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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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ganz in dem Geiste einer an großen Idealen armen, aber an feiner Bildung
und Genußfähigkeit reichen Zeit jene Kunstrichtung, welche, ohne einen be-
deutenden Inhalt zu verwirklichen, allgemein menschliche Stimmungen und
Gefühle in anmuthigster Form zur Anschauung brachte, welche mit Vorliebe
das Genre pflegte und eine genreartige Auffassung auch auf mythologische
Scenen übertrug, sodaß es vielfach schwer fällt, ihre mythologischen und
Genredarstellungen auseinanderzuhalten. Sie brachte Bilder hervor wie die
angelnde Aphrodite, die Liebesidylle der Göttin mit Adonis, überhaupt eben
die Compositionen, welche am häusigsten in der campanischen Wandmalerei
wiederholt sind. Bei der vielfachen Verwandtschaft, welche die griechisch¬
römische Gesellschaft von den letzten Decennien der Republik abwärts mit
der damaligen hellenistischen darbot, ist es nicht zu verwundern, daß es grade
solche Compositionen waren, welche mit Vorliebe von den Malern der
Kaiserzeit aufgegriffen und zur Ausschmückung der Wohnhäuser verwendet
wurden.

Fassen wir die Resultate dieser Betrachtungen zusammen, so sehen wir,
daß die campanischen Wandgemälde uns allerdings nur einen sehr annähern¬
den Begriff von der hellenistischen Malerei geben. Wir haben es mit einer
Auswahl von Compositionen zu thun, die durch technische Rücksichten be¬
dingt wurde, und durch Gesichtspunkte, welche die Bestimmung der Bilder,
die Wände von Wohnhäusern zu schmücken, an die Hand gab. Innerhalb
dieser Auswahl haben wir wiederum keine genauen Copien zu gewärtigen.
Im günstigsten Falle können wir annehmen, daß die Motive der hellenisti¬
schen Vorbilder ganz im Allgemeinen wiedergegeben sind. Doch sind sie
jedenfalls in eine mehr oder minder decorative BeHandlungsweise übertragen,
außerdem vielfach durch die Einflüsse der Epoche, in welcher sie reproducirt
wurden, und der localen Verhältnisse, unter welchen ihre Reproduction Statt
hatte, endlich durch die Individualität der ausführenden Wandmaler getrübt
und wohl auch durch Improvisationen der letzteren abgewandelt. Vielfach
sind nicht einmal die Originalcompositionen in ihrem ursprünglichen Bestände
festgehalten. Wir haben Excerpte aus denselben vor Augen, membra, disiocts,,
welche aus dem ursprünglichen Zusammenhange in einen anderen übertragen,
durch Auslassungen verkürzt, durch Zuthaten erweitert sind.

Betrachten wir dagegen die campanischen Wandbilder an und für sich,
ohne sie durch den Vergleich mit der überlegenen Kunstentwickelung, von der sie
abhängig sind, in den Schatten zu stellen, und fassen wir die Anforderungen in
das Auge, denen sie zu genügen hatten, dann erscheinen sie als in hohem Grade
zweckentsprechende Leistungen. Als Gegenstände der Darstellung dienen Stoffe,
welche, von der hellenistischen Dichtung vorgearbeitet, durch die an dieselbe an¬
knüpfende lateinische Dichtung dem ganzen gebildeen Publieum des griechisch-


Grenzboten II. 2870. Zg

ganz in dem Geiste einer an großen Idealen armen, aber an feiner Bildung
und Genußfähigkeit reichen Zeit jene Kunstrichtung, welche, ohne einen be-
deutenden Inhalt zu verwirklichen, allgemein menschliche Stimmungen und
Gefühle in anmuthigster Form zur Anschauung brachte, welche mit Vorliebe
das Genre pflegte und eine genreartige Auffassung auch auf mythologische
Scenen übertrug, sodaß es vielfach schwer fällt, ihre mythologischen und
Genredarstellungen auseinanderzuhalten. Sie brachte Bilder hervor wie die
angelnde Aphrodite, die Liebesidylle der Göttin mit Adonis, überhaupt eben
die Compositionen, welche am häusigsten in der campanischen Wandmalerei
wiederholt sind. Bei der vielfachen Verwandtschaft, welche die griechisch¬
römische Gesellschaft von den letzten Decennien der Republik abwärts mit
der damaligen hellenistischen darbot, ist es nicht zu verwundern, daß es grade
solche Compositionen waren, welche mit Vorliebe von den Malern der
Kaiserzeit aufgegriffen und zur Ausschmückung der Wohnhäuser verwendet
wurden.

