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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Transporte von Lebensmitteln und Munition zu sichern, für Lagerung der
Truppen zu sorgen, die Lazarethe herzurichten und im Felde die Gerichtsbar¬
keit auszuüben. Die Erhaltung der Armee war somit ganz in die Hand
der Intendantur gegeben, ihr Wohl und Wehe hing daher zunächst von dieser,
namentlich im Felde, ab. Dazu mußten der Intendantur natürlich große
Summen zur Verfügung stehen, wobei sie, um solche stets erheben zu können,
mit einem ganz absoluten Monopol, sowie mit einem unumschränkten Credit
versehen war.*)

Hatte ein solch complicirter Mechanismus im Bunde mit der starrsten
Bureaukratie schon manches Bedenkliche bei einer ehrlichen Verwaltung mit
gutem Willen, so wurde sie geradezu eine für Staat und Heer gefahrvolle,
wenn das in das Gegentheil umschlug. Die vielen Millionen gingen durch
gar viele Hände und -- dabei wusch eine die andere-. -- Das war
längst im Publicum öffentliches Geheimniß, und die Corruption unter dem
zweiten Kaiserreich that vollends das Ihre, auch in diese Branche eine furcht¬
bare Verwirrung zu bringen. Die höheren Chefs waren meist verbrauchte
-und unfähige Generale, denen man hier eine Sineeure gab; die schon durch
ihre Borgänger und ihr Unterpersonal daran gewöhnt waren, Verfügungen
und Quittungen zu unterzeichnen, ohne sie gelesen zu haben. Was vom
Obersten befohlen war, wurde, ohne weiter darüber zu denken und zu prüfen,
sofort ausgeführt, da man nur nach dieser Seite hin eine Verantwortlichkeit
kannte, dem Lande gegenüber aber keine zu haben wähnte. Man arbeitete
mit Ziffern und blendete mit diesen; die Etats standen wohl auf dem Papier,
aber man prüfte sie nicht. Der Zifferngeist überwucherte das Gewebe und
d!e Seitencanäle, in welche die Summen flössen, die zu ganz anderen Zwecken
bestimmt waren. Hatte es der Marschall Niet nicht vermocht, sich diesen
Umgarnungen zu entreißen, so fiel das seinen Nachfolgern noch schwerer.

Als der letzte Krieg vorbereitet wurde, war an Niet's Stelle der Mar¬
schall Leboeuf getreten, der wohl als ein tüchtiger Artillerist, weniger
aber als Generalstabschef und vollends als Organisator und Admini¬
strator einen Namen hatte. Die Verwaltung blieb auch bei ihm mehr
Nebensache, und so ging in dieser auch unter ihm Alles im alten
Schlendrian fort. Auch er begnügte sich damit, Alles, was man ihm auf
dem Papier vorwies, für wahr und richtig zu halten und in diesem guten
Glauben und im Vertrauen auf seine Untergebenen, unterschrieb auch er, was
man ihm vorlegte. So kam es, daß, als er im gesetzgebenden Körper nach
der Kriegserklärung so heftig und wiederholt darüber interpellirt wurde: ob
auch die Armee in der Verfassung sei, den Kampf mit Erfolg aufnehmen zu



"Journal d- IM'
Grenzboten I. 1871.

Transporte von Lebensmitteln und Munition zu sichern, für Lagerung der
Truppen zu sorgen, die Lazarethe herzurichten und im Felde die Gerichtsbar¬
keit auszuüben. Die Erhaltung der Armee war somit ganz in die Hand
der Intendantur gegeben, ihr Wohl und Wehe hing daher zunächst von dieser,
namentlich im Felde, ab. Dazu mußten der Intendantur natürlich große
Summen zur Verfügung stehen, wobei sie, um solche stets erheben zu können,
mit einem ganz absoluten Monopol, sowie mit einem unumschränkten Credit
versehen war.*)

Hatte ein solch complicirter Mechanismus im Bunde mit der starrsten
Bureaukratie schon manches Bedenkliche bei einer ehrlichen Verwaltung mit
gutem Willen, so wurde sie geradezu eine für Staat und Heer gefahrvolle,
wenn das in das Gegentheil umschlug. Die vielen Millionen gingen durch
gar viele Hände und — dabei wusch eine die andere-. — Das war
längst im Publicum öffentliches Geheimniß, und die Corruption unter dem
zweiten Kaiserreich that vollends das Ihre, auch in diese Branche eine furcht¬
bare Verwirrung zu bringen. Die höheren Chefs waren meist verbrauchte
-und unfähige Generale, denen man hier eine Sineeure gab; die schon durch
ihre Borgänger und ihr Unterpersonal daran gewöhnt waren, Verfügungen
und Quittungen zu unterzeichnen, ohne sie gelesen zu haben. Was vom
Obersten befohlen war, wurde, ohne weiter darüber zu denken und zu prüfen,
sofort ausgeführt, da man nur nach dieser Seite hin eine Verantwortlichkeit
kannte, dem Lande gegenüber aber keine zu haben wähnte. Man arbeitete
mit Ziffern und blendete mit diesen; die Etats standen wohl auf dem Papier,
aber man prüfte sie nicht. Der Zifferngeist überwucherte das Gewebe und
d!e Seitencanäle, in welche die Summen flössen, die zu ganz anderen Zwecken
bestimmt waren. Hatte es der Marschall Niet nicht vermocht, sich diesen
Umgarnungen zu entreißen, so fiel das seinen Nachfolgern noch schwerer.

Als der letzte Krieg vorbereitet wurde, war an Niet's Stelle der Mar¬
schall Leboeuf getreten, der wohl als ein tüchtiger Artillerist, weniger
aber als Generalstabschef und vollends als Organisator und Admini¬
strator einen Namen hatte. Die Verwaltung blieb auch bei ihm mehr
Nebensache, und so ging in dieser auch unter ihm Alles im alten
Schlendrian fort. Auch er begnügte sich damit, Alles, was man ihm auf
dem Papier vorwies, für wahr und richtig zu halten und in diesem guten
Glauben und im Vertrauen auf seine Untergebenen, unterschrieb auch er, was
man ihm vorlegte. So kam es, daß, als er im gesetzgebenden Körper nach
der Kriegserklärung so heftig und wiederholt darüber interpellirt wurde: ob
auch die Armee in der Verfassung sei, den Kampf mit Erfolg aufnehmen zu



„Journal d- IM'
Grenzboten I. 1871.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/153>, abgerufen am 18.06.2024.