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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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erste Keim zu dem Gefühl der Selbstherrlichkeit, zum Cäsarenthum und bei
ungünstig organisirten Naturen zur Cäsarenkrankheit.

Aber haben nicht alle Fürsten, die bis zur Gegenwart über einem Staats-
Wesen gewaltet, dies Recht der Gnade ohne Anfechtung besessen? Tausende von
Regenten, die besten wie die schlechtesten, haben mit ihren Gedanken darüber
fertig werden müssen und nie ist die Klage laut geworden, daß das Recht der
Krone, welches man wohl gar das höchste irdische nennt, einen schädlichen
Einfluß auf Gemüth. Urtheil und Weltauffassung der Herren ausgeübt habe.
Natürlich war die Gefahr für sie um so geringer, je niedriger der Werth
des menschlichen Lebens überhaupt war. Am Ende des Mittelalters, wo fast
jede größere Stadt und viele Gutsherren alljährlich Verbrecher an den Galgen
hingen oder verbrannten, war es nicht die Expedition des Verurtheilten,
welche die höchsten Häupter der Christenheit kümmerte, dies Hinrichten war
in harter Zeit die selbstverständliche Rache der geschädigten Mehrzahl an der
Minderzahl und wurde mit wenig Erbarmen 'geübt. Damals verbreitete das
Recht der Gnade vielmehr einen milden, verklärenden Glanz über den Landes¬
herrn, denn ihm selbst und seinen Zeitgenossen erschien es als ein lebenspen¬
dendes Vorrecht hoher Erdenstellung, welche gern den Traurigen fröhlich,
den Friedlosen friedlich, den Ehrlosen ehrlich machte. Wer damals begnadigt
wurde, der ward darum in der Regel auch jeder schweren Strafe enthoben.
Aber je höher der Werth des Menschenlebens stieg und je völliger in den des¬
potischen Beamtenstaaten Gesetz, Rechtspruch und Execution vom Landesherrn
selbst ausging, desto härter und schwerer wurde für diesen der letzte Federzug
über Tod und Leben. Denn dies Fürstenrecht gehört zu denen, die man
ohne Gefahr nur naiv üben darf, wie die Könige im Märchen thun. Wer
erst anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, der findet schwer das Ende,
außer, wo der Pfaffe hilft. Und doch, so lange die Klugen und die Wackerer
im Volke selbst keine Zweifel über die Todesstrafe hatten, so lange vermoch¬
ten auch gewissenhafte Fürsten sich mit dem harten Muß ihres Amtes ab-
zufinden. Jetzt aber ist die Frage aufgeregt, sie wird tausendstimmig beant¬
wortet, so oder so, jetzt weiß der Fürst, daß Viele und nicht die Schlechtesten
seines Volkes eine Hinrichtung für eine barbarische That halten, wer darf
erstaunen, wenn er in solcher Zeit schwer von der Sorge geängstigt wird, ob
" w Wahrheit das Recht habe, über Tod und Leben zu entscheiden.

Freilich mag der Zweifel an diesem Fürstenrecht auch keinem so wider¬
wärtig se^, als dem Regenten, der nach längerem Sträuben, bezwungen
durch die Nothwendigkeit, durch mahnende Juristen oder räuchernde Höflinge
sich daran gewöhnt hat, in seiner Bestimmung über Leben und Tod der
Missethäter ein Vorrecht höchster Herscherwürde zu sehen. Jetzt auf einmal


Grenzboten II. 187g. 5

erste Keim zu dem Gefühl der Selbstherrlichkeit, zum Cäsarenthum und bei
ungünstig organisirten Naturen zur Cäsarenkrankheit.

Aber haben nicht alle Fürsten, die bis zur Gegenwart über einem Staats-
Wesen gewaltet, dies Recht der Gnade ohne Anfechtung besessen? Tausende von
Regenten, die besten wie die schlechtesten, haben mit ihren Gedanken darüber
fertig werden müssen und nie ist die Klage laut geworden, daß das Recht der
Krone, welches man wohl gar das höchste irdische nennt, einen schädlichen
Einfluß auf Gemüth. Urtheil und Weltauffassung der Herren ausgeübt habe.
Natürlich war die Gefahr für sie um so geringer, je niedriger der Werth
des menschlichen Lebens überhaupt war. Am Ende des Mittelalters, wo fast
jede größere Stadt und viele Gutsherren alljährlich Verbrecher an den Galgen
hingen oder verbrannten, war es nicht die Expedition des Verurtheilten,
welche die höchsten Häupter der Christenheit kümmerte, dies Hinrichten war
in harter Zeit die selbstverständliche Rache der geschädigten Mehrzahl an der
Minderzahl und wurde mit wenig Erbarmen 'geübt. Damals verbreitete das
Recht der Gnade vielmehr einen milden, verklärenden Glanz über den Landes¬
herrn, denn ihm selbst und seinen Zeitgenossen erschien es als ein lebenspen¬
dendes Vorrecht hoher Erdenstellung, welche gern den Traurigen fröhlich,
den Friedlosen friedlich, den Ehrlosen ehrlich machte. Wer damals begnadigt
wurde, der ward darum in der Regel auch jeder schweren Strafe enthoben.
Aber je höher der Werth des Menschenlebens stieg und je völliger in den des¬
potischen Beamtenstaaten Gesetz, Rechtspruch und Execution vom Landesherrn
selbst ausging, desto härter und schwerer wurde für diesen der letzte Federzug
über Tod und Leben. Denn dies Fürstenrecht gehört zu denen, die man
ohne Gefahr nur naiv üben darf, wie die Könige im Märchen thun. Wer
erst anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, der findet schwer das Ende,
außer, wo der Pfaffe hilft. Und doch, so lange die Klugen und die Wackerer
im Volke selbst keine Zweifel über die Todesstrafe hatten, so lange vermoch¬
ten auch gewissenhafte Fürsten sich mit dem harten Muß ihres Amtes ab-
zufinden. Jetzt aber ist die Frage aufgeregt, sie wird tausendstimmig beant¬
wortet, so oder so, jetzt weiß der Fürst, daß Viele und nicht die Schlechtesten
seines Volkes eine Hinrichtung für eine barbarische That halten, wer darf
erstaunen, wenn er in solcher Zeit schwer von der Sorge geängstigt wird, ob
" w Wahrheit das Recht habe, über Tod und Leben zu entscheiden.

