Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und, wie er es ganz schicklich bezeichnete, "dem früheren Friedrich gegen den
späteren ein Denkmal zu setzen." Denn, in der That, Friedrich hat alles
aufgeboten, um sein eigenes Jugendbild aus der Literaturgeschichte auszu¬
löschen. Es ist unmöglich, in den "sämmtlichen Werken", mit deren Be¬
arbeitung er seine so vielfach gewundene literarische Laufbahn abschloß, den
jungen Friedrich Schlegel zu erkennen, der die Grundsätze und Doctrinen
der romantischen Schule am selbständigsten ausgebildet und am unerschrocken¬
sten vertreten hat. Dieser Friedrich Schlegel muß für die Literaturgeschichte
wiedergewonnen werden.

Friedrich befand sich in einer unbehaglichen Lage, als er die Sammlung
seiner Werke vornahm. Sein Geist war nicht frei und seine Lebensstellung
nicht unabhängig genug, daß er es über sich vermocht hätte, in dieser Samm¬
lung unbefangen ein getreues Abbild seiner wundersamen Geistesentwickelung
und Geistesumwandlungen zu geben. Er wollte seinen Lesern nichts vor¬
legen, was zu den Ueberzeugungen, die er damals predigte, in einem un-
versöhnbaren Gegensatze stand. Nun gab es aber unter den Producten seiner
jüngeren Jahre gar manche, die sich gegen jede, auch nur scheinbare An¬
näherung an seine späteren Grundsätze mit unüberwindlicher Hartnäckigkeit
sträubten, manche, die von dem nun verpöntem Geiste des jungen Friedrich
Schlegel so durch und durch erfüllt waren, daß dieser Geist auch durch die
gewaltsamsten Proceduren nicht mehr wegzubannen war. Hier blieb also
"keine Hilfe übrig; diesen widerspenstigen, incorrigibeln Erzeugnissen ward
der Zutritt in den Kreis der sämmtlichen Werke versagt; und so entzog uns
denn Friedrich eine ganze Reihe von Arbeiten, die für die Erkenntniß seines
eigenen Bildungsganges wie für die Entwickelungsgeschichte der romantischen
Schule von eingreifender Bedeutung sind. --

Die andern Erzeugnisse, deren völlige Aufopferung nicht unbedingt
nöthig schien, wurden von ihrem Urheber -- und dies ist erst recht geeignet,
den schwankenden Literarhistoriker irre zu sichren, -- einem sorgfältigen
Umbildungs- und Läuterungsproceß unterworfen. Die früheren Schärfen
und Härten wurden, so viel es irgend thunlich war, gemildert; die ehe¬
maligen Ansichten so vielfach bedingt und beschränkt, daß ihr eigent¬
licher Gehalt darüber verloren zu gehen drohte. War es nicht möglich,
die früheren Worte zu der späteren Meinung herüberzuzwingen, so trug
der Autor die in seinem letzten Lebensabschnitt errungene Gesinnung,
halb kühn, halb ängstlich, in das Werk seiner Jugendzeit hinein, unbeküm¬
mert darum, daß nun der ursprüngliche Grundton dieses Werkes auf eine
seltsame Weise verstimmt ward. -- Man kann sich der Theilnahme nicht er¬
wehren, indem man den Autor während seiner langen und mühseligen
Arbeit beobachtet, wie er, der Vielgewandte, alle stilistischen Rettungsmittel


und, wie er es ganz schicklich bezeichnete, „dem früheren Friedrich gegen den
späteren ein Denkmal zu setzen." Denn, in der That, Friedrich hat alles
aufgeboten, um sein eigenes Jugendbild aus der Literaturgeschichte auszu¬
löschen. Es ist unmöglich, in den „sämmtlichen Werken", mit deren Be¬
arbeitung er seine so vielfach gewundene literarische Laufbahn abschloß, den
jungen Friedrich Schlegel zu erkennen, der die Grundsätze und Doctrinen
der romantischen Schule am selbständigsten ausgebildet und am unerschrocken¬
sten vertreten hat. Dieser Friedrich Schlegel muß für die Literaturgeschichte
wiedergewonnen werden.

