit der Martini-Gemeinde ein.

Was der Senat thun würde, war in liberalen Kreisen von vornherein
kein Gegenstand großer Sorge; vermöge der obenerwähnten Wahlmaxime
war seine Mehrheit von rationalistischer Farbe. Es wurde zwar eifrig ver¬
sucht, ihm von der Seite seiner politischen Deferenz .gegen Preußen beizu-
kommen, und die Correspondenz zwischen Se. Stephani — so heißt im Volks¬
munde das hochkirchliche Hauptquartier Bremens — und Berlin soll in jenen
Tagen sehr lebhaft gewesen sein. Man sprengte sogar aus, Minister v. Muster
habe durch irgend eine in Berlin anwesende Mittelsperson einen auf Pastor
Schwalb's Absetzung gerichteten Druck nach Bremen hin zu üben versucht.
Es war gut, daß dies officiös in Abrede gestellt werden konnte, denn sonst
hätte der dermalige preußische Cultusminister eine Niederlage mehr in das
Buch seiner unglücklichen Feldzüge eintragen müssen. Der Senat wies die
Ankläger Schwalb's, Amtsbruder wie unzufriedene Gemeindemitglieder, in ihre
Schranken zurück. Als der deutsche Protestantentag Pfingsten 1868 in
Bremen tagte, konnte er an seine Verhandlungen mit dem Bewußtsein gehen,
daß hier ein gesicherter Boden für die Lehrfreiheit sei, welche er allen deutschen
Kirchen und Gemeinden zu erkämpfen trachtet.

Die geschlagene Partei hätte es großenteils unzweifelhaft gern gesehen,
wenn die preußische Negierung sich unter irgend einem plausibler Vorwande
in die Sache eingemischt hätte. Keine Frage wohl auch, daß die Herrn v.
Muster, Hofmann und f. f. nicht anders als gern ihren Bremer Gesinnungs¬
genossen zu Hilfe gekommen wären. Aber das Bundesverhältniß bot leider
für Einmischungen in kirchliche Angelegenheiten schlechterdings keine Handhabe,
und um einem bloßen guten Rathe eine besonders eindringliche Schneide zu
geben, waren die Zeiten nicht mehr günstig genug, die Autorität des preußi¬
schen Kirchenregiments selbst schon zu sehr erschüttert. So wurden die kon¬
servativen Leute, welche zuerst gedacht hatten, mit den Mitteln des alten
kirchlichen Absolutismus ihr Ziel, die Reinhaltung der Kanzeln ihrer Stadt
von ketzerischen Lehren, zu erreichen, auf einen Weg gedrängt, der ihnen
noch kurz vorher ganz ungangbar und in die Wüste führend erschienen war.
Sie begannen sich für eine Synodalverfassung zu interessiren, und die Forde¬
rung aufzustellen, der Senat solle seine oberbischöfliche Gewalt an die Kirche
zurückgeben. In Preußen fanden sie diese Forderung vielleicht nach wie vor
revolutionär, aber im Bremen konnte sie ja nicht anders, als zum Heil der
Seelen ausschlagen.

In diesem neuen Verlangen wurden sie von einer unerwarteten Bundes¬
genossenschaft unterstützt. Professor M. Baumgarten aus Rostock, der Märtyrer
des mecklenburgischen Papstthums der Klieforth und Krabbe, kam Neujahr 1869


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[0401] Jahren schmerzlich vermissen, ging eine Zustimmungs-Adresse an die Mehr¬ heit der Martini-Gemeinde ein. Was der Senat thun würde, war in liberalen Kreisen von vornherein kein Gegenstand großer Sorge; vermöge der obenerwähnten Wahlmaxime war seine Mehrheit von rationalistischer Farbe. Es wurde zwar eifrig ver¬ sucht, ihm von der Seite seiner politischen Deferenz .gegen Preußen beizu- kommen, und die Correspondenz zwischen Se. Stephani — so heißt im Volks¬ munde das hochkirchliche Hauptquartier Bremens — und Berlin soll in jenen Tagen sehr lebhaft gewesen sein. Man sprengte sogar aus, Minister v. Muster habe durch irgend eine in Berlin anwesende Mittelsperson einen auf Pastor Schwalb's Absetzung gerichteten Druck nach Bremen hin zu üben versucht. Es war gut, daß dies officiös in Abrede gestellt werden konnte, denn sonst hätte der dermalige preußische Cultusminister eine Niederlage mehr in das Buch seiner unglücklichen Feldzüge eintragen müssen. Der Senat wies die Ankläger Schwalb's, Amtsbruder wie unzufriedene Gemeindemitglieder, in ihre Schranken zurück. Als der deutsche Protestantentag Pfingsten 1868 in Bremen tagte, konnte er an seine Verhandlungen mit dem Bewußtsein gehen, daß hier ein gesicherter Boden für die Lehrfreiheit sei, welche er allen deutschen Kirchen und Gemeinden zu erkämpfen trachtet. Die geschlagene Partei hätte es großenteils unzweifelhaft gern gesehen, wenn die preußische Negierung sich unter irgend einem plausibler Vorwande in die Sache eingemischt hätte. Keine Frage wohl auch, daß die Herrn v. Muster, Hofmann und f. f. nicht anders als gern ihren Bremer Gesinnungs¬ genossen zu Hilfe gekommen wären. Aber das Bundesverhältniß bot leider für Einmischungen in kirchliche Angelegenheiten schlechterdings keine Handhabe, und um einem bloßen guten Rathe eine besonders eindringliche Schneide zu geben, waren die Zeiten nicht mehr günstig genug, die Autorität des preußi¬ schen Kirchenregiments selbst schon zu sehr erschüttert. So wurden die kon¬ servativen Leute, welche zuerst gedacht hatten, mit den Mitteln des alten kirchlichen Absolutismus ihr Ziel, die Reinhaltung der Kanzeln ihrer Stadt von ketzerischen Lehren, zu erreichen, auf einen Weg gedrängt, der ihnen noch kurz vorher ganz ungangbar und in die Wüste führend erschienen war. Sie begannen sich für eine Synodalverfassung zu interessiren, und die Forde¬ rung aufzustellen, der Senat solle seine oberbischöfliche Gewalt an die Kirche zurückgeben. In Preußen fanden sie diese Forderung vielleicht nach wie vor revolutionär, aber im Bremen konnte sie ja nicht anders, als zum Heil der Seelen ausschlagen. In diesem neuen Verlangen wurden sie von einer unerwarteten Bundes¬ genossenschaft unterstützt. Professor M. Baumgarten aus Rostock, der Märtyrer des mecklenburgischen Papstthums der Klieforth und Krabbe, kam Neujahr 1869 Grenzboten IV. 1869, ßv

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/401>, abgerufen am 23.05.2024.