Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gehörten, sondern zu Deutschland, und man merkte ihnen an, wie sehr sie
über die Entdeckung staunten. Fast in jeder Wohnstube protestantischer
Dörfer hing an der besten Wandstelle das Bild Luthers, daneben oft Käthe
Bora. Als der einquartierte Gast seinem Wirth vor diesem Bilde sagte:
ich wohne nahe an dem Ort, wo Doctor Luther geboren ist, da sah der
Elsasser wie betroffen drein und rief darauf fröhlich: "dann sind wir ja
Landsleute." --

Wir Deutsche hatten im Heereszuge den Elsaß betreten mit den klugen
Gedanken, welche unsere politische Lage nahe legte. Wir besitzen unsicheres
Grenzgebiet zur Genüge: Nordschleswiger, Polen, wie kann wünschenswerth
sein, den stillen Streit mit einer dritten Nationalität aufzunehmen, der
anspruchsvollsten und verhältnißmäßig stärksten von allen? Solcher Erwerb
wäre uns keine Stärkung, dem Gegner keine Schwächung, die ihn unschäd¬
licher machte, es wäre Erwerb eines in Confession und Sprache in sich zwie-
spältig getheilten Landes, es würde wieder ganz Europa mit Geschrei über
unsere Ländergier erfüllen, es würde wahrscheinlich ein ruhiges Einvernehmen
mit Frankreich auf lange Jahre unmöglich machen, vielleicht einen neuen
erbitterten Krieg um Wiedergewinn hervorrufen. Und wer soll es erhalten?
Ein kleiner Staat würde die Schwierigkeiten der Assimilation weit größer
finden, als ein großer, und im Besitz Preußens würde diese Vergrößerung
doppelte Aufregung und Neid hervorrufen.

Auch der Rath, das Land Elsaß nebst dem deutschen Saargebiet als
eigenen kleinen Staat durch eine Neutralität, welche Europa garantirr, zu
schützen, und solchen Staat als eine Scheide zwischen uns und Frankreich
aufzurichten, muß sich als schwer ausführbar erweisen. Eine eigene neue
Dynastie einführen, die gar keine Wurzeln im Lande hat, wäre dem Lande,
Europa und vor allem uns kein Gewinn. Das Land kann für den Verlust
seiner Beziehungen zu Paris nur entschädigt werden durch die Verbindung
mit einem großen Staatskörper, auch seine deutsche Nationalität kann nur
dadurch auf die Dauer gesichert werden. Von Frankreich losgerissen und an
Deutschland nicht festgeschlossen, würde es ohnmächtig dahinsiechen, in Sprache,
Sitte, Industrie wahrscheinlich das ,Schicksal Luxemburgs theilen. Ferner als
Kanton der Schweiz, -- was in vieler Hinsicht das beste Erreichbare wäre. --
ist der Elsaß deshalb unmöglich, weil die Schweiz sich entschieden weigern wird,
denselben aufzunehmen. Als Zutheil von Belgien würde er französirt. Endlich
haben wir durchaus nicht den Wunsch, durch neutralisirtes Gebiet von Frankreich
völlig geschieden zu werden. Solche Trennung wäre für uns unter Umstän¬
den ein großes Unglück. Sie würde nicht hindern, daß Frankreich, welches
außerdem noch auf lange die größere Flottenkraft besitzen wird, uns in jeder
Weise diplomatisch belästigte oder offenbar bekriegte, aber dieses neutrale


gehörten, sondern zu Deutschland, und man merkte ihnen an, wie sehr sie
über die Entdeckung staunten. Fast in jeder Wohnstube protestantischer
Dörfer hing an der besten Wandstelle das Bild Luthers, daneben oft Käthe
Bora. Als der einquartierte Gast seinem Wirth vor diesem Bilde sagte:
ich wohne nahe an dem Ort, wo Doctor Luther geboren ist, da sah der
Elsasser wie betroffen drein und rief darauf fröhlich: „dann sind wir ja
Landsleute." —

Wir Deutsche hatten im Heereszuge den Elsaß betreten mit den klugen
Gedanken, welche unsere politische Lage nahe legte. Wir besitzen unsicheres
Grenzgebiet zur Genüge: Nordschleswiger, Polen, wie kann wünschenswerth
sein, den stillen Streit mit einer dritten Nationalität aufzunehmen, der
anspruchsvollsten und verhältnißmäßig stärksten von allen? Solcher Erwerb
wäre uns keine Stärkung, dem Gegner keine Schwächung, die ihn unschäd¬
licher machte, es wäre Erwerb eines in Confession und Sprache in sich zwie-
spältig getheilten Landes, es würde wieder ganz Europa mit Geschrei über
unsere Ländergier erfüllen, es würde wahrscheinlich ein ruhiges Einvernehmen
mit Frankreich auf lange Jahre unmöglich machen, vielleicht einen neuen
erbitterten Krieg um Wiedergewinn hervorrufen. Und wer soll es erhalten?
Ein kleiner Staat würde die Schwierigkeiten der Assimilation weit größer
finden, als ein großer, und im Besitz Preußens würde diese Vergrößerung
doppelte Aufregung und Neid hervorrufen.