Friedrich befand sich in einer unbehaglichen Lage, als er die Sammlung
seiner Werke vornahm. Sein Geist war nicht frei und seine Lebensstellung
nicht unabhängig genug, daß er es über sich vermocht hätte, in dieser Samm¬
lung unbefangen ein getreues Abbild seiner wundersamen Geistesentwickelung
und Geistesumwandlungen zu geben. Er wollte seinen Lesern nichts vor¬
legen, was zu den Ueberzeugungen, die er damals predigte, in einem un-
versöhnbaren Gegensatze stand. Nun gab es aber unter den Producten seiner
jüngeren Jahre gar manche, die sich gegen jede, auch nur scheinbare An¬
näherung an seine späteren Grundsätze mit unüberwindlicher Hartnäckigkeit
sträubten, manche, die von dem nun verpöntem Geiste des jungen Friedrich
Schlegel so durch und durch erfüllt waren, daß dieser Geist auch durch die
gewaltsamsten Proceduren nicht mehr wegzubannen war. Hier blieb also
«keine Hilfe übrig; diesen widerspenstigen, incorrigibeln Erzeugnissen ward
der Zutritt in den Kreis der sämmtlichen Werke versagt; und so entzog uns
denn Friedrich eine ganze Reihe von Arbeiten, die für die Erkenntniß seines
eigenen Bildungsganges wie für die Entwickelungsgeschichte der romantischen
Schule von eingreifender Bedeutung sind. —

