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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Deutsche und "Aolen während des Krieges.

Wenn nach langer Unterbrechung diesen Blättern wieder ein Mal über
das Leben und Streben in den slawischen Ostmarken Preußens und Deutsch¬
lands berichtet wird, welcher Gegenstand sollte sich da wohl eher aufdrängen,
als der Krieg, und das Verhältniß dieser Provinz zu ihm? -- Das Inter¬
esse am Kriege ist in Posen womöglich noch stärker, als in anderen Provin¬
zen, etwa die westlichen Grenzlande ausgenommen. Bei den Deutschen bleibt
hier das Nationalgefühl wegen des Gegensatzes zu den feindlichen polnischen
Nebenwohnern immerwährend rege; sie wissen und empfinden tief, daß ihre
nationale, sogar ihre wirthschaftliche Existenz mit der Macht und Größe des
Gesammtvaterlandes steht und fällt. Darum ist man auch von ihrer Seite
seit dem Beginn des großen Kampfes so opferwillig gewesen, wie nur irgend
sonstwo; namentlich hat man sich ohne Murren freudig und freiwillig unter
die Waffen gestellt. Mehrere Beispiele von besonders zahlreicher Betheiligung
einzelner Familien sind bekannt geworden, darunter der seltne Fall, daß aus
einer Familie von märkischen Adel zehn Brüder, größtentheils als Offiziere,
gegen den Feind zogen. Auch vom Auslande, besonders aus Rußland,
strömten Tausende von deutschen Posenern im Juli und August zu den Fah¬
nen nach der Heimath; nicht wenige von ihnen hätten sich ungefährdet dem
Waffendienst entziehen können. Und ihre Stammgenossen in Warschau, Lody,
Riga, Petersburg u. s. w. unterstützten sie, und begleiten sie jetzt mit ihren
Segenswünschen auf den Schlachtfeldern jenseits der Mosel. Es ist uns ein Fall
bekannt, daß ein Kaufmann in Riga seinem Buchhalter, von der Netze, der
jetzt vor Paris liegt, während seiner ganzen Abwesenheit im Felde die Stelle
offen läßt und ihm sein Gehalt im Betrage von 1000 Rubel jährlich auszahlt.

Die Polen der Provinz haben dagegen von Anfang an bis auf den heu¬
tigen Tag ihre Parteinahme in ihrem Herzen für die Franzosen mit einer
achtungswerthen Offenheit zu erkennen gegeben -- nicht alle -- fern sei von
uns, so etwas zu behaupten -- vielmehr dient eine nicht geringe Anzahl von
ihnen im preußischen Heere als Offiziere, und an ihrer Treue und Ehrenhaf¬
tigkeit zu zweifeln, wäre widersinnig; sind doch viele von ihnen mit dem eiser¬
nen Kreuz geschmückt worden. Es hat ferner auch nicht an einzelnen patrio¬
tischen Kundgebungen von polnischen Landwehrleuten gefehlt. So verlangten
mehrere, die in Graudenz lagen, in einem naiven Briefe an den Prinzen
Friedrich Karl, daß sie gegen den Feind geführt werden möchten. Endlich
sind an den König einige Ergebenheitsadressen von Polen der Provinz ab¬
gesendet worden. Dabei ist freilich diejenige, welche nach einer Nachricht des


Deutsche und "Aolen während des Krieges.

Wenn nach langer Unterbrechung diesen Blättern wieder ein Mal über
das Leben und Streben in den slawischen Ostmarken Preußens und Deutsch¬
lands berichtet wird, welcher Gegenstand sollte sich da wohl eher aufdrängen,
als der Krieg, und das Verhältniß dieser Provinz zu ihm? — Das Inter¬
esse am Kriege ist in Posen womöglich noch stärker, als in anderen Provin¬
zen, etwa die westlichen Grenzlande ausgenommen. Bei den Deutschen bleibt
hier das Nationalgefühl wegen des Gegensatzes zu den feindlichen polnischen
Nebenwohnern immerwährend rege; sie wissen und empfinden tief, daß ihre
nationale, sogar ihre wirthschaftliche Existenz mit der Macht und Größe des
Gesammtvaterlandes steht und fällt. Darum ist man auch von ihrer Seite
seit dem Beginn des großen Kampfes so opferwillig gewesen, wie nur irgend
sonstwo; namentlich hat man sich ohne Murren freudig und freiwillig unter
die Waffen gestellt. Mehrere Beispiele von besonders zahlreicher Betheiligung
einzelner Familien sind bekannt geworden, darunter der seltne Fall, daß aus
einer Familie von märkischen Adel zehn Brüder, größtentheils als Offiziere,
gegen den Feind zogen. Auch vom Auslande, besonders aus Rußland,
strömten Tausende von deutschen Posenern im Juli und August zu den Fah¬
nen nach der Heimath; nicht wenige von ihnen hätten sich ungefährdet dem
Waffendienst entziehen können. Und ihre Stammgenossen in Warschau, Lody,
Riga, Petersburg u. s. w. unterstützten sie, und begleiten sie jetzt mit ihren
Segenswünschen auf den Schlachtfeldern jenseits der Mosel. Es ist uns ein Fall
bekannt, daß ein Kaufmann in Riga seinem Buchhalter, von der Netze, der
jetzt vor Paris liegt, während seiner ganzen Abwesenheit im Felde die Stelle
offen läßt und ihm sein Gehalt im Betrage von 1000 Rubel jährlich auszahlt.