Auch der Rath, das Land Elsaß nebst dem deutschen Saargebiet als
eigenen kleinen Staat durch eine Neutralität, welche Europa garantirr, zu
schützen, und solchen Staat als eine Scheide zwischen uns und Frankreich
aufzurichten, muß sich als schwer ausführbar erweisen. Eine eigene neue
Dynastie einführen, die gar keine Wurzeln im Lande hat, wäre dem Lande,
Europa und vor allem uns kein Gewinn. Das Land kann für den Verlust
seiner Beziehungen zu Paris nur entschädigt werden durch die Verbindung
mit einem großen Staatskörper, auch seine deutsche Nationalität kann nur
dadurch auf die Dauer gesichert werden. Von Frankreich losgerissen und an
Deutschland nicht festgeschlossen, würde es ohnmächtig dahinsiechen, in Sprache,
Sitte, Industrie wahrscheinlich das ,Schicksal Luxemburgs theilen. Ferner als
Kanton der Schweiz, — was in vieler Hinsicht das beste Erreichbare wäre. —
ist der Elsaß deshalb unmöglich, weil die Schweiz sich entschieden weigern wird,
denselben aufzunehmen. Als Zutheil von Belgien würde er französirt. Endlich
haben wir durchaus nicht den Wunsch, durch neutralisirtes Gebiet von Frankreich
völlig geschieden zu werden. Solche Trennung wäre für uns unter Umstän¬
den ein großes Unglück. Sie würde nicht hindern, daß Frankreich, welches
außerdem noch auf lange die größere Flottenkraft besitzen wird, uns in jeder
Weise diplomatisch belästigte oder offenbar bekriegte, aber dieses neutrale