Die andern Erzeugnisse, deren völlige Aufopferung nicht unbedingt
nöthig schien, wurden von ihrem Urheber — und dies ist erst recht geeignet,
den schwankenden Literarhistoriker irre zu sichren, — einem sorgfältigen
Umbildungs- und Läuterungsproceß unterworfen. Die früheren Schärfen
und Härten wurden, so viel es irgend thunlich war, gemildert; die ehe¬
maligen Ansichten so vielfach bedingt und beschränkt, daß ihr eigent¬
licher Gehalt darüber verloren zu gehen drohte. War es nicht möglich,
die früheren Worte zu der späteren Meinung herüberzuzwingen, so trug
der Autor die in seinem letzten Lebensabschnitt errungene Gesinnung,
halb kühn, halb ängstlich, in das Werk seiner Jugendzeit hinein, unbeküm¬
mert darum, daß nun der ursprüngliche Grundton dieses Werkes auf eine
seltsame Weise verstimmt ward. — Man kann sich der Theilnahme nicht er¬
wehren, indem man den Autor während seiner langen und mühseligen
Arbeit beobachtet, wie er, der Vielgewandte, alle stilistischen Rettungsmittel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122226"/>
          <p xml:id="ID_1335" prev="#ID_1334"> und, wie er es ganz schicklich bezeichnete, &#x201E;dem früheren Friedrich gegen den<lb/>
späteren ein Denkmal zu setzen." Denn, in der That, Friedrich hat alles<lb/>
aufgeboten, um sein eigenes Jugendbild aus der Literaturgeschichte auszu¬<lb/>
löschen. Es ist unmöglich, in den &#x201E;sämmtlichen Werken", mit deren Be¬<lb/>
arbeitung er seine so vielfach gewundene literarische Laufbahn abschloß, den<lb/>
jungen Friedrich Schlegel zu erkennen, der die Grundsätze und Doctrinen<lb/>
der romantischen Schule am selbständigsten ausgebildet und am unerschrocken¬<lb/>
sten vertreten hat. Dieser Friedrich Schlegel muß für die Literaturgeschichte<lb/>
wiedergewonnen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1336"> Friedrich befand sich in einer unbehaglichen Lage, als er die Sammlung<lb/>
seiner Werke vornahm. Sein Geist war nicht frei und seine Lebensstellung<lb/>
nicht unabhängig genug, daß er es über sich vermocht hätte, in dieser Samm¬<lb/>
lung unbefangen ein getreues Abbild seiner wundersamen Geistesentwickelung<lb/>
und Geistesumwandlungen zu geben. Er wollte seinen Lesern nichts vor¬<lb/>
legen, was zu den Ueberzeugungen, die er damals predigte, in einem un-<lb/>
versöhnbaren Gegensatze stand. Nun gab es aber unter den Producten seiner<lb/>
jüngeren Jahre gar manche, die sich gegen jede, auch nur scheinbare An¬<lb/>
näherung an seine späteren Grundsätze mit unüberwindlicher Hartnäckigkeit<lb/>
sträubten, manche, die von dem nun verpöntem Geiste des jungen Friedrich<lb/>
Schlegel so durch und durch erfüllt waren, daß dieser Geist auch durch die<lb/>
gewaltsamsten Proceduren nicht mehr wegzubannen war. Hier blieb also<lb/>
«keine Hilfe übrig; diesen widerspenstigen, incorrigibeln Erzeugnissen ward<lb/>
der Zutritt in den Kreis der sämmtlichen Werke versagt; und so entzog uns<lb/>
denn Friedrich eine ganze Reihe von Arbeiten, die für die Erkenntniß seines<lb/>
eigenen Bildungsganges wie für die Entwickelungsgeschichte der romantischen<lb/>
Schule von eingreifender Bedeutung sind. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1337" next="#ID_1338"> Die andern Erzeugnisse, deren völlige Aufopferung nicht unbedingt<lb/>
nöthig schien, wurden von ihrem Urheber &#x2014; und dies ist erst recht geeignet,<lb/>
den schwankenden Literarhistoriker irre zu sichren, &#x2014; einem sorgfältigen<lb/>
Umbildungs- und Läuterungsproceß unterworfen. Die früheren Schärfen<lb/>
und Härten wurden, so viel es irgend thunlich war, gemildert; die ehe¬<lb/>
maligen Ansichten so vielfach bedingt und beschränkt, daß ihr eigent¬<lb/>
licher Gehalt darüber verloren zu gehen drohte. War es nicht möglich,<lb/>
die früheren Worte zu der späteren Meinung herüberzuzwingen, so trug<lb/>
der Autor die in seinem letzten Lebensabschnitt errungene Gesinnung,<lb/>
halb kühn, halb ängstlich, in das Werk seiner Jugendzeit hinein, unbeküm¬<lb/>
mert darum, daß nun der ursprüngliche Grundton dieses Werkes auf eine<lb/>
seltsame Weise verstimmt ward. &#x2014; Man kann sich der Theilnahme nicht er¬<lb/>
wehren, indem man den Autor während seiner langen und mühseligen<lb/>
Arbeit beobachtet, wie er, der Vielgewandte, alle stilistischen Rettungsmittel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0471] und, wie er es ganz schicklich bezeichnete, „dem früheren Friedrich gegen den späteren ein Denkmal zu setzen." Denn, in der That, Friedrich hat alles aufgeboten, um sein eigenes Jugendbild aus der Literaturgeschichte auszu¬ löschen. Es ist unmöglich, in den „sämmtlichen Werken", mit deren Be¬ arbeitung er seine so vielfach gewundene literarische Laufbahn abschloß, den jungen Friedrich Schlegel zu erkennen, der die Grundsätze und Doctrinen der romantischen Schule am selbständigsten ausgebildet und am unerschrocken¬ sten vertreten hat. Dieser Friedrich Schlegel muß für die Literaturgeschichte wiedergewonnen werden. Friedrich befand sich in einer unbehaglichen Lage, als er die Sammlung seiner Werke vornahm. Sein Geist war nicht frei und seine Lebensstellung nicht unabhängig genug, daß er es über sich vermocht hätte, in dieser Samm¬ lung unbefangen ein getreues Abbild seiner wundersamen Geistesentwickelung und Geistesumwandlungen zu geben. Er wollte seinen Lesern nichts vor¬ legen, was zu den Ueberzeugungen, die er damals predigte, in einem un- versöhnbaren Gegensatze stand. Nun gab es aber unter den Producten seiner jüngeren Jahre gar manche, die sich gegen jede, auch nur scheinbare An¬ näherung an seine späteren Grundsätze mit unüberwindlicher Hartnäckigkeit sträubten, manche, die von dem nun verpöntem Geiste des jungen Friedrich Schlegel so durch und durch erfüllt waren, daß dieser Geist auch durch die gewaltsamsten Proceduren nicht mehr wegzubannen war. Hier blieb also «keine Hilfe übrig; diesen widerspenstigen, incorrigibeln Erzeugnissen ward der Zutritt in den Kreis der sämmtlichen Werke versagt; und so entzog uns denn Friedrich eine ganze Reihe von Arbeiten, die für die Erkenntniß seines eigenen Bildungsganges wie für die Entwickelungsgeschichte der romantischen Schule von eingreifender Bedeutung sind. — Die andern Erzeugnisse, deren völlige Aufopferung nicht unbedingt nöthig schien, wurden von ihrem Urheber — und dies ist erst recht geeignet, den schwankenden Literarhistoriker irre zu sichren, — einem sorgfältigen Umbildungs- und Läuterungsproceß unterworfen. Die früheren Schärfen und Härten wurden, so viel es irgend thunlich war, gemildert; die ehe¬ maligen Ansichten so vielfach bedingt und beschränkt, daß ihr eigent¬ licher Gehalt darüber verloren zu gehen drohte. War es nicht möglich, die früheren Worte zu der späteren Meinung herüberzuzwingen, so trug der Autor die in seinem letzten Lebensabschnitt errungene Gesinnung, halb kühn, halb ängstlich, in das Werk seiner Jugendzeit hinein, unbeküm¬ mert darum, daß nun der ursprüngliche Grundton dieses Werkes auf eine seltsame Weise verstimmt ward. — Man kann sich der Theilnahme nicht er¬ wehren, indem man den Autor während seiner langen und mühseligen Arbeit beobachtet, wie er, der Vielgewandte, alle stilistischen Rettungsmittel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/471
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/471>, abgerufen am 13.05.2024.