Freilich mag der Zweifel an diesem Fürstenrecht auch keinem so wider¬
wärtig se^, als dem Regenten, der nach längerem Sträuben, bezwungen
durch die Nothwendigkeit, durch mahnende Juristen oder räuchernde Höflinge
sich daran gewöhnt hat, in seiner Bestimmung über Leben und Tod der
Missethäter ein Vorrecht höchster Herscherwürde zu sehen. Jetzt auf einmal


Grenzboten II. 187g. 5
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[0039] erste Keim zu dem Gefühl der Selbstherrlichkeit, zum Cäsarenthum und bei ungünstig organisirten Naturen zur Cäsarenkrankheit. Aber haben nicht alle Fürsten, die bis zur Gegenwart über einem Staats- Wesen gewaltet, dies Recht der Gnade ohne Anfechtung besessen? Tausende von Regenten, die besten wie die schlechtesten, haben mit ihren Gedanken darüber fertig werden müssen und nie ist die Klage laut geworden, daß das Recht der Krone, welches man wohl gar das höchste irdische nennt, einen schädlichen Einfluß auf Gemüth. Urtheil und Weltauffassung der Herren ausgeübt habe. Natürlich war die Gefahr für sie um so geringer, je niedriger der Werth des menschlichen Lebens überhaupt war. Am Ende des Mittelalters, wo fast jede größere Stadt und viele Gutsherren alljährlich Verbrecher an den Galgen hingen oder verbrannten, war es nicht die Expedition des Verurtheilten, welche die höchsten Häupter der Christenheit kümmerte, dies Hinrichten war in harter Zeit die selbstverständliche Rache der geschädigten Mehrzahl an der Minderzahl und wurde mit wenig Erbarmen 'geübt. Damals verbreitete das Recht der Gnade vielmehr einen milden, verklärenden Glanz über den Landes¬ herrn, denn ihm selbst und seinen Zeitgenossen erschien es als ein lebenspen¬ dendes Vorrecht hoher Erdenstellung, welche gern den Traurigen fröhlich, den Friedlosen friedlich, den Ehrlosen ehrlich machte. Wer damals begnadigt wurde, der ward darum in der Regel auch jeder schweren Strafe enthoben. Aber je höher der Werth des Menschenlebens stieg und je völliger in den des¬ potischen Beamtenstaaten Gesetz, Rechtspruch und Execution vom Landesherrn selbst ausging, desto härter und schwerer wurde für diesen der letzte Federzug über Tod und Leben. Denn dies Fürstenrecht gehört zu denen, die man ohne Gefahr nur naiv üben darf, wie die Könige im Märchen thun. Wer erst anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, der findet schwer das Ende, außer, wo der Pfaffe hilft. Und doch, so lange die Klugen und die Wackerer im Volke selbst keine Zweifel über die Todesstrafe hatten, so lange vermoch¬ ten auch gewissenhafte Fürsten sich mit dem harten Muß ihres Amtes ab- zufinden. Jetzt aber ist die Frage aufgeregt, sie wird tausendstimmig beant¬ wortet, so oder so, jetzt weiß der Fürst, daß Viele und nicht die Schlechtesten seines Volkes eine Hinrichtung für eine barbarische That halten, wer darf erstaunen, wenn er in solcher Zeit schwer von der Sorge geängstigt wird, ob " w Wahrheit das Recht habe, über Tod und Leben zu entscheiden. Freilich mag der Zweifel an diesem Fürstenrecht auch keinem so wider¬ wärtig se^, als dem Regenten, der nach längerem Sträuben, bezwungen durch die Nothwendigkeit, durch mahnende Juristen oder räuchernde Höflinge sich daran gewöhnt hat, in seiner Bestimmung über Leben und Tod der Missethäter ein Vorrecht höchster Herscherwürde zu sehen. Jetzt auf einmal Grenzboten II. 187g. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/39>, abgerufen am 21.05.2024.