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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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mehr an das, was sein sollte, als an das, was sein und werden kann, er
spricht gutgemeinte, ideale Wünsche aus, aber gibt keine praktischen Vor¬
schläge. Der rechte Zeitpunkt für die Einführung der Föderativverfassung in
Oestreich ist von der Regierung versäumt werden; welche Macht auf Erden
wäre im Stande, ihn noch einmal zurückzurufen und die reiche Geschichte der
letzten zwei Jahrzehnte ungeschehen zu machen?

Man halte sich Oestreichs Zustände 1849 und 1870 gegenwärtig. Als
ich die Schrift: "Oestreich nach der Revolution" mit der Zustimmung zahlreicher
Freunde aller Nationalitäten herausgab, befanden wir uns am Morgen nach
einer großen Schlacht. Wir waren besiegt worden. Der Kremsierer Reichs¬
tag war aufgelöst, die Regierung hatte einseitig eine Verfassung oetroyirt,
die Hauptstadt des Reiches beugte sich widerstandslos dem Gebote des Ge-
neralprofoßen. Ungarn lag blutend zu den Füßen des brutalen Haynau.
Wir waren aber keineswegs vernichtet. Noch hatte das Ministerium nicht
den Rückweg zum einfachen Absolutismus eingeschlagen, noch war es wahr¬
scheinlich, daß sich die Stimme der Volksvertreter, wenn auch gedämpft,
wieder vernehmen lassen werde. Die Macht der Magyaren erschien gebrochen,
aber weder konnte man den ganzen Volksstamm aus dem Dasein streichen,
noch durften, so glaubten wir wenigens, die berechtigten Forderungen der
Rumänen, Serben, Kroaten, die den kaiserlichen Truppen zur Seite gekämpft
und für ihre Treue nicht blos Lob, sondern auch verbriefte Versprechungen
empfangen hatten, unerfüllt bleiben. Dazu kam noch, daß sich in dieser Zeit
zum ersten Male und leider auch zum letzten Male in Oestreich ein wirk¬
licher politischer Gemeingeist kundgab. Der Wiener und noch mehr der
Kremsierer Reichstag lösten die Sprödigkeit der Parteien, drückten allmälig
die beschränkten, eigensinnigen nationalen Tendenzen zurück und gaben den
politischen Interessen ein Uebergewicht. Die Czechen, am Anfange der Re¬
volution so übermüthig und selbstbewußt, hatten die engen Grenzen ihrer
Macht und ihres Rechtes kennen gelernt und weigerten sich nicht mehr, in
ein engeres Verhältniß zu den anderen östreichischen Ländern zu treten. Daß
der eisig starre Palacky sich grollend zurückgezogen hatte, die Leitung der
Partei vorzugsweise Männern deutscher Bildung wie Pinkas und Strobach
zufiel, zeigte am besten den Umschwung, der während des Kremsierer Reichs¬
tages stattgefunden hatte. Es geschahen Zeichen und Wunder. Ein gemein¬
samer Fackelzug begrüßte in Prag nach der Auflösung des Reichstages den
deutschen Borrosch und den Czechenführer Rieger,'das Eljen Kossuth! tönte
im Sommer 1849 in Prag ebenso laut, wie weiland das Evviva Pio nono
in Italien und bei der beabsichtigten Schilderhebung im Mai 1849 tagten
einträchtig am Tische der Verschworenen Deutsche und Slaven. Eine ähn¬
liche politische Erziehung hatten auch die Polen, welchen die ruthenischen


mehr an das, was sein sollte, als an das, was sein und werden kann, er
spricht gutgemeinte, ideale Wünsche aus, aber gibt keine praktischen Vor¬
schläge. Der rechte Zeitpunkt für die Einführung der Föderativverfassung in
Oestreich ist von der Regierung versäumt werden; welche Macht auf Erden
wäre im Stande, ihn noch einmal zurückzurufen und die reiche Geschichte der
letzten zwei Jahrzehnte ungeschehen zu machen?

Man halte sich Oestreichs Zustände 1849 und 1870 gegenwärtig. Als
ich die Schrift: „Oestreich nach der Revolution" mit der Zustimmung zahlreicher
Freunde aller Nationalitäten herausgab, befanden wir uns am Morgen nach
einer großen Schlacht. Wir waren besiegt worden. Der Kremsierer Reichs¬
tag war aufgelöst, die Regierung hatte einseitig eine Verfassung oetroyirt,
die Hauptstadt des Reiches beugte sich widerstandslos dem Gebote des Ge-
neralprofoßen. Ungarn lag blutend zu den Füßen des brutalen Haynau.
Wir waren aber keineswegs vernichtet. Noch hatte das Ministerium nicht
den Rückweg zum einfachen Absolutismus eingeschlagen, noch war es wahr¬
scheinlich, daß sich die Stimme der Volksvertreter, wenn auch gedämpft,
wieder vernehmen lassen werde. Die Macht der Magyaren erschien gebrochen,
aber weder konnte man den ganzen Volksstamm aus dem Dasein streichen,
noch durften, so glaubten wir wenigens, die berechtigten Forderungen der
Rumänen, Serben, Kroaten, die den kaiserlichen Truppen zur Seite gekämpft
und für ihre Treue nicht blos Lob, sondern auch verbriefte Versprechungen
empfangen hatten, unerfüllt bleiben. Dazu kam noch, daß sich in dieser Zeit
zum ersten Male und leider auch zum letzten Male in Oestreich ein wirk¬
licher politischer Gemeingeist kundgab. Der Wiener und noch mehr der
Kremsierer Reichstag lösten die Sprödigkeit der Parteien, drückten allmälig
die beschränkten, eigensinnigen nationalen Tendenzen zurück und gaben den
politischen Interessen ein Uebergewicht. Die Czechen, am Anfange der Re¬
volution so übermüthig und selbstbewußt, hatten die engen Grenzen ihrer
Macht und ihres Rechtes kennen gelernt und weigerten sich nicht mehr, in
ein engeres Verhältniß zu den anderen östreichischen Ländern zu treten. Daß
der eisig starre Palacky sich grollend zurückgezogen hatte, die Leitung der
Partei vorzugsweise Männern deutscher Bildung wie Pinkas und Strobach
zufiel, zeigte am besten den Umschwung, der während des Kremsierer Reichs¬
tages stattgefunden hatte. Es geschahen Zeichen und Wunder. Ein gemein¬
samer Fackelzug begrüßte in Prag nach der Auflösung des Reichstages den
deutschen Borrosch und den Czechenführer Rieger,'das Eljen Kossuth! tönte
im Sommer 1849 in Prag ebenso laut, wie weiland das Evviva Pio nono
in Italien und bei der beabsichtigten Schilderhebung im Mai 1849 tagten
einträchtig am Tische der Verschworenen Deutsche und Slaven. Eine ähn¬
liche politische Erziehung hatten auch die Polen, welchen die ruthenischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/448>, abgerufen am 16.06.2024.