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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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zu erweisen, daß der Süden mit dem Norden zusammen sich in Einem Staats¬
wesen vertrage, so pflegt die Belehrung ertheilt zu werden, daß der Schwabe
ein von sämmtlichen Völkern des Erdballs, insbesondere aber vom Deutschen
gänzlich verschiedenes Geschöpf sei. Aber dieser Beweis wird abwechselnd
mit sehr mannigfaltigen Argumenten geführt. Wie nämlich der "Beobachter"
schon das Land, wo Neckar und Donau jugendliche Bäche sind, das einemal
als einen fruchtbaren üppigen Garten schildert, wo Milch und Honig fließt,
und dessen Bewohner nur mit vornehmer Theilnahme auf die sandige Ebene
des rauhen Nordens herabsieht, das anderemal aber als ein gar armes sprö¬
des Land, das unsäglichem Fleiß nur dürftigen Ertrag liefert und äußerst
empfindlich ist gegen die Erfindung der Steuern, so erscheint in seinen Be¬
schreibungen auch der Mensch dieses Landes bald als ein von der Natur
über die Maßen begünstigtes, bald als ein traurig verkümmertes Wesen.
Heute ist der Schwabe der freie stolze Reindeutsche, vorragend vor allen an¬
deren Stämmen, von Natur schon ein fertiger Krieger, der deshalb nicht
der erniedrigenden Drillungen und Zwangsübungen bedarf, die für die kafsu-
bischen und obotritischen Stämme an Elbe und Oder taugen mögen. Ein
anderesmal aber wird dem Schwaben von seinen Vormündern bezeugt, daß
er ein überaus weiches, zartangelegtes Wesen sei, das die harten Entbeh¬
rungen nicht ertragen kann, wie sie das eichelfressende Geschlecht des Nordens
willig auf sich nimmt, und das zu Grunde gehen müßte, wenn an seine
körperlichen Leistungen, an seine Disciplin, an seinen Gehorsam dieselben
Anforderungen gemacht würden, bei welchen der übrige Deutsche immer noch
gedeiht. Ja der "Beobachter" hat neulich nicht ohne Glück versucht, aus den
verschiedenen Küchenzetteln der norddeutschen und der süddeutschen Völker¬
schaften die Unmöglichkeit der deutschen Einheit nachzuweisen versucht. Er
hat sogar allen Ernstes aus dem, wie er versicherte, erheblich größeren Appetit
der Schwaben sehr sinnreich erwiesen, daß schon in Rücksicht auf die ver¬
schiedenen Magenbedürsnisse von einer Gleichheit der Heereseinrichtungen nicht
die Rede sein könne. Denn bei Portionen, von welchen der selbstlosere nord¬
deutsche bereits die behaglichste Befriedigung seiner Gefühle empfinde, nage
dem Süddeutschen noch immer bitterster Hunger am Herzen, der nur durch
reichliche Zulage sei es von Knödeln (bayrische Specialität), sei es von
Spazier (schwäbische Nuance) überwunden werden könne. Und wer sich näher
in diese neuesten Studien zur deutschen Einheit vertiefen will, dem sei hier¬
mit die Nummer des "Beobachters" vom 21. April KuM anempfohlen.

Wie es sich aber auch mit diesen bis auf das culinarische Gebiet hinaus
gründlich studieren Finessen der Stammesverschiedenheiten verhält, gewiß ist,
daß das Vorurtheil, der Schwabe sei ein gänzlich apartes Geschöpf, dem man
ein besonderes Röckchen anziehen und ein besonderes Bettchen zurichten müsse.


zu erweisen, daß der Süden mit dem Norden zusammen sich in Einem Staats¬
wesen vertrage, so pflegt die Belehrung ertheilt zu werden, daß der Schwabe
ein von sämmtlichen Völkern des Erdballs, insbesondere aber vom Deutschen
gänzlich verschiedenes Geschöpf sei. Aber dieser Beweis wird abwechselnd
mit sehr mannigfaltigen Argumenten geführt. Wie nämlich der „Beobachter"
schon das Land, wo Neckar und Donau jugendliche Bäche sind, das einemal
als einen fruchtbaren üppigen Garten schildert, wo Milch und Honig fließt,
und dessen Bewohner nur mit vornehmer Theilnahme auf die sandige Ebene
des rauhen Nordens herabsieht, das anderemal aber als ein gar armes sprö¬
des Land, das unsäglichem Fleiß nur dürftigen Ertrag liefert und äußerst
empfindlich ist gegen die Erfindung der Steuern, so erscheint in seinen Be¬
schreibungen auch der Mensch dieses Landes bald als ein von der Natur
über die Maßen begünstigtes, bald als ein traurig verkümmertes Wesen.
Heute ist der Schwabe der freie stolze Reindeutsche, vorragend vor allen an¬
deren Stämmen, von Natur schon ein fertiger Krieger, der deshalb nicht
der erniedrigenden Drillungen und Zwangsübungen bedarf, die für die kafsu-
bischen und obotritischen Stämme an Elbe und Oder taugen mögen. Ein
anderesmal aber wird dem Schwaben von seinen Vormündern bezeugt, daß
er ein überaus weiches, zartangelegtes Wesen sei, das die harten Entbeh¬
rungen nicht ertragen kann, wie sie das eichelfressende Geschlecht des Nordens
willig auf sich nimmt, und das zu Grunde gehen müßte, wenn an seine
körperlichen Leistungen, an seine Disciplin, an seinen Gehorsam dieselben
Anforderungen gemacht würden, bei welchen der übrige Deutsche immer noch
gedeiht. Ja der „Beobachter" hat neulich nicht ohne Glück versucht, aus den
verschiedenen Küchenzetteln der norddeutschen und der süddeutschen Völker¬
schaften die Unmöglichkeit der deutschen Einheit nachzuweisen versucht. Er
hat sogar allen Ernstes aus dem, wie er versicherte, erheblich größeren Appetit
der Schwaben sehr sinnreich erwiesen, daß schon in Rücksicht auf die ver¬
schiedenen Magenbedürsnisse von einer Gleichheit der Heereseinrichtungen nicht
die Rede sein könne. Denn bei Portionen, von welchen der selbstlosere nord¬
deutsche bereits die behaglichste Befriedigung seiner Gefühle empfinde, nage
dem Süddeutschen noch immer bitterster Hunger am Herzen, der nur durch
reichliche Zulage sei es von Knödeln (bayrische Specialität), sei es von
Spazier (schwäbische Nuance) überwunden werden könne. Und wer sich näher
in diese neuesten Studien zur deutschen Einheit vertiefen will, dem sei hier¬
mit die Nummer des „Beobachters" vom 21. April KuM anempfohlen.

