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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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mehr erfüllt. Da aber das ihm gewidmete Geld doch verwendet werden
muß, so schiebt das Belieben des zufällig eingesetzten Stiftungsverwalters
einen neuen Zweck unter. Die Unumschränktheit des Stisterwillens. wie
sie heute rechtlich oder thatsächlich vielfach besteht, hat daher zur Folge ent¬
weder die Fortdauer einer veralteten und unzeitgemäßer Absicht, - oder die
Substituirung einex anderen, zeitgemäßen Absicht durch ein zufälliges einzel¬
nes Jndividium. Nicht allein der vielleicht sehr unüberlegte, oder im Laufe
der Zeit alle Vernünftigkeit einbüßende Wille des Stifters wird dadurch für
souverän erklärt, sondern auch der Wille jedes von ihm eingesetzten späteren
Verwalters, vorausgesetzt, daß dieser zu der Ansicht gelangt ist, der ursprüng¬
liche Zweck sei nicht mehr erfüllbar. Diese Kette willkürlicher Eingriffe in
die Armenpflege gilt es mit einem umsichtig abgefaßten Stiftungsgesetz fern¬
zuhalten oder mindestens zu begrenzen. Es muß gesetzliche Vorsorge getroffen
werden für den Fall, daß ein Stiftungszweck entweder dem öffentlichen
Wohl nachtheilig oder unerfüllbar wird. Das ist tzem Bestehenden, dem
Nachlaß der Vergangenheit gegenüber die erste hauptsächlichste Aufgabe einer
Stiftungsresorm. Einen Schritt weiter würde man gehen, wenn man für
die Zukunft schon der Entstehung schädlich wirkender Stiftungen vor,
beugen, alle Stiftungen folglich an Staatsgenehmigung binden wollt?. Das
neue badische Gesetz von diesem Frühjahr hat es gethan. In den Hanse¬
städten, die neben Baden bisher in Deutschland allein von dieser Rechts¬
bewegung ergriffen worden sind, ist man minder kühn gewesen. Man hat
noch nicht einmal der klar erkannten Gemeinschädlichkeit bestehender Stif¬
tungen durchweg die nöthigen Schranken gezogen.

Die jetzige Verfassung Hamburgs (von 1860) enthält den Satz, daß
sämmtliche milye Stiftungen und Wohlthätigkeitsanstalten der Oberaufsicht des
Staats unterworfen seien; aber bis jetzt fehlt demselben die Ausführung. Erst
im vorigen October hat die Bürgerschaft beschlossen, beim Senat zu beantragen,
daß eine Abtheilung des großen Armeneollegs mit der Wahrnehmung dieser
Oberaufsicht beauftragt, und alle solche Stiftungen, Testamente, Fideicommisse
u. s. f., welche flicht mehr von dem Stifter selbst oder dessen Söhnen verwaltet
werden, gehalten werden sollen, nicht allein alljährlich im Allgemeinen Rechen¬
schaft abzulegen, sondern auch genaue Verzeichnisse der unterstützten Personen
einzureichen. Dies Letztere ist, was in Lübeck seit 1867 besteht, und was,
wenn gehörig benutzt, einem der schlimmsten Uebelstände, der Häufung von
Almosen auf einzelne unverschämte Supplicanten einigermaßen abhelfen mag.
Aber weswegen Stifter und Stisterssöhne von der Pflicht dieser Auskunfts¬
ertheilung befreit bleiben sollen, ist um so räthsejhaftex, als in der betreffen¬
den Bürgerschaftssitzung vom 13. Octobex 1869 ein Wann, der selbst ge¬
stiftet hat, mit löblicher Offenheit erzählte, wie man ihn zu hintergehen ver-


Grenzboten I. 1870. 49

mehr erfüllt. Da aber das ihm gewidmete Geld doch verwendet werden
muß, so schiebt das Belieben des zufällig eingesetzten Stiftungsverwalters
einen neuen Zweck unter. Die Unumschränktheit des Stisterwillens. wie
sie heute rechtlich oder thatsächlich vielfach besteht, hat daher zur Folge ent¬
weder die Fortdauer einer veralteten und unzeitgemäßer Absicht, - oder die
Substituirung einex anderen, zeitgemäßen Absicht durch ein zufälliges einzel¬
nes Jndividium. Nicht allein der vielleicht sehr unüberlegte, oder im Laufe
der Zeit alle Vernünftigkeit einbüßende Wille des Stifters wird dadurch für
souverän erklärt, sondern auch der Wille jedes von ihm eingesetzten späteren
Verwalters, vorausgesetzt, daß dieser zu der Ansicht gelangt ist, der ursprüng¬
liche Zweck sei nicht mehr erfüllbar. Diese Kette willkürlicher Eingriffe in
die Armenpflege gilt es mit einem umsichtig abgefaßten Stiftungsgesetz fern¬
zuhalten oder mindestens zu begrenzen. Es muß gesetzliche Vorsorge getroffen
werden für den Fall, daß ein Stiftungszweck entweder dem öffentlichen
Wohl nachtheilig oder unerfüllbar wird. Das ist tzem Bestehenden, dem
Nachlaß der Vergangenheit gegenüber die erste hauptsächlichste Aufgabe einer
Stiftungsresorm. Einen Schritt weiter würde man gehen, wenn man für
die Zukunft schon der Entstehung schädlich wirkender Stiftungen vor,
beugen, alle Stiftungen folglich an Staatsgenehmigung binden wollt?. Das
neue badische Gesetz von diesem Frühjahr hat es gethan. In den Hanse¬
städten, die neben Baden bisher in Deutschland allein von dieser Rechts¬
bewegung ergriffen worden sind, ist man minder kühn gewesen. Man hat
noch nicht einmal der klar erkannten Gemeinschädlichkeit bestehender Stif¬
tungen durchweg die nöthigen Schranken gezogen.

Die jetzige Verfassung Hamburgs (von 1860) enthält den Satz, daß
sämmtliche milye Stiftungen und Wohlthätigkeitsanstalten der Oberaufsicht des
Staats unterworfen seien; aber bis jetzt fehlt demselben die Ausführung. Erst
im vorigen October hat die Bürgerschaft beschlossen, beim Senat zu beantragen,
daß eine Abtheilung des großen Armeneollegs mit der Wahrnehmung dieser
Oberaufsicht beauftragt, und alle solche Stiftungen, Testamente, Fideicommisse
u. s. f., welche flicht mehr von dem Stifter selbst oder dessen Söhnen verwaltet
werden, gehalten werden sollen, nicht allein alljährlich im Allgemeinen Rechen¬
schaft abzulegen, sondern auch genaue Verzeichnisse der unterstützten Personen
einzureichen. Dies Letztere ist, was in Lübeck seit 1867 besteht, und was,
wenn gehörig benutzt, einem der schlimmsten Uebelstände, der Häufung von
Almosen auf einzelne unverschämte Supplicanten einigermaßen abhelfen mag.
Aber weswegen Stifter und Stisterssöhne von der Pflicht dieser Auskunfts¬
ertheilung befreit bleiben sollen, ist um so räthsejhaftex, als in der betreffen¬
den Bürgerschaftssitzung vom 13. Octobex 1869 ein Wann, der selbst ge¬
stiftet hat, mit löblicher Offenheit erzählte, wie man ihn zu hintergehen ver-


Grenzboten I. 1870. 49
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/391>, abgerufen am 16.06.2024.