Fassen wir die Resultate dieser Betrachtungen zusammen, so sehen wir,
daß die campanischen Wandgemälde uns allerdings nur einen sehr annähern¬
den Begriff von der hellenistischen Malerei geben. Wir haben es mit einer
Auswahl von Compositionen zu thun, die durch technische Rücksichten be¬
dingt wurde, und durch Gesichtspunkte, welche die Bestimmung der Bilder,
die Wände von Wohnhäusern zu schmücken, an die Hand gab. Innerhalb
dieser Auswahl haben wir wiederum keine genauen Copien zu gewärtigen.
Im günstigsten Falle können wir annehmen, daß die Motive der hellenisti¬
schen Vorbilder ganz im Allgemeinen wiedergegeben sind. Doch sind sie
jedenfalls in eine mehr oder minder decorative BeHandlungsweise übertragen,
außerdem vielfach durch die Einflüsse der Epoche, in welcher sie reproducirt
wurden, und der localen Verhältnisse, unter welchen ihre Reproduction Statt
hatte, endlich durch die Individualität der ausführenden Wandmaler getrübt
und wohl auch durch Improvisationen der letzteren abgewandelt. Vielfach
sind nicht einmal die Originalcompositionen in ihrem ursprünglichen Bestände
festgehalten. Wir haben Excerpte aus denselben vor Augen, membra, disiocts,,
welche aus dem ursprünglichen Zusammenhange in einen anderen übertragen,
durch Auslassungen verkürzt, durch Zuthaten erweitert sind.

Betrachten wir dagegen die campanischen Wandbilder an und für sich,
ohne sie durch den Vergleich mit der überlegenen Kunstentwickelung, von der sie
abhängig sind, in den Schatten zu stellen, und fassen wir die Anforderungen in
das Auge, denen sie zu genügen hatten, dann erscheinen sie als in hohem Grade
zweckentsprechende Leistungen. Als Gegenstände der Darstellung dienen Stoffe,
welche, von der hellenistischen Dichtung vorgearbeitet, durch die an dieselbe an¬
knüpfende lateinische Dichtung dem ganzen gebildeen Publieum des griechisch-


Grenzboten II. 2870. Zg
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[0303] ganz in dem Geiste einer an großen Idealen armen, aber an feiner Bildung und Genußfähigkeit reichen Zeit jene Kunstrichtung, welche, ohne einen be- deutenden Inhalt zu verwirklichen, allgemein menschliche Stimmungen und Gefühle in anmuthigster Form zur Anschauung brachte, welche mit Vorliebe das Genre pflegte und eine genreartige Auffassung auch auf mythologische Scenen übertrug, sodaß es vielfach schwer fällt, ihre mythologischen und Genredarstellungen auseinanderzuhalten. Sie brachte Bilder hervor wie die angelnde Aphrodite, die Liebesidylle der Göttin mit Adonis, überhaupt eben die Compositionen, welche am häusigsten in der campanischen Wandmalerei wiederholt sind. Bei der vielfachen Verwandtschaft, welche die griechisch¬ römische Gesellschaft von den letzten Decennien der Republik abwärts mit der damaligen hellenistischen darbot, ist es nicht zu verwundern, daß es grade solche Compositionen waren, welche mit Vorliebe von den Malern der Kaiserzeit aufgegriffen und zur Ausschmückung der Wohnhäuser verwendet wurden. Fassen wir die Resultate dieser Betrachtungen zusammen, so sehen wir, daß die campanischen Wandgemälde uns allerdings nur einen sehr annähern¬ den Begriff von der hellenistischen Malerei geben. Wir haben es mit einer Auswahl von Compositionen zu thun, die durch technische Rücksichten be¬ dingt wurde, und durch Gesichtspunkte, welche die Bestimmung der Bilder, die Wände von Wohnhäusern zu schmücken, an die Hand gab. Innerhalb dieser Auswahl haben wir wiederum keine genauen Copien zu gewärtigen. Im günstigsten Falle können wir annehmen, daß die Motive der hellenisti¬ schen Vorbilder ganz im Allgemeinen wiedergegeben sind. Doch sind sie jedenfalls in eine mehr oder minder decorative BeHandlungsweise übertragen, außerdem vielfach durch die Einflüsse der Epoche, in welcher sie reproducirt wurden, und der localen Verhältnisse, unter welchen ihre Reproduction Statt hatte, endlich durch die Individualität der ausführenden Wandmaler getrübt und wohl auch durch Improvisationen der letzteren abgewandelt. Vielfach sind nicht einmal die Originalcompositionen in ihrem ursprünglichen Bestände festgehalten. Wir haben Excerpte aus denselben vor Augen, membra, disiocts,, welche aus dem ursprünglichen Zusammenhange in einen anderen übertragen, durch Auslassungen verkürzt, durch Zuthaten erweitert sind. Betrachten wir dagegen die campanischen Wandbilder an und für sich, ohne sie durch den Vergleich mit der überlegenen Kunstentwickelung, von der sie abhängig sind, in den Schatten zu stellen, und fassen wir die Anforderungen in das Auge, denen sie zu genügen hatten, dann erscheinen sie als in hohem Grade zweckentsprechende Leistungen. Als Gegenstände der Darstellung dienen Stoffe, welche, von der hellenistischen Dichtung vorgearbeitet, durch die an dieselbe an¬ knüpfende lateinische Dichtung dem ganzen gebildeen Publieum des griechisch- Grenzboten II. 2870. Zg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/303>, abgerufen am 21.05.2024.