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124525"/>
            <p xml:id="ID_1103" prev="#ID_1102"> gehörten, sondern zu Deutschland, und man merkte ihnen an, wie sehr sie<lb/>
über die Entdeckung staunten. Fast in jeder Wohnstube protestantischer<lb/>
Dörfer hing an der besten Wandstelle das Bild Luthers, daneben oft Käthe<lb/>
Bora. Als der einquartierte Gast seinem Wirth vor diesem Bilde sagte:<lb/>
ich wohne nahe an dem Ort, wo Doctor Luther geboren ist, da sah der<lb/>
Elsasser wie betroffen drein und rief darauf fröhlich: &#x201E;dann sind wir ja<lb/>
Landsleute." &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1104"> Wir Deutsche hatten im Heereszuge den Elsaß betreten mit den klugen<lb/>
Gedanken, welche unsere politische Lage nahe legte. Wir besitzen unsicheres<lb/>
Grenzgebiet zur Genüge: Nordschleswiger, Polen, wie kann wünschenswerth<lb/>
sein, den stillen Streit mit einer dritten Nationalität aufzunehmen, der<lb/>
anspruchsvollsten und verhältnißmäßig stärksten von allen? Solcher Erwerb<lb/>
wäre uns keine Stärkung, dem Gegner keine Schwächung, die ihn unschäd¬<lb/>
licher machte, es wäre Erwerb eines in Confession und Sprache in sich zwie-<lb/>
spältig getheilten Landes, es würde wieder ganz Europa mit Geschrei über<lb/>
unsere Ländergier erfüllen, es würde wahrscheinlich ein ruhiges Einvernehmen<lb/>
mit Frankreich auf lange Jahre unmöglich machen, vielleicht einen neuen<lb/>
erbitterten Krieg um Wiedergewinn hervorrufen. Und wer soll es erhalten?<lb/>
Ein kleiner Staat würde die Schwierigkeiten der Assimilation weit größer<lb/>
finden, als ein großer, und im Besitz Preußens würde diese Vergrößerung<lb/>
doppelte Aufregung und Neid hervorrufen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1105" next="#ID_1106"> Auch der Rath, das Land Elsaß nebst dem deutschen Saargebiet als<lb/>
eigenen kleinen Staat durch eine Neutralität, welche Europa garantirr, zu<lb/>
schützen, und solchen Staat als eine Scheide zwischen uns und Frankreich<lb/>
aufzurichten, muß sich als schwer ausführbar erweisen. Eine eigene neue<lb/>
Dynastie einführen, die gar keine Wurzeln im Lande hat, wäre dem Lande,<lb/>
Europa und vor allem uns kein Gewinn. Das Land kann für den Verlust<lb/>
seiner Beziehungen zu Paris nur entschädigt werden durch die Verbindung<lb/>
mit einem großen Staatskörper, auch seine deutsche Nationalität kann nur<lb/>
dadurch auf die Dauer gesichert werden. Von Frankreich losgerissen und an<lb/>
Deutschland nicht festgeschlossen, würde es ohnmächtig dahinsiechen, in Sprache,<lb/>
Sitte, Industrie wahrscheinlich das ,Schicksal Luxemburgs theilen. Ferner als<lb/>
Kanton der Schweiz, &#x2014; was in vieler Hinsicht das beste Erreichbare wäre. &#x2014;<lb/>
ist der Elsaß deshalb unmöglich, weil die Schweiz sich entschieden weigern wird,<lb/>
denselben aufzunehmen. Als Zutheil von Belgien würde er französirt. Endlich<lb/>
haben wir durchaus nicht den Wunsch, durch neutralisirtes Gebiet von Frankreich<lb/>
völlig geschieden zu werden. Solche Trennung wäre für uns unter Umstän¬<lb/>
den ein großes Unglück. Sie würde nicht hindern, daß Frankreich, welches<lb/>
außerdem noch auf lange die größere Flottenkraft besitzen wird, uns in jeder<lb/>
Weise diplomatisch belästigte oder offenbar bekriegte, aber dieses neutrale</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0375] gehörten, sondern zu Deutschland, und man merkte ihnen an, wie sehr sie über die Entdeckung staunten. Fast in jeder Wohnstube protestantischer Dörfer hing an der besten Wandstelle das Bild Luthers, daneben oft Käthe Bora. Als der einquartierte Gast seinem Wirth vor diesem Bilde sagte: ich wohne nahe an dem Ort, wo Doctor Luther geboren ist, da sah der Elsasser wie betroffen drein und rief darauf fröhlich: „dann sind wir ja Landsleute." — Wir Deutsche hatten im Heereszuge den Elsaß betreten mit den klugen Gedanken, welche unsere politische Lage nahe legte. Wir besitzen unsicheres Grenzgebiet zur Genüge: Nordschleswiger, Polen, wie kann wünschenswerth sein, den stillen Streit mit einer dritten Nationalität aufzunehmen, der anspruchsvollsten und verhältnißmäßig stärksten von allen? Solcher Erwerb wäre uns keine Stärkung, dem Gegner keine Schwächung, die ihn unschäd¬ licher machte, es wäre Erwerb eines in Confession und Sprache in sich zwie- spältig getheilten Landes, es würde wieder ganz Europa mit Geschrei über unsere Ländergier erfüllen, es würde wahrscheinlich ein ruhiges Einvernehmen mit Frankreich auf lange Jahre unmöglich machen, vielleicht einen neuen erbitterten Krieg um Wiedergewinn hervorrufen. Und wer soll es erhalten? Ein kleiner Staat würde die Schwierigkeiten der Assimilation weit größer finden, als ein großer, und im Besitz Preußens würde diese Vergrößerung doppelte Aufregung und Neid hervorrufen. Auch der Rath, das Land Elsaß nebst dem deutschen Saargebiet als eigenen kleinen Staat durch eine Neutralität, welche Europa garantirr, zu schützen, und solchen Staat als eine Scheide zwischen uns und Frankreich aufzurichten, muß sich als schwer ausführbar erweisen. Eine eigene neue Dynastie einführen, die gar keine Wurzeln im Lande hat, wäre dem Lande, Europa und vor allem uns kein Gewinn. Das Land kann für den Verlust seiner Beziehungen zu Paris nur entschädigt werden durch die Verbindung mit einem großen Staatskörper, auch seine deutsche Nationalität kann nur dadurch auf die Dauer gesichert werden. Von Frankreich losgerissen und an Deutschland nicht festgeschlossen, würde es ohnmächtig dahinsiechen, in Sprache, Sitte, Industrie wahrscheinlich das ,Schicksal Luxemburgs theilen. Ferner als Kanton der Schweiz, — was in vieler Hinsicht das beste Erreichbare wäre. — ist der Elsaß deshalb unmöglich, weil die Schweiz sich entschieden weigern wird, denselben aufzunehmen. Als Zutheil von Belgien würde er französirt. Endlich haben wir durchaus nicht den Wunsch, durch neutralisirtes Gebiet von Frankreich völlig geschieden zu werden. Solche Trennung wäre für uns unter Umstän¬ den ein großes Unglück. Sie würde nicht hindern, daß Frankreich, welches außerdem noch auf lange die größere Flottenkraft besitzen wird, uns in jeder Weise diplomatisch belästigte oder offenbar bekriegte, aber dieses neutrale

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/375
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/375>, abgerufen am 18.05.2024.