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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Bei dem Ablösungsgeschäft kamen mannigfache Mißgriffe und Ungerech¬
tigkeiten vor. Manche Gutsbesitzer, die mit Abfindung der Bauern, Tage¬
löhner und Knechte Alles beendet zu haben glaubten, sind veranlaßt worden,
noch allen preußischen Unterthanen, die ohne viel Umstände der russischen
Regierung den Eid der Treue leisteten, Wohnung, Gartenland, Weide, Alles
so wie sie es im Jahre 1864 besess-n, als Eigenthum zu überweisen. Den
Commissarien ging mitunter das richtige Verständniß des betreffenden Ukases
gänzlich ab. Fall?, wie der, daß ein Commissär dem herrschaftlichen Kuh-
pächtec die erpachteten 60 Milchkühe, und einem Brennereipächter die Ge¬
bäude nebst Apparat und Utensilien als Eigenthum zuerkannte, wurden aller¬
dings bemerkt und redressirt; in manchen anderen Fällen aber sind grobe
Verstöße durchgegangen, die sich später schwer verbessern lassen.

In litevarischer Beziehung lastet die Censur ebenfalls sehr schwer auf
dem bedrückten Lande. Im vergangenen Jahre war den Verlagsbuchhändlern
die Erlaubniß zur Herausgabe von Kalendern, obschon sie zuvor das Im¬
primatur der Censur erhalten hatten, dennoch verweigert worden, weil die
Kalender keine Biographien von russischen Männern enthielten, worin man
eine passive Demonstration erblicken wollte. Die Abwendung der Gefahr
dieses Verlustes hatten sie dem Statthalter Grafen Berg zu verdanken, aber
für die Zukunfr wurde mindestens ein Artikel rein russischen Inhalts ver¬
langt. Ein neues Censurkomite' ist im März eingesetzt worden, in welches
auch Männer polnischer und ausländischer Nationalität aufgenommen wur¬
den. Diesem liegt ob. die Localcensur in Warschau, die Censur der daselbst
durch die Post ankommenden fremden Zeitungen, der aus dem Auslande
eingeführten Bücher und Kunsthandelsartikel, die Ueberwachung der Drucke¬
reien, lithographischen und anderen Anstalten, wo Drucksachen und Aehn-
liches verkauft werden, ferner der polytechnischen Institute und des Buch¬
handels in Warschau. Jetzt sollen sämmtliche Bücher und Schriften der
öffentlichen Bibliotheken einer speciellen Revision unterworfen werden und
es sind Abweichungen von den apprvbirten Katalogen und deponirten Ver¬
zeichnissen zu registriren, die nicht vorschriftsmäßig eingetragenen Bücher ein¬
zusenden. Auch die Büchersammlungen der öffentlichen Anstalten mit Aus¬
nahme der rein russischen Institute werden einer Durchsicht unterworfen, so
wie die Bücher, welche Schülern aus Bibliotheken der Gymnasien und an¬
derer Institute zur häuslichen Lectüre leihweise gegeben werden, stets zur
Genehmigung vorgelegen haben müssen. Romane und Bücher politischen
Inhalts, gleichviel in welcher Sprache, dürfen an Schüler niemals, und von
Geschichtswerken nur die speziell d.>zu genehmigten zum Lesen verabreicht
werden. In den Jahren 1831 bis 1861 war die Einrichtung getroffen, cen¬
surwidrige Stellen in den ausländischen Zeitungen mit Tusche zu überziehen;


Grenzboten III. 13

Bei dem Ablösungsgeschäft kamen mannigfache Mißgriffe und Ungerech¬
tigkeiten vor. Manche Gutsbesitzer, die mit Abfindung der Bauern, Tage¬
löhner und Knechte Alles beendet zu haben glaubten, sind veranlaßt worden,
noch allen preußischen Unterthanen, die ohne viel Umstände der russischen
Regierung den Eid der Treue leisteten, Wohnung, Gartenland, Weide, Alles
so wie sie es im Jahre 1864 besess-n, als Eigenthum zu überweisen. Den
Commissarien ging mitunter das richtige Verständniß des betreffenden Ukases
gänzlich ab. Fall?, wie der, daß ein Commissär dem herrschaftlichen Kuh-
pächtec die erpachteten 60 Milchkühe, und einem Brennereipächter die Ge¬
bäude nebst Apparat und Utensilien als Eigenthum zuerkannte, wurden aller¬
dings bemerkt und redressirt; in manchen anderen Fällen aber sind grobe
Verstöße durchgegangen, die sich später schwer verbessern lassen.

