Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nur auf äußeren Glanz und Macht gerichtet; das nennen beide Freiheit oder
nach Umständen Recht. Den Wohlstand, die Cultur, die Geistesbildung, die
Rechtssicherheit, welche der Deutsche dem ersteren in Großpolen geschenkt hat,
achtet er gering; er dankt nicht einmal dafür, daß ihm jetzt wieder Klöster für
Capuziner, Bernhardiner, Franziscaner, Carmeliterinnen, Ursulinerinnen zu
errichten vergönnt ist nach Herzenslust, ja daß er seine unentbehrlichen Jesuiten
leibhaftig wieder bei sich beherbergen kann. Unvergeßlich bleiben ihm dagegen
die Castellaneien, Starosteien, Wojewodschaften von Gnesen und Posen, wo
es im 17. Jahrhundert gar keine deutschen Ketzer mehr gab; Kujawien hieß
Kulm, Malborg Marienb.urg u. f. w.

Doch zurück von dieser Abschweifung, zu der uns der Mißmuth über den
unheilbaren Fieberwahn eines Todessiechen geführt hat. Wir wollten An¬
zeichen und Beweise dafür geben daß die Polen der Provinz in unserem
Kampfe mit den Franzosen, im Herzen aus der Letzteren Seite stehen und so¬
weit selbst gegen die hiesigen Deutschen, wie gegen das ganze deutsche Volk
eine feindliche Stellung einnehmen. In aller Schroffheit tritt dieses Verhält¬
niß darin zu Tage, daß die polnischen Emigranten in ganz Europa offen auf
der Seite unserer Feinde stehen und in abgesonderten Freischaaren an der
Seine, an der Loire und der Saone die Waffen gegen uns führen, daß die
posener Polen, wie 1848 und 1863, so auch jetzt mit jenen, ihren Stammge¬
nossen im besten Einvernehmen stehen und daß der "Dziennik", wie andere
polnische Blätter, mit Behagen prahlerische Berichte über ihre angeblichen
Heldenthaten gegen unsere Brüder, ja gegen ihre eigenen Stammesbrüder,
welche unter preußischen Fahnen stehen, bringt. Bemerkenswerth besonders
ist einer von einem Capitain in der Pariser Nationalgarde, weil sich darin
das auch anderwärts zu Tage tretende widerliche Gemisch von tödtlichem
Stammeshaß und finsterer Bigotterie auf eine grelle Weise ausspricht. Es
heißt darin u. A.:

"Obwohl ich Capitän bin, so führe ich dennoch den Carabiner und
mache als tüchtiger Schütze den ausgiebigsten Gebrauch von dieser Waffe.
Ich habe die Gewohnheit, so oft ich 10 Preußen niedergestreckt habe, ein
Kreuz auf den Gewehrkolben einzuschneiden und zähle solcher Kreuze bereits
2Vü- Ich hoffe, daß noch mehr dazu kommen werden. Mein Carabiner ist
ein ganz vortreffliches Chasfepotgewehr. Vor Beginn der Schlacht segne ich
mich mit dem Zeichen des Kreuzes und verrichte ein kurzes Gebet, daß ich
unversehrt aus dem Kampfe herauskomme; nach beendigter Schlacht küsse ich
meinen Carabiner, der mir so gute Dienste geleistet hat."

Es fehlt übrigens auch nicht an unmittelbaren Ausbrüchen der Stammes¬
feindschaft in der Provinz selbst. So wurden in der Stadt Posen bei der
Feier des Sieges von Sedan von polnischen Schülern Steine auf die Theil-


nur auf äußeren Glanz und Macht gerichtet; das nennen beide Freiheit oder
nach Umständen Recht. Den Wohlstand, die Cultur, die Geistesbildung, die
Rechtssicherheit, welche der Deutsche dem ersteren in Großpolen geschenkt hat,
achtet er gering; er dankt nicht einmal dafür, daß ihm jetzt wieder Klöster für
Capuziner, Bernhardiner, Franziscaner, Carmeliterinnen, Ursulinerinnen zu
errichten vergönnt ist nach Herzenslust, ja daß er seine unentbehrlichen Jesuiten
leibhaftig wieder bei sich beherbergen kann. Unvergeßlich bleiben ihm dagegen
die Castellaneien, Starosteien, Wojewodschaften von Gnesen und Posen, wo
es im 17. Jahrhundert gar keine deutschen Ketzer mehr gab; Kujawien hieß
Kulm, Malborg Marienb.urg u. f. w.