Wie es sich aber auch mit diesen bis auf das culinarische Gebiet hinaus
gründlich studieren Finessen der Stammesverschiedenheiten verhält, gewiß ist,
daß das Vorurtheil, der Schwabe sei ein gänzlich apartes Geschöpf, dem man
ein besonderes Röckchen anziehen und ein besonderes Bettchen zurichten müsse.


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[0039] zu erweisen, daß der Süden mit dem Norden zusammen sich in Einem Staats¬ wesen vertrage, so pflegt die Belehrung ertheilt zu werden, daß der Schwabe ein von sämmtlichen Völkern des Erdballs, insbesondere aber vom Deutschen gänzlich verschiedenes Geschöpf sei. Aber dieser Beweis wird abwechselnd mit sehr mannigfaltigen Argumenten geführt. Wie nämlich der „Beobachter" schon das Land, wo Neckar und Donau jugendliche Bäche sind, das einemal als einen fruchtbaren üppigen Garten schildert, wo Milch und Honig fließt, und dessen Bewohner nur mit vornehmer Theilnahme auf die sandige Ebene des rauhen Nordens herabsieht, das anderemal aber als ein gar armes sprö¬ des Land, das unsäglichem Fleiß nur dürftigen Ertrag liefert und äußerst empfindlich ist gegen die Erfindung der Steuern, so erscheint in seinen Be¬ schreibungen auch der Mensch dieses Landes bald als ein von der Natur über die Maßen begünstigtes, bald als ein traurig verkümmertes Wesen. Heute ist der Schwabe der freie stolze Reindeutsche, vorragend vor allen an¬ deren Stämmen, von Natur schon ein fertiger Krieger, der deshalb nicht der erniedrigenden Drillungen und Zwangsübungen bedarf, die für die kafsu- bischen und obotritischen Stämme an Elbe und Oder taugen mögen. Ein anderesmal aber wird dem Schwaben von seinen Vormündern bezeugt, daß er ein überaus weiches, zartangelegtes Wesen sei, das die harten Entbeh¬ rungen nicht ertragen kann, wie sie das eichelfressende Geschlecht des Nordens willig auf sich nimmt, und das zu Grunde gehen müßte, wenn an seine körperlichen Leistungen, an seine Disciplin, an seinen Gehorsam dieselben Anforderungen gemacht würden, bei welchen der übrige Deutsche immer noch gedeiht. Ja der „Beobachter" hat neulich nicht ohne Glück versucht, aus den verschiedenen Küchenzetteln der norddeutschen und der süddeutschen Völker¬ schaften die Unmöglichkeit der deutschen Einheit nachzuweisen versucht. Er hat sogar allen Ernstes aus dem, wie er versicherte, erheblich größeren Appetit der Schwaben sehr sinnreich erwiesen, daß schon in Rücksicht auf die ver¬ schiedenen Magenbedürsnisse von einer Gleichheit der Heereseinrichtungen nicht die Rede sein könne. Denn bei Portionen, von welchen der selbstlosere nord¬ deutsche bereits die behaglichste Befriedigung seiner Gefühle empfinde, nage dem Süddeutschen noch immer bitterster Hunger am Herzen, der nur durch reichliche Zulage sei es von Knödeln (bayrische Specialität), sei es von Spazier (schwäbische Nuance) überwunden werden könne. Und wer sich näher in diese neuesten Studien zur deutschen Einheit vertiefen will, dem sei hier¬ mit die Nummer des „Beobachters" vom 21. April KuM anempfohlen. Wie es sich aber auch mit diesen bis auf das culinarische Gebiet hinaus gründlich studieren Finessen der Stammesverschiedenheiten verhält, gewiß ist, daß das Vorurtheil, der Schwabe sei ein gänzlich apartes Geschöpf, dem man ein besonderes Röckchen anziehen und ein besonderes Bettchen zurichten müsse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/39>, abgerufen am 26.05.2024.