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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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ligt hat. Ohne aus die Interessen des Staates Rücksicht zu nehmen, hat
Herr von Muster, dem Zuge der inneren Seelenverwandtschast mit den Lu¬
theranern folgend, in den letzten Jahren den hannoverschen Clerus begünstigt,
eine kurzsichtige Nachgiebigkeit gegen alle seine Wünsche bewiesen und sich
dadurch eine geistliche Fronde groß gezogen, die ihm unvermerkt über den
Kopf gewachsen ist. Im letzten Augenblick versuchte er, der drohenden Ge-
sahr durch die Ernennung einiger gemäßigten Mitglieder zu der hannoverschen
Provinzialsynode zu begegnen. Aber es war zu spät. Die Majorität der
Synode ließ sich zu Beschlüssen fortreißen, welche auf eine fast souveräne
Selbständigkeit der Landesconststorien und der Synodalentscheidungen ab-
zweckten, und es wurde zugleich immer klarer, daß dieser kirchliche Separa¬
tismus Hand in Hand geht mit dem oppositionellen Welfenrhum, das auf
allen Punkten der Negierung entgegenarbeitet und in der Bevölkerung einen
grundsätzlichen Haß gegen deren Organe und gegen die Anordnungen derselben
zu nähren sucht. Die hier vorliegenden Schäden kamen besonders in den
Verhandlungen zur Sprache, welche sich auf die Aufhebung der hannover¬
schen Landesconsistorien bezogen. Der gehässige Ausfall, den sich bei dieser
Gelegenheit Herr Wantrup gegen die Abgeordneten Miquel und v. Bennigsen
erlaubte, wurde von Herrn Laster in gebührender Weise zurückgewiesen.
Dem Cultusminister gelang es nicht, die vorgebrachten Anklagen zu wider¬
legen, und es war bezeichnend genug für die Situation, daß außer Wantrup
nur der Particularismus in der Person der Herren Windthorst und von
Mallinckrodt für den Minister in die Schranken trat. Denn selbst der Ab¬
geordnete Bleak, wiewohl er sich gegen die Absicht verwahrte, das Mini¬
sterium zu tadeln, stand mit seinem Antrage über das Volksschulwesen doch
factisch auf der Seite der Opposition.

Sie werden es mir erlassen, Ihre Leser mit weiteren Details zu er¬
müden. Wie die Abgeordneten Miquel und v. Bennigsen, so haben auch die
Herren Wehrenpfennig und Richter bei verschiedenen Anlässen gegen die von
dem Cultusminister verfolgte Richtung auf das Feierlichste protestirt. Ob
diese Proteste den Erfolg haben wenden, den Minister von seinem Posten zu
drängen, müssen wir bei der Eigenthümlichkeit unserer constitutionellen Zu¬
stände bezweifeln. Von dem Grafen Bismarck sind wir es leider gewohnt,
daß er in kirchlichen Dingen eine passive Haltung bewahrt. Sonst wäre
gerade gegenwärtig eine Intervention wohl am Platze, wo neben den kirch¬
lichen zugleich die politischen Interessen in so eminenter Weise betheiligt sind.

Der Entwurf des Consolidationsgesetzes ist inzwischen mit einigen von
dem Finanzminister gebilligten Modifikationen von der Budgetcommission
angenommen worden. Unter den vorgenommenen Aenderungen betrifft die
wichtigste die Amortisationspflicht der Regierung. Herr Camphausen wünschte,


ligt hat. Ohne aus die Interessen des Staates Rücksicht zu nehmen, hat
Herr von Muster, dem Zuge der inneren Seelenverwandtschast mit den Lu¬
theranern folgend, in den letzten Jahren den hannoverschen Clerus begünstigt,
eine kurzsichtige Nachgiebigkeit gegen alle seine Wünsche bewiesen und sich
dadurch eine geistliche Fronde groß gezogen, die ihm unvermerkt über den
Kopf gewachsen ist. Im letzten Augenblick versuchte er, der drohenden Ge-
sahr durch die Ernennung einiger gemäßigten Mitglieder zu der hannoverschen
Provinzialsynode zu begegnen. Aber es war zu spät. Die Majorität der
Synode ließ sich zu Beschlüssen fortreißen, welche auf eine fast souveräne
Selbständigkeit der Landesconststorien und der Synodalentscheidungen ab-
zweckten, und es wurde zugleich immer klarer, daß dieser kirchliche Separa¬
tismus Hand in Hand geht mit dem oppositionellen Welfenrhum, das auf
allen Punkten der Negierung entgegenarbeitet und in der Bevölkerung einen
grundsätzlichen Haß gegen deren Organe und gegen die Anordnungen derselben
zu nähren sucht. Die hier vorliegenden Schäden kamen besonders in den
Verhandlungen zur Sprache, welche sich auf die Aufhebung der hannover¬
schen Landesconsistorien bezogen. Der gehässige Ausfall, den sich bei dieser
Gelegenheit Herr Wantrup gegen die Abgeordneten Miquel und v. Bennigsen
erlaubte, wurde von Herrn Laster in gebührender Weise zurückgewiesen.
Dem Cultusminister gelang es nicht, die vorgebrachten Anklagen zu wider¬
legen, und es war bezeichnend genug für die Situation, daß außer Wantrup
nur der Particularismus in der Person der Herren Windthorst und von
Mallinckrodt für den Minister in die Schranken trat. Denn selbst der Ab¬
geordnete Bleak, wiewohl er sich gegen die Absicht verwahrte, das Mini¬
sterium zu tadeln, stand mit seinem Antrage über das Volksschulwesen doch
factisch auf der Seite der Opposition.

Sie werden es mir erlassen, Ihre Leser mit weiteren Details zu er¬
müden. Wie die Abgeordneten Miquel und v. Bennigsen, so haben auch die
Herren Wehrenpfennig und Richter bei verschiedenen Anlässen gegen die von
dem Cultusminister verfolgte Richtung auf das Feierlichste protestirt. Ob
diese Proteste den Erfolg haben wenden, den Minister von seinem Posten zu
drängen, müssen wir bei der Eigenthümlichkeit unserer constitutionellen Zu¬
stände bezweifeln. Von dem Grafen Bismarck sind wir es leider gewohnt,
daß er in kirchlichen Dingen eine passive Haltung bewahrt. Sonst wäre
gerade gegenwärtig eine Intervention wohl am Platze, wo neben den kirch¬
lichen zugleich die politischen Interessen in so eminenter Weise betheiligt sind.

Der Entwurf des Consolidationsgesetzes ist inzwischen mit einigen von
dem Finanzminister gebilligten Modifikationen von der Budgetcommission
angenommen worden. Unter den vorgenommenen Aenderungen betrifft die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/434>, abgerufen am 12.05.2024.