In litevarischer Beziehung lastet die Censur ebenfalls sehr schwer auf
dem bedrückten Lande. Im vergangenen Jahre war den Verlagsbuchhändlern
die Erlaubniß zur Herausgabe von Kalendern, obschon sie zuvor das Im¬
primatur der Censur erhalten hatten, dennoch verweigert worden, weil die
Kalender keine Biographien von russischen Männern enthielten, worin man
eine passive Demonstration erblicken wollte. Die Abwendung der Gefahr
dieses Verlustes hatten sie dem Statthalter Grafen Berg zu verdanken, aber
für die Zukunfr wurde mindestens ein Artikel rein russischen Inhalts ver¬
langt. Ein neues Censurkomite' ist im März eingesetzt worden, in welches
auch Männer polnischer und ausländischer Nationalität aufgenommen wur¬
den. Diesem liegt ob. die Localcensur in Warschau, die Censur der daselbst
durch die Post ankommenden fremden Zeitungen, der aus dem Auslande
eingeführten Bücher und Kunsthandelsartikel, die Ueberwachung der Drucke¬
reien, lithographischen und anderen Anstalten, wo Drucksachen und Aehn-
liches verkauft werden, ferner der polytechnischen Institute und des Buch¬
handels in Warschau. Jetzt sollen sämmtliche Bücher und Schriften der
öffentlichen Bibliotheken einer speciellen Revision unterworfen werden und
es sind Abweichungen von den apprvbirten Katalogen und deponirten Ver¬
zeichnissen zu registriren, die nicht vorschriftsmäßig eingetragenen Bücher ein¬
zusenden. Auch die Büchersammlungen der öffentlichen Anstalten mit Aus¬
nahme der rein russischen Institute werden einer Durchsicht unterworfen, so
wie die Bücher, welche Schülern aus Bibliotheken der Gymnasien und an¬
derer Institute zur häuslichen Lectüre leihweise gegeben werden, stets zur
Genehmigung vorgelegen haben müssen. Romane und Bücher politischen
Inhalts, gleichviel in welcher Sprache, dürfen an Schüler niemals, und von
Geschichtswerken nur die speziell d.>zu genehmigten zum Lesen verabreicht
werden. In den Jahren 1831 bis 1861 war die Einrichtung getroffen, cen¬
surwidrige Stellen in den ausländischen Zeitungen mit Tusche zu überziehen;


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[0105] Bei dem Ablösungsgeschäft kamen mannigfache Mißgriffe und Ungerech¬ tigkeiten vor. Manche Gutsbesitzer, die mit Abfindung der Bauern, Tage¬ löhner und Knechte Alles beendet zu haben glaubten, sind veranlaßt worden, noch allen preußischen Unterthanen, die ohne viel Umstände der russischen Regierung den Eid der Treue leisteten, Wohnung, Gartenland, Weide, Alles so wie sie es im Jahre 1864 besess-n, als Eigenthum zu überweisen. Den Commissarien ging mitunter das richtige Verständniß des betreffenden Ukases gänzlich ab. Fall?, wie der, daß ein Commissär dem herrschaftlichen Kuh- pächtec die erpachteten 60 Milchkühe, und einem Brennereipächter die Ge¬ bäude nebst Apparat und Utensilien als Eigenthum zuerkannte, wurden aller¬ dings bemerkt und redressirt; in manchen anderen Fällen aber sind grobe Verstöße durchgegangen, die sich später schwer verbessern lassen. In litevarischer Beziehung lastet die Censur ebenfalls sehr schwer auf dem bedrückten Lande. Im vergangenen Jahre war den Verlagsbuchhändlern die Erlaubniß zur Herausgabe von Kalendern, obschon sie zuvor das Im¬ primatur der Censur erhalten hatten, dennoch verweigert worden, weil die Kalender keine Biographien von russischen Männern enthielten, worin man eine passive Demonstration erblicken wollte. Die Abwendung der Gefahr dieses Verlustes hatten sie dem Statthalter Grafen Berg zu verdanken, aber für die Zukunfr wurde mindestens ein Artikel rein russischen Inhalts ver¬ langt. Ein neues Censurkomite' ist im März eingesetzt worden, in welches auch Männer polnischer und ausländischer Nationalität aufgenommen wur¬ den. Diesem liegt ob. die Localcensur in Warschau, die Censur der daselbst durch die Post ankommenden fremden Zeitungen, der aus dem Auslande eingeführten Bücher und Kunsthandelsartikel, die Ueberwachung der Drucke¬ reien, lithographischen und anderen Anstalten, wo Drucksachen und Aehn- liches verkauft werden, ferner der polytechnischen Institute und des Buch¬ handels in Warschau. Jetzt sollen sämmtliche Bücher und Schriften der öffentlichen Bibliotheken einer speciellen Revision unterworfen werden und es sind Abweichungen von den apprvbirten Katalogen und deponirten Ver¬ zeichnissen zu registriren, die nicht vorschriftsmäßig eingetragenen Bücher ein¬ zusenden. Auch die Büchersammlungen der öffentlichen Anstalten mit Aus¬ nahme der rein russischen Institute werden einer Durchsicht unterworfen, so wie die Bücher, welche Schülern aus Bibliotheken der Gymnasien und an¬ derer Institute zur häuslichen Lectüre leihweise gegeben werden, stets zur Genehmigung vorgelegen haben müssen. Romane und Bücher politischen Inhalts, gleichviel in welcher Sprache, dürfen an Schüler niemals, und von Geschichtswerken nur die speziell d.>zu genehmigten zum Lesen verabreicht werden. In den Jahren 1831 bis 1861 war die Einrichtung getroffen, cen¬ surwidrige Stellen in den ausländischen Zeitungen mit Tusche zu überziehen; Grenzboten III. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/105>, abgerufen am 17.06.2024.