Die Polen der Provinz haben dagegen von Anfang an bis auf den heu¬
tigen Tag ihre Parteinahme in ihrem Herzen für die Franzosen mit einer
achtungswerthen Offenheit zu erkennen gegeben — nicht alle — fern sei von
uns, so etwas zu behaupten — vielmehr dient eine nicht geringe Anzahl von
ihnen im preußischen Heere als Offiziere, und an ihrer Treue und Ehrenhaf¬
tigkeit zu zweifeln, wäre widersinnig; sind doch viele von ihnen mit dem eiser¬
nen Kreuz geschmückt worden. Es hat ferner auch nicht an einzelnen patrio¬
tischen Kundgebungen von polnischen Landwehrleuten gefehlt. So verlangten
mehrere, die in Graudenz lagen, in einem naiven Briefe an den Prinzen
Friedrich Karl, daß sie gegen den Feind geführt werden möchten. Endlich
sind an den König einige Ergebenheitsadressen von Polen der Provinz ab¬
gesendet worden. Dabei ist freilich diejenige, welche nach einer Nachricht des


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[0164] Deutsche und "Aolen während des Krieges. Wenn nach langer Unterbrechung diesen Blättern wieder ein Mal über das Leben und Streben in den slawischen Ostmarken Preußens und Deutsch¬ lands berichtet wird, welcher Gegenstand sollte sich da wohl eher aufdrängen, als der Krieg, und das Verhältniß dieser Provinz zu ihm? — Das Inter¬ esse am Kriege ist in Posen womöglich noch stärker, als in anderen Provin¬ zen, etwa die westlichen Grenzlande ausgenommen. Bei den Deutschen bleibt hier das Nationalgefühl wegen des Gegensatzes zu den feindlichen polnischen Nebenwohnern immerwährend rege; sie wissen und empfinden tief, daß ihre nationale, sogar ihre wirthschaftliche Existenz mit der Macht und Größe des Gesammtvaterlandes steht und fällt. Darum ist man auch von ihrer Seite seit dem Beginn des großen Kampfes so opferwillig gewesen, wie nur irgend sonstwo; namentlich hat man sich ohne Murren freudig und freiwillig unter die Waffen gestellt. Mehrere Beispiele von besonders zahlreicher Betheiligung einzelner Familien sind bekannt geworden, darunter der seltne Fall, daß aus einer Familie von märkischen Adel zehn Brüder, größtentheils als Offiziere, gegen den Feind zogen. Auch vom Auslande, besonders aus Rußland, strömten Tausende von deutschen Posenern im Juli und August zu den Fah¬ nen nach der Heimath; nicht wenige von ihnen hätten sich ungefährdet dem Waffendienst entziehen können. Und ihre Stammgenossen in Warschau, Lody, Riga, Petersburg u. s. w. unterstützten sie, und begleiten sie jetzt mit ihren Segenswünschen auf den Schlachtfeldern jenseits der Mosel. Es ist uns ein Fall bekannt, daß ein Kaufmann in Riga seinem Buchhalter, von der Netze, der jetzt vor Paris liegt, während seiner ganzen Abwesenheit im Felde die Stelle offen läßt und ihm sein Gehalt im Betrage von 1000 Rubel jährlich auszahlt. Die Polen der Provinz haben dagegen von Anfang an bis auf den heu¬ tigen Tag ihre Parteinahme in ihrem Herzen für die Franzosen mit einer achtungswerthen Offenheit zu erkennen gegeben — nicht alle — fern sei von uns, so etwas zu behaupten — vielmehr dient eine nicht geringe Anzahl von ihnen im preußischen Heere als Offiziere, und an ihrer Treue und Ehrenhaf¬ tigkeit zu zweifeln, wäre widersinnig; sind doch viele von ihnen mit dem eiser¬ nen Kreuz geschmückt worden. Es hat ferner auch nicht an einzelnen patrio¬ tischen Kundgebungen von polnischen Landwehrleuten gefehlt. So verlangten mehrere, die in Graudenz lagen, in einem naiven Briefe an den Prinzen Friedrich Karl, daß sie gegen den Feind geführt werden möchten. Endlich sind an den König einige Ergebenheitsadressen von Polen der Provinz ab¬ gesendet worden. Dabei ist freilich diejenige, welche nach einer Nachricht des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/164>, abgerufen am 17.06.2024.