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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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8int Melas, 6oäs Inzll'so man
ovo upon boswn tabdaorä aoy
Lu rvät er meZ mähr Loam^'s
Om avxolon van Ol-iwjs
on xoeren van asu boon!
(Se. Nikolas, Gott's heil'ger Mann
Thu deinen besten Kittel an
Und reit darin nach Spanien
Um Aepfel von Oranien (Orange)
Um Birnen von dem Baum).

Am Abend des 3. December reiten dann Bauern auf wirklichen, oder
künstlichen Schimmeln durch das Dorf, während die Bescheerung in die auf¬
gestellten Schuhe oder Schüsseln der Kinder und Dienstboten gelegt wird.

Und ähnlich ist es in den verschiedensten Gegenden Deutschlands, von
Helgoland an, wo Sommer Ki Zs waltet, bis zum Bodensee, wo Zemiklas
regiert, vom Böhmerwalde, woNikola ganz als weißer Mann erscheint, bis
nach Flandern, wo der Heilige nicht minder seine überall erwünschten Lecker¬
bissen, das "Klassüß" spendet. Diese Leckerbissen aber haben auch ihre be¬
sondere mythologische Geschichte.

Denn wie in den Resten alter Cultusdramen, die heutzutage der dörf¬
liche Schimmelreiter mit seinem Chorgefolge darstellt, so sind auch in den
Weih nachtsgebäcken noch manche Spuren von Nachbildungen des seg¬
nenden Wodanzuges zu erHennen, freilich abermals mit der Nikolaosvorstellung
gemischt. --

Uralter Brauch der antiken Völker war es nämlich, den Todtengvttern
Honig und Honigkuchen zu opfern, weil sie den Honig zum Einbalsa¬
miren der Todten gebrauchten. Mit dem kalendarischen Pluto-Charakter über¬
trug sich nun auch diese Form des Opfermals auf Nikolaos und sein Fest,
und Honigkuchen mit dem Bilde dieses Heiligen wurden früh sehr allgemein.
Aber wie in den dramatischen Spielen, so trat auch auf den Lebkuchen an
des Heiligen Stelle gar bald das Bild des göttlichen Reiters Wodan
oder seines Rosses und verwischte die düstere Bedeutung des Honigtodtenopfers
so vollständig, daß jetzt kein Mensch mehr bei seinem Weihnachtspfefferkuchen
an die dunklen Mächte der unterirdischen Götter denkt. Das Bild von Roß
und Reiter aber hat sich auch in diesem Teig erhalten. Noch heute verkaufen
Dresdener Lebkuchenhändler in den Adventstagen, also zur Zeit der Zwölften,
"Pferde" und "Ruprechte" aus Pfefferkuchentetg, und überall ist der
Pfefferkuchen reit er die beliebteste Form des süßen Backwerks. In der Mark
bäckt man ebenfalls zu Neujahr "Pereken", Kuchen in Pferdegestalt, in
Ostfriesland die "Neujahrskaukjes", dünne Kuchen mit darauf gedrückten
Rossen, und auch den Se. Nikolas stellen die Zuckerbäcker geharnischt und zu


8int Melas, 6oäs Inzll'so man
ovo upon boswn tabdaorä aoy
Lu rvät er meZ mähr Loam^'s
Om avxolon van Ol-iwjs
on xoeren van asu boon!
(Se. Nikolas, Gott's heil'ger Mann
Thu deinen besten Kittel an
Und reit darin nach Spanien
Um Aepfel von Oranien (Orange)
Um Birnen von dem Baum).

Am Abend des 3. December reiten dann Bauern auf wirklichen, oder
künstlichen Schimmeln durch das Dorf, während die Bescheerung in die auf¬
gestellten Schuhe oder Schüsseln der Kinder und Dienstboten gelegt wird.

Und ähnlich ist es in den verschiedensten Gegenden Deutschlands, von
Helgoland an, wo Sommer Ki Zs waltet, bis zum Bodensee, wo Zemiklas
regiert, vom Böhmerwalde, woNikola ganz als weißer Mann erscheint, bis
nach Flandern, wo der Heilige nicht minder seine überall erwünschten Lecker¬
bissen, das „Klassüß" spendet. Diese Leckerbissen aber haben auch ihre be¬
sondere mythologische Geschichte.

Denn wie in den Resten alter Cultusdramen, die heutzutage der dörf¬
liche Schimmelreiter mit seinem Chorgefolge darstellt, so sind auch in den
Weih nachtsgebäcken noch manche Spuren von Nachbildungen des seg¬
nenden Wodanzuges zu erHennen, freilich abermals mit der Nikolaosvorstellung
gemischt. —

Uralter Brauch der antiken Völker war es nämlich, den Todtengvttern
Honig und Honigkuchen zu opfern, weil sie den Honig zum Einbalsa¬
miren der Todten gebrauchten. Mit dem kalendarischen Pluto-Charakter über¬
trug sich nun auch diese Form des Opfermals auf Nikolaos und sein Fest,
und Honigkuchen mit dem Bilde dieses Heiligen wurden früh sehr allgemein.
Aber wie in den dramatischen Spielen, so trat auch auf den Lebkuchen an
des Heiligen Stelle gar bald das Bild des göttlichen Reiters Wodan
oder seines Rosses und verwischte die düstere Bedeutung des Honigtodtenopfers
so vollständig, daß jetzt kein Mensch mehr bei seinem Weihnachtspfefferkuchen
an die dunklen Mächte der unterirdischen Götter denkt. Das Bild von Roß
und Reiter aber hat sich auch in diesem Teig erhalten. Noch heute verkaufen
Dresdener Lebkuchenhändler in den Adventstagen, also zur Zeit der Zwölften,
„Pferde" und „Ruprechte" aus Pfefferkuchentetg, und überall ist der
Pfefferkuchen reit er die beliebteste Form des süßen Backwerks. In der Mark
bäckt man ebenfalls zu Neujahr „Pereken", Kuchen in Pferdegestalt, in
Ostfriesland die „Neujahrskaukjes", dünne Kuchen mit darauf gedrückten
Rossen, und auch den Se. Nikolas stellen die Zuckerbäcker geharnischt und zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/182>, abgerufen am 18.06.2024.