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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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ausgehungerten Soldaten fünf Mal überfallen wurden, als sie eben die nur
zu lange erwartete Suppe aßen, und daß sie von Sedan nach 48stündiger
Entbehrung ausgefallen sind. In Folge der Unzulänglichkeit des Fuhrwerks
wurden unsere Lazarethe preis gegeben und vom Feinde genommen, während
man Tausende von Wagen für den Dienst des Exkaisers stellte, für den
Transport seines schwer fortzubringenden Gepäckes, sowie für die Koffer und
Zelte der Herren Offiziere, welche in diesen Krieg wie zu einer Landpartie
gingen."

Ist etwas geeignet, den Soldaten mißmuthig zu machen und ihn gegen
seine Vorgesetzten einzunehmen, so ist es das: wenn die Letzteren sich Ange¬
sichts einer hungernden und leidenden Truppe im Ueberfluß gütlich thun.
Das war hier allzuhäufig der Fall. Aber dabeiblieb es nicht allein, man
sündigte auch, von oben her namentlich, gegen die Kriegsarmeen in einer Weise,
die rein unverantwortlich ist. Eine der Hauptregeln in der neuern Kriegführung
ist die: eine Armee so beweglich wie möglich zu machen. Dabei ist aber erste
Bedingung, sie von allem Ballast möglichst zu befreien und bei der Mitnahme
sich nur auf das Allernöthigste zu beschränken. Hierbei muß aber, wenn man
guten Willen und Disciplin in der Truppe erhalten will, vom Comman-
direnden an das Beispiel für die Anderen gegeben werden. Gleiches Ertragen
der Beschwerden und Entbehrungen mildert diese für Alle, knüpft das Band
der Kameradschaft fester, stellt den Vorgesetzten in den Augen der Unterge¬
benen noch höher. Das hat man im französischen Heere nicht beachtet und
dieser argen Unterlassungssünde folgte das Unheil auf dem Fuße. -- Die
im Lager von Eh Klons untergebrachten Mobilgarden, deren oben erwähnt
wurde, gaben das erste Beispiel, indem sie sich gegen ihre Vorgesetzten in einer
Weise empörten, daß man diese schimpfte und insultirte. Selbst das Leben
des greisen Marschall Canrobert, eines Koriphäen des französischen Heeres,
war gefährdet, als er die Meuterer beschwichtigen wollte. Sie verlangten, nach
Paris zurückgeführt zu werden, und nachdem die Offiziere nichts mehr durch¬
setzen konnten, mußten sie nachgeben und mit ihnen ziehen, während ihre
Kameraden bei Wörth eben vom Gegner hartbedrängt wurden.

Durch die Armeeintendantur war der Major-General Leboeuf und
durch diesen wieder der Kaiser selbst nicht wenig getäuscht worden. Aber zu
spät kam er zu dieser Einsicht und nach dem Ueberschreiten des Rubikon
war keine Zeit und Gelegenheit mehr, den gewaltigen Fehler zu repariren.

Als der Kaiser am 28. Juli in Metz eintraf, kam er sofort zu der Er¬
kenntniß, daß seine Armee weit hinter den Zahlen zurückstand, die man ihm
auf dem Papier vorgezeigt hatte, denn die in und bei Metz stehende Armee war statt
150,000 kaum 100,000 Mann, bei Straßburg statt 100,000 nur 40,000 M.
stark und die bei CHKlons, die 60,000 .Mann zählen sollte, war noch gar


ausgehungerten Soldaten fünf Mal überfallen wurden, als sie eben die nur
zu lange erwartete Suppe aßen, und daß sie von Sedan nach 48stündiger
Entbehrung ausgefallen sind. In Folge der Unzulänglichkeit des Fuhrwerks
wurden unsere Lazarethe preis gegeben und vom Feinde genommen, während
man Tausende von Wagen für den Dienst des Exkaisers stellte, für den
Transport seines schwer fortzubringenden Gepäckes, sowie für die Koffer und
Zelte der Herren Offiziere, welche in diesen Krieg wie zu einer Landpartie
gingen."

Ist etwas geeignet, den Soldaten mißmuthig zu machen und ihn gegen
seine Vorgesetzten einzunehmen, so ist es das: wenn die Letzteren sich Ange¬
sichts einer hungernden und leidenden Truppe im Ueberfluß gütlich thun.
Das war hier allzuhäufig der Fall. Aber dabeiblieb es nicht allein, man
sündigte auch, von oben her namentlich, gegen die Kriegsarmeen in einer Weise,
die rein unverantwortlich ist. Eine der Hauptregeln in der neuern Kriegführung
ist die: eine Armee so beweglich wie möglich zu machen. Dabei ist aber erste
Bedingung, sie von allem Ballast möglichst zu befreien und bei der Mitnahme
sich nur auf das Allernöthigste zu beschränken. Hierbei muß aber, wenn man
guten Willen und Disciplin in der Truppe erhalten will, vom Comman-
direnden an das Beispiel für die Anderen gegeben werden. Gleiches Ertragen
der Beschwerden und Entbehrungen mildert diese für Alle, knüpft das Band
der Kameradschaft fester, stellt den Vorgesetzten in den Augen der Unterge¬
benen noch höher. Das hat man im französischen Heere nicht beachtet und
dieser argen Unterlassungssünde folgte das Unheil auf dem Fuße. — Die
im Lager von Eh Klons untergebrachten Mobilgarden, deren oben erwähnt
wurde, gaben das erste Beispiel, indem sie sich gegen ihre Vorgesetzten in einer
Weise empörten, daß man diese schimpfte und insultirte. Selbst das Leben
des greisen Marschall Canrobert, eines Koriphäen des französischen Heeres,
war gefährdet, als er die Meuterer beschwichtigen wollte. Sie verlangten, nach
Paris zurückgeführt zu werden, und nachdem die Offiziere nichts mehr durch¬
setzen konnten, mußten sie nachgeben und mit ihnen ziehen, während ihre
Kameraden bei Wörth eben vom Gegner hartbedrängt wurden.

Durch die Armeeintendantur war der Major-General Leboeuf und
durch diesen wieder der Kaiser selbst nicht wenig getäuscht worden. Aber zu
spät kam er zu dieser Einsicht und nach dem Ueberschreiten des Rubikon
war keine Zeit und Gelegenheit mehr, den gewaltigen Fehler zu repariren.

Als der Kaiser am 28. Juli in Metz eintraf, kam er sofort zu der Er¬
kenntniß, daß seine Armee weit hinter den Zahlen zurückstand, die man ihm
auf dem Papier vorgezeigt hatte, denn die in und bei Metz stehende Armee war statt
150,000 kaum 100,000 Mann, bei Straßburg statt 100,000 nur 40,000 M.
stark und die bei CHKlons, die 60,000 .Mann zählen sollte, war noch gar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/184>, abgerufen am 17.06.2024.