Doch zurück von dieser Abschweifung, zu der uns der Mißmuth über den
unheilbaren Fieberwahn eines Todessiechen geführt hat. Wir wollten An¬
zeichen und Beweise dafür geben daß die Polen der Provinz in unserem
Kampfe mit den Franzosen, im Herzen aus der Letzteren Seite stehen und so¬
weit selbst gegen die hiesigen Deutschen, wie gegen das ganze deutsche Volk
eine feindliche Stellung einnehmen. In aller Schroffheit tritt dieses Verhält¬
niß darin zu Tage, daß die polnischen Emigranten in ganz Europa offen auf
der Seite unserer Feinde stehen und in abgesonderten Freischaaren an der
Seine, an der Loire und der Saone die Waffen gegen uns führen, daß die
posener Polen, wie 1848 und 1863, so auch jetzt mit jenen, ihren Stammge¬
nossen im besten Einvernehmen stehen und daß der „Dziennik", wie andere
polnische Blätter, mit Behagen prahlerische Berichte über ihre angeblichen
Heldenthaten gegen unsere Brüder, ja gegen ihre eigenen Stammesbrüder,
welche unter preußischen Fahnen stehen, bringt. Bemerkenswerth besonders
ist einer von einem Capitain in der Pariser Nationalgarde, weil sich darin
das auch anderwärts zu Tage tretende widerliche Gemisch von tödtlichem
Stammeshaß und finsterer Bigotterie auf eine grelle Weise ausspricht. Es
heißt darin u. A.:

„Obwohl ich Capitän bin, so führe ich dennoch den Carabiner und
mache als tüchtiger Schütze den ausgiebigsten Gebrauch von dieser Waffe.
Ich habe die Gewohnheit, so oft ich 10 Preußen niedergestreckt habe, ein
Kreuz auf den Gewehrkolben einzuschneiden und zähle solcher Kreuze bereits
2Vü- Ich hoffe, daß noch mehr dazu kommen werden. Mein Carabiner ist
ein ganz vortreffliches Chasfepotgewehr. Vor Beginn der Schlacht segne ich
mich mit dem Zeichen des Kreuzes und verrichte ein kurzes Gebet, daß ich
unversehrt aus dem Kampfe herauskomme; nach beendigter Schlacht küsse ich
meinen Carabiner, der mir so gute Dienste geleistet hat."

