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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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seien und doch nicht offen mit ihren Freunden von der süddeutschen Fraktion
brechen mochten.

Um so größer war die Ueberraschung, als sich herausstellte, daß die
württembergischen Bevollmächtigten im Zollbundesrath -- die, wie man
wissen wollte, selbst davon peinlich berührt waren -- fortwährend Jnstructio-
nen erhielten, als betrachte sich die Stuttgarter Regierung lediglich als das
officielle Organ der süddeutschen Fraction. Alle Vorschläge der Tarisreform
stießen auf ihr unabänderliches Nein. Selbst die bayrische Stimme trennte
sich am Ende von der württembergischen, als diese auch gegen das Patow'sche
Compromiß ihr ohnmächtiges Veto einlegte. Wäre es auf Württemberg an¬
gekommen, so wäre das Zollparlament auch in seiner dritten Session resultat¬
los auseinandergegangen. Es war, als ob Moritz Mohl selber die württem¬
bergische Stimme führte. Und im Grunde war es auch so. Denn die Absicht
war allerdings keine andere, als sich die gute Laune des Abgeordneten von
Aalen zu sichern, damit unter seiner Führung ein Theil der großdeutschen
Linken von der bekannten Coalition der 43 Oppositionsabgeordneten los¬
gesprengt würde, eine Berechnung, über deren Zuverlässigkeit heute noch kein
Urtheil möglich ist. Man weiß nur, daß Mohl schon in seinem Commissions¬
bericht von der Milizfraction sich entschieden losgesagt hat, und es wäre
allerdings höchlich zu bedauern, wenn die Regierung so vieler Liebe Müh
umsonst verschwendet hätte.

Weniger als die Haltung der württembergischen Regierung hatte freilich
die der württembergischen Abgeordneten zum Zollparlament überraschen kön¬
nen. Sie beschlossen die letzte Session wie sie die erste begonnen hatten, und
auch dasselbe Mißgeschick, das sie von Anfang an verfolgte, sollte sich bis
zum Ende an ihre Fersen heften. Das erstemal war es, wie man sich er¬
innert, Probst gewesen, der sich im Namen der süddeutschen Fraction un-
vorsichtigerweise auf das politische Roß schwang, um vom Grafen Bismarck
unsanft herabgeworfen zu werden. Diesmal stellte sich mit anerkennens-
werther Verleugnung Becher, der "Reichsagent" aus dem I. 1849, ins Vorder¬
treffen, um den Bamberger'schen Antrag auf Zuziehung von Vertretern der
süddeutschen Regierungen zu den Vorbereitungen einer deutschen Münz¬
reform mit all dem Aufwand sittlicher Entrüstung, deren der schwäbische Par-
ticulartsmus fähig ist, niederzustrecken. Der Antrag eines Nationalliberalen
ist selbstverständlich an sich schon verdächtig und schließt im Zweifelssall eine
Überschreitung der Kompetenz in sich, als deren argusäugige Wächter sich
die Schwaben bestellt wissen. Kommt vollends in einem solchen Antrag das
Wort "süddeutsch" vor, so steigert sich der Argwohn zur Gewißheit und
liegt es auf der Hand, daß es sich um ein schwarzes Attentat auf die Selb¬
ständigkeit der süddeutschen Staaten handelt, daß hier eine Falle aufgestellt


Grenzboten til. 1370. 5

seien und doch nicht offen mit ihren Freunden von der süddeutschen Fraktion
brechen mochten.

Um so größer war die Ueberraschung, als sich herausstellte, daß die
württembergischen Bevollmächtigten im Zollbundesrath — die, wie man
wissen wollte, selbst davon peinlich berührt waren — fortwährend Jnstructio-
nen erhielten, als betrachte sich die Stuttgarter Regierung lediglich als das
officielle Organ der süddeutschen Fraction. Alle Vorschläge der Tarisreform
stießen auf ihr unabänderliches Nein. Selbst die bayrische Stimme trennte
sich am Ende von der württembergischen, als diese auch gegen das Patow'sche
Compromiß ihr ohnmächtiges Veto einlegte. Wäre es auf Württemberg an¬
gekommen, so wäre das Zollparlament auch in seiner dritten Session resultat¬
los auseinandergegangen. Es war, als ob Moritz Mohl selber die württem¬
bergische Stimme führte. Und im Grunde war es auch so. Denn die Absicht
war allerdings keine andere, als sich die gute Laune des Abgeordneten von
Aalen zu sichern, damit unter seiner Führung ein Theil der großdeutschen
Linken von der bekannten Coalition der 43 Oppositionsabgeordneten los¬
gesprengt würde, eine Berechnung, über deren Zuverlässigkeit heute noch kein
Urtheil möglich ist. Man weiß nur, daß Mohl schon in seinem Commissions¬
bericht von der Milizfraction sich entschieden losgesagt hat, und es wäre
allerdings höchlich zu bedauern, wenn die Regierung so vieler Liebe Müh
umsonst verschwendet hätte.

Weniger als die Haltung der württembergischen Regierung hatte freilich
die der württembergischen Abgeordneten zum Zollparlament überraschen kön¬
nen. Sie beschlossen die letzte Session wie sie die erste begonnen hatten, und
auch dasselbe Mißgeschick, das sie von Anfang an verfolgte, sollte sich bis
zum Ende an ihre Fersen heften. Das erstemal war es, wie man sich er¬
innert, Probst gewesen, der sich im Namen der süddeutschen Fraction un-
vorsichtigerweise auf das politische Roß schwang, um vom Grafen Bismarck
unsanft herabgeworfen zu werden. Diesmal stellte sich mit anerkennens-
werther Verleugnung Becher, der „Reichsagent" aus dem I. 1849, ins Vorder¬
treffen, um den Bamberger'schen Antrag auf Zuziehung von Vertretern der
süddeutschen Regierungen zu den Vorbereitungen einer deutschen Münz¬
reform mit all dem Aufwand sittlicher Entrüstung, deren der schwäbische Par-
ticulartsmus fähig ist, niederzustrecken. Der Antrag eines Nationalliberalen
ist selbstverständlich an sich schon verdächtig und schließt im Zweifelssall eine
Überschreitung der Kompetenz in sich, als deren argusäugige Wächter sich
die Schwaben bestellt wissen. Kommt vollends in einem solchen Antrag das
Wort „süddeutsch" vor, so steigert sich der Argwohn zur Gewißheit und
liegt es auf der Hand, daß es sich um ein schwarzes Attentat auf die Selb¬
ständigkeit der süddeutschen Staaten handelt, daß hier eine Falle aufgestellt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/41>, abgerufen am 26.05.2024.