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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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reich zu zertrümmern. Wien sei der Ort, wo auch die orientalische Frage zu
Gunsten Rußlands gelöst werden könne. Erst wenn Oestreich, der Feind im
Rücken, widerstandslos gemacht sei, könne Rußland in Constantinopel Fuß
sassen. Von Preußen meint Fadiejeff, daß es sich allein im Fall eines fran¬
zösisch-östreichischen Schutz- und Trutzbündnisses zu bedeutenden Concessionen
an Rußland entschließen würde. Außer in diesem Falle würde Rußland von
Preußen nichts Gutes zu erwarten haben. Er empfiehlt daher vielmehr eine
Allianz mit Frankreich, welches nur politische, aber keine moralischen Opfer
zu bringen haben würde. Jedes Zugeständnis) Preußens in der nationalen
slavischen Frage würde Rußland mit ähnlichen Concessionen bezahlen müssen.

Die Scheidewand zwischen Deutschland und dem russischen Reiche, welche
früher Polen bildete, haben die deutschen Mächte durch die Theilungen Polens
zuerst selbst niederzureißen begonnen, und durch die fortschreitende Russist,
cirung und Unterdrückung dieses Landes ist dieselbe fast vollständig zerstört
worden. Sind bisher die nachtheiligen Einflüsse davon durch das Streben
der russischen Macht, ihre Herrschaft nach Südost und Süden immer weiter
auszudehnen, noch abgewendet worden, so würden durch die Ausführung
jener Pläne des russischen Strategen desto schärfer die Gefahren für Deutsch¬
land hervortreten. Das Interesse für die Deutschen in Oestreich würve
Preußen ebenso wie in Deutschland wahrzunehmen bereit sein, und ein An¬
griff gegen jene zöge den norddeutschen Bund unter der Führung Preußens
sofort in Mitleidenschaft. Außer diesem gefährlichen russischen Nachbar wäre
ein Bündniß zwischen Oestreich und Frankreich sicher zu erwarten und es
bliebe Deutschland schließlich nur die Wahl, sich entweder diesem anzuschließen
oder an Rußland einen dem Volke unerwünschten Bundesgenossen zu suchen,
da allein zwischen beiden Parteien zu stehen eine Unmöglichkeit sein würde.

Wie weit ungeachtet des Dementis der russischen Gesandtschaft in Wien
die Fäden bereits gesponnen sind, um jene Ideen der russischen Zeitungs-
Artikel zur Wirklichkeit zu machen, und wie weit die inneren Verhältnisse
Rußlands die Aussichten darauf begründen, dafür gibt es thatsächliche An-
Haltepunkte genug.

In Moskau besteht sein längerer Zeit ein Slaven-Comite', welches auch
in Petersburg eine Filiale gestiftet und sich zur Aufgabe gemacht hat, eine
Verbindung sämmtlicher Slavenstämme im russischen Reiche mit den west-
und südslavtschen herzustellen durch persönlichen Verkehr eifriger und befähig¬
ter russischer Parteigenossen. Es wandern nicht blos von Moskau und'
Petersburg, aus Kiew und Warschau die Sendboten nach den außerrussischen
slavischen Ländern, sondern die Parteiführer selbst unternehmen große Mis¬
sionsreisen, wie der Präsident des Petersburger Comite's, Hilferding, eine
solche nach den österreichisch, und türkisch-slavischen Provinzen beabsichtigt.


Grenzboten III. 1870. 2

reich zu zertrümmern. Wien sei der Ort, wo auch die orientalische Frage zu
Gunsten Rußlands gelöst werden könne. Erst wenn Oestreich, der Feind im
Rücken, widerstandslos gemacht sei, könne Rußland in Constantinopel Fuß
sassen. Von Preußen meint Fadiejeff, daß es sich allein im Fall eines fran¬
zösisch-östreichischen Schutz- und Trutzbündnisses zu bedeutenden Concessionen
an Rußland entschließen würde. Außer in diesem Falle würde Rußland von
Preußen nichts Gutes zu erwarten haben. Er empfiehlt daher vielmehr eine
Allianz mit Frankreich, welches nur politische, aber keine moralischen Opfer
zu bringen haben würde. Jedes Zugeständnis) Preußens in der nationalen
slavischen Frage würde Rußland mit ähnlichen Concessionen bezahlen müssen.

Die Scheidewand zwischen Deutschland und dem russischen Reiche, welche
früher Polen bildete, haben die deutschen Mächte durch die Theilungen Polens
zuerst selbst niederzureißen begonnen, und durch die fortschreitende Russist,
cirung und Unterdrückung dieses Landes ist dieselbe fast vollständig zerstört
worden. Sind bisher die nachtheiligen Einflüsse davon durch das Streben
der russischen Macht, ihre Herrschaft nach Südost und Süden immer weiter
auszudehnen, noch abgewendet worden, so würden durch die Ausführung
jener Pläne des russischen Strategen desto schärfer die Gefahren für Deutsch¬
land hervortreten. Das Interesse für die Deutschen in Oestreich würve
Preußen ebenso wie in Deutschland wahrzunehmen bereit sein, und ein An¬
griff gegen jene zöge den norddeutschen Bund unter der Führung Preußens
sofort in Mitleidenschaft. Außer diesem gefährlichen russischen Nachbar wäre
ein Bündniß zwischen Oestreich und Frankreich sicher zu erwarten und es
bliebe Deutschland schließlich nur die Wahl, sich entweder diesem anzuschließen
oder an Rußland einen dem Volke unerwünschten Bundesgenossen zu suchen,
da allein zwischen beiden Parteien zu stehen eine Unmöglichkeit sein würde.

Wie weit ungeachtet des Dementis der russischen Gesandtschaft in Wien
die Fäden bereits gesponnen sind, um jene Ideen der russischen Zeitungs-
Artikel zur Wirklichkeit zu machen, und wie weit die inneren Verhältnisse
Rußlands die Aussichten darauf begründen, dafür gibt es thatsächliche An-
Haltepunkte genug.

In Moskau besteht sein längerer Zeit ein Slaven-Comite', welches auch
in Petersburg eine Filiale gestiftet und sich zur Aufgabe gemacht hat, eine
Verbindung sämmtlicher Slavenstämme im russischen Reiche mit den west-
und südslavtschen herzustellen durch persönlichen Verkehr eifriger und befähig¬
ter russischer Parteigenossen. Es wandern nicht blos von Moskau und'
Petersburg, aus Kiew und Warschau die Sendboten nach den außerrussischen
slavischen Ländern, sondern die Parteiführer selbst unternehmen große Mis¬
sionsreisen, wie der Präsident des Petersburger Comite's, Hilferding, eine
solche nach den österreichisch, und türkisch-slavischen Provinzen beabsichtigt.


Grenzboten III. 1870. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/17>, abgerufen am 18.05.2024.