Es fehlt übrigens auch nicht an unmittelbaren Ausbrüchen der Stammes¬
feindschaft in der Provinz selbst. So wurden in der Stadt Posen bei der
Feier des Sieges von Sedan von polnischen Schülern Steine auf die Theil-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125410"/>
          <p xml:id="ID_587" prev="#ID_586"> nur auf äußeren Glanz und Macht gerichtet; das nennen beide Freiheit oder<lb/>
nach Umständen Recht. Den Wohlstand, die Cultur, die Geistesbildung, die<lb/>
Rechtssicherheit, welche der Deutsche dem ersteren in Großpolen geschenkt hat,<lb/>
achtet er gering; er dankt nicht einmal dafür, daß ihm jetzt wieder Klöster für<lb/>
Capuziner, Bernhardiner, Franziscaner, Carmeliterinnen, Ursulinerinnen zu<lb/>
errichten vergönnt ist nach Herzenslust, ja daß er seine unentbehrlichen Jesuiten<lb/>
leibhaftig wieder bei sich beherbergen kann. Unvergeßlich bleiben ihm dagegen<lb/>
die Castellaneien, Starosteien, Wojewodschaften von Gnesen und Posen, wo<lb/>
es im 17. Jahrhundert gar keine deutschen Ketzer mehr gab; Kujawien hieß<lb/>
Kulm, Malborg Marienb.urg u. f. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588"> Doch zurück von dieser Abschweifung, zu der uns der Mißmuth über den<lb/>
unheilbaren Fieberwahn eines Todessiechen geführt hat. Wir wollten An¬<lb/>
zeichen und Beweise dafür geben daß die Polen der Provinz in unserem<lb/>
Kampfe mit den Franzosen, im Herzen aus der Letzteren Seite stehen und so¬<lb/>
weit selbst gegen die hiesigen Deutschen, wie gegen das ganze deutsche Volk<lb/>
eine feindliche Stellung einnehmen. In aller Schroffheit tritt dieses Verhält¬<lb/>
niß darin zu Tage, daß die polnischen Emigranten in ganz Europa offen auf<lb/>
der Seite unserer Feinde stehen und in abgesonderten Freischaaren an der<lb/>
Seine, an der Loire und der Saone die Waffen gegen uns führen, daß die<lb/>
posener Polen, wie 1848 und 1863, so auch jetzt mit jenen, ihren Stammge¬<lb/>
nossen im besten Einvernehmen stehen und daß der &#x201E;Dziennik", wie andere<lb/>
polnische Blätter, mit Behagen prahlerische Berichte über ihre angeblichen<lb/>
Heldenthaten gegen unsere Brüder, ja gegen ihre eigenen Stammesbrüder,<lb/>
welche unter preußischen Fahnen stehen, bringt. Bemerkenswerth besonders<lb/>
ist einer von einem Capitain in der Pariser Nationalgarde, weil sich darin<lb/>
das auch anderwärts zu Tage tretende widerliche Gemisch von tödtlichem<lb/>
Stammeshaß und finsterer Bigotterie auf eine grelle Weise ausspricht. Es<lb/>
heißt darin u. A.:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_589"> &#x201E;Obwohl ich Capitän bin, so führe ich dennoch den Carabiner und<lb/>
mache als tüchtiger Schütze den ausgiebigsten Gebrauch von dieser Waffe.<lb/>
Ich habe die Gewohnheit, so oft ich 10 Preußen niedergestreckt habe, ein<lb/>
Kreuz auf den Gewehrkolben einzuschneiden und zähle solcher Kreuze bereits<lb/>
2Vü- Ich hoffe, daß noch mehr dazu kommen werden. Mein Carabiner ist<lb/>
ein ganz vortreffliches Chasfepotgewehr. Vor Beginn der Schlacht segne ich<lb/>
mich mit dem Zeichen des Kreuzes und verrichte ein kurzes Gebet, daß ich<lb/>
unversehrt aus dem Kampfe herauskomme; nach beendigter Schlacht küsse ich<lb/>
meinen Carabiner, der mir so gute Dienste geleistet hat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_590" next="#ID_591"> Es fehlt übrigens auch nicht an unmittelbaren Ausbrüchen der Stammes¬<lb/>
feindschaft in der Provinz selbst. So wurden in der Stadt Posen bei der<lb/>
Feier des Sieges von Sedan von polnischen Schülern Steine auf die Theil-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0166] nur auf äußeren Glanz und Macht gerichtet; das nennen beide Freiheit oder nach Umständen Recht. Den Wohlstand, die Cultur, die Geistesbildung, die Rechtssicherheit, welche der Deutsche dem ersteren in Großpolen geschenkt hat, achtet er gering; er dankt nicht einmal dafür, daß ihm jetzt wieder Klöster für Capuziner, Bernhardiner, Franziscaner, Carmeliterinnen, Ursulinerinnen zu errichten vergönnt ist nach Herzenslust, ja daß er seine unentbehrlichen Jesuiten leibhaftig wieder bei sich beherbergen kann. Unvergeßlich bleiben ihm dagegen die Castellaneien, Starosteien, Wojewodschaften von Gnesen und Posen, wo es im 17. Jahrhundert gar keine deutschen Ketzer mehr gab; Kujawien hieß Kulm, Malborg Marienb.urg u. f. w. Doch zurück von dieser Abschweifung, zu der uns der Mißmuth über den unheilbaren Fieberwahn eines Todessiechen geführt hat. Wir wollten An¬ zeichen und Beweise dafür geben daß die Polen der Provinz in unserem Kampfe mit den Franzosen, im Herzen aus der Letzteren Seite stehen und so¬ weit selbst gegen die hiesigen Deutschen, wie gegen das ganze deutsche Volk eine feindliche Stellung einnehmen. In aller Schroffheit tritt dieses Verhält¬ niß darin zu Tage, daß die polnischen Emigranten in ganz Europa offen auf der Seite unserer Feinde stehen und in abgesonderten Freischaaren an der Seine, an der Loire und der Saone die Waffen gegen uns führen, daß die posener Polen, wie 1848 und 1863, so auch jetzt mit jenen, ihren Stammge¬ nossen im besten Einvernehmen stehen und daß der „Dziennik", wie andere polnische Blätter, mit Behagen prahlerische Berichte über ihre angeblichen Heldenthaten gegen unsere Brüder, ja gegen ihre eigenen Stammesbrüder, welche unter preußischen Fahnen stehen, bringt. Bemerkenswerth besonders ist einer von einem Capitain in der Pariser Nationalgarde, weil sich darin das auch anderwärts zu Tage tretende widerliche Gemisch von tödtlichem Stammeshaß und finsterer Bigotterie auf eine grelle Weise ausspricht. Es heißt darin u. A.: „Obwohl ich Capitän bin, so führe ich dennoch den Carabiner und mache als tüchtiger Schütze den ausgiebigsten Gebrauch von dieser Waffe. Ich habe die Gewohnheit, so oft ich 10 Preußen niedergestreckt habe, ein Kreuz auf den Gewehrkolben einzuschneiden und zähle solcher Kreuze bereits 2Vü- Ich hoffe, daß noch mehr dazu kommen werden. Mein Carabiner ist ein ganz vortreffliches Chasfepotgewehr. Vor Beginn der Schlacht segne ich mich mit dem Zeichen des Kreuzes und verrichte ein kurzes Gebet, daß ich unversehrt aus dem Kampfe herauskomme; nach beendigter Schlacht küsse ich meinen Carabiner, der mir so gute Dienste geleistet hat." Es fehlt übrigens auch nicht an unmittelbaren Ausbrüchen der Stammes¬ feindschaft in der Provinz selbst. So wurden in der Stadt Posen bei der Feier des Sieges von Sedan von polnischen Schülern Steine auf die Theil-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/166
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/166>, abgerufen am 17.06.2024.