Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutschen Reiches herrschte, muß einen beinahe überraschenden Unterschied
constatiren. Die pessimistische Abspannung von damals ist einer freudigen
durch alle Schichten gehenden und sich äußerlich kraftvoll ausprägenden Er¬
regung gewichen. Und in der That, wir haben ja innerhalb der letzten
Woche Botschaften aus Frankreich bekommen, die jedes deutsche " Herz
höher schlagen machen, und selbst die verhärmtsten Oppositionsmänner auf
Augenblicke ihre gewohnte Miene vergessen lassen. Die Zertrümmerung der
Loirearmee, der mannhafte, unvergleichlich feste Widerstand Werber's gegen
Bourbaki's Uebermacht, die wiederholten Niederlagen der französischen Nord¬
armee, und das gänzliche Scheitern der Pariser Ausfälle nach Norden und
und Süden, scheinen das lang erwartete Resultat des Krieges denn doch in
ziemliche Nähe zu rücken. Was aber noch mehr als diese großartigen, fast
zu gleicher Zeit eingetretenen äußern Erfolge uns die Bedeutung der Tage,
in welchen wir leben, zum Bewußtsein gebrachthat: das ist die Proclamation
an das deutsche Volk vom 18. Januar 1871, in welcher der deutsche Heiden¬
könig gelobt, in deutscher Treue die Kaiserwürde zu wahren, und allzeit ein
Mehrer des Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an
den Gütern des Fr.'ebens, an Wohlstand, Freiheit und Gesittung. Diese
tröstlichen Worte sind von Berlin, am 18. und 19. Januar, mit einem über
Erwarten vollständigen Flaggenschmuck begrüßt worden, wie er seit dem
3. September, dem in der Erinnerung unsres Publicums so glänzend fortlebenden
Tage der Siegesnachricht von Sedan, nicht erlebt wurde. Freilich, der Sturz
des einen Kaiserthums konnte an Bedeutung nur durch das Erstehen des
Anderen aufgewogen werden.

In den beiden Häusern des preußischen Landtages wurde die Verlesung
des Documents, von welchem ab auch formell, wie die Telegramme an die
Kaiserin-Königin Augusta beweisen, der Beginn des neuen Reiches zu datiren
ist, mit lebhafter Bewegung vernommen. Der Präsident des Herrenhauses
trat in telegraphischen Depeschenwechsel mit der Laera L^sar-za, U^ostaZ,
wie wir jetzt wieder sagen dürfen, mit dem "Kaiser v o n Deutschland", wie in
geflissentlicher Ignorirung der glücklichen offiziellen Ausdrucksweise, unsere
Seigneurs sprechen. Das Abgeordnetenhaus richtete eine Adresse an den
Monarchen, mit deren Ueberbringung zwei seiner Präsidenten beauftragt wer¬
den. Von Interesse ist in dieser Kundgebung der preußischen Kammer die'
männliche Selbstverleugnung, mit welcher von der Nothwendigkeit des Sich-
unterordnens der preußischen unter die deutsche Legislative geredet wird.

Im Ganzen kam das Ereigniß doch unvorbereitet. Man meinte, nach¬
dem König Wilhelm bisher gezögert hatte, den Kaisertitel zu führen, werde
er nun auch noch die Abstimmung der bayerischen Abgeordnetenkammer er¬
warten. Man ist im Ganzen recht erfreut, daß der König sich ander? ent"


Deutschen Reiches herrschte, muß einen beinahe überraschenden Unterschied
constatiren. Die pessimistische Abspannung von damals ist einer freudigen
durch alle Schichten gehenden und sich äußerlich kraftvoll ausprägenden Er¬
regung gewichen. Und in der That, wir haben ja innerhalb der letzten
Woche Botschaften aus Frankreich bekommen, die jedes deutsche " Herz
höher schlagen machen, und selbst die verhärmtsten Oppositionsmänner auf
Augenblicke ihre gewohnte Miene vergessen lassen. Die Zertrümmerung der
Loirearmee, der mannhafte, unvergleichlich feste Widerstand Werber's gegen
Bourbaki's Uebermacht, die wiederholten Niederlagen der französischen Nord¬
armee, und das gänzliche Scheitern der Pariser Ausfälle nach Norden und
und Süden, scheinen das lang erwartete Resultat des Krieges denn doch in
ziemliche Nähe zu rücken. Was aber noch mehr als diese großartigen, fast
zu gleicher Zeit eingetretenen äußern Erfolge uns die Bedeutung der Tage,
in welchen wir leben, zum Bewußtsein gebrachthat: das ist die Proclamation
an das deutsche Volk vom 18. Januar 1871, in welcher der deutsche Heiden¬
könig gelobt, in deutscher Treue die Kaiserwürde zu wahren, und allzeit ein
Mehrer des Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an
den Gütern des Fr.'ebens, an Wohlstand, Freiheit und Gesittung. Diese
tröstlichen Worte sind von Berlin, am 18. und 19. Januar, mit einem über
Erwarten vollständigen Flaggenschmuck begrüßt worden, wie er seit dem
3. September, dem in der Erinnerung unsres Publicums so glänzend fortlebenden
Tage der Siegesnachricht von Sedan, nicht erlebt wurde. Freilich, der Sturz
des einen Kaiserthums konnte an Bedeutung nur durch das Erstehen des
Anderen aufgewogen werden.

In den beiden Häusern des preußischen Landtages wurde die Verlesung
des Documents, von welchem ab auch formell, wie die Telegramme an die
Kaiserin-Königin Augusta beweisen, der Beginn des neuen Reiches zu datiren
ist, mit lebhafter Bewegung vernommen. Der Präsident des Herrenhauses
trat in telegraphischen Depeschenwechsel mit der Laera L^sar-za, U^ostaZ,
wie wir jetzt wieder sagen dürfen, mit dem „Kaiser v o n Deutschland", wie in
geflissentlicher Ignorirung der glücklichen offiziellen Ausdrucksweise, unsere
Seigneurs sprechen. Das Abgeordnetenhaus richtete eine Adresse an den
Monarchen, mit deren Ueberbringung zwei seiner Präsidenten beauftragt wer¬
den. Von Interesse ist in dieser Kundgebung der preußischen Kammer die'
männliche Selbstverleugnung, mit welcher von der Nothwendigkeit des Sich-
unterordnens der preußischen unter die deutsche Legislative geredet wird.

Im Ganzen kam das Ereigniß doch unvorbereitet. Man meinte, nach¬
dem König Wilhelm bisher gezögert hatte, den Kaisertitel zu führen, werde
er nun auch noch die Abstimmung der bayerischen Abgeordnetenkammer er¬
warten. Man ist im Ganzen recht erfreut, daß der König sich ander? ent»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125435"/>
          <p xml:id="ID_681" prev="#ID_680"> Deutschen Reiches herrschte, muß einen beinahe überraschenden Unterschied<lb/>
constatiren. Die pessimistische Abspannung von damals ist einer freudigen<lb/>
durch alle Schichten gehenden und sich äußerlich kraftvoll ausprägenden Er¬<lb/>
regung gewichen. Und in der That, wir haben ja innerhalb der letzten<lb/>
Woche Botschaften aus Frankreich bekommen, die jedes deutsche " Herz<lb/>
höher schlagen machen, und selbst die verhärmtsten Oppositionsmänner auf<lb/>
Augenblicke ihre gewohnte Miene vergessen lassen. Die Zertrümmerung der<lb/>
Loirearmee, der mannhafte, unvergleichlich feste Widerstand Werber's gegen<lb/>
Bourbaki's Uebermacht, die wiederholten Niederlagen der französischen Nord¬<lb/>
armee, und das gänzliche Scheitern der Pariser Ausfälle nach Norden und<lb/>
und Süden, scheinen das lang erwartete Resultat des Krieges denn doch in<lb/>
ziemliche Nähe zu rücken. Was aber noch mehr als diese großartigen, fast<lb/>
zu gleicher Zeit eingetretenen äußern Erfolge uns die Bedeutung der Tage,<lb/>
in welchen wir leben, zum Bewußtsein gebrachthat: das ist die Proclamation<lb/>
an das deutsche Volk vom 18. Januar 1871, in welcher der deutsche Heiden¬<lb/>
könig gelobt, in deutscher Treue die Kaiserwürde zu wahren, und allzeit ein<lb/>
Mehrer des Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an<lb/>
den Gütern des Fr.'ebens, an Wohlstand, Freiheit und Gesittung. Diese<lb/>
tröstlichen Worte sind von Berlin, am 18. und 19. Januar, mit einem über<lb/>
Erwarten vollständigen Flaggenschmuck begrüßt worden, wie er seit dem<lb/>
3. September, dem in der Erinnerung unsres Publicums so glänzend fortlebenden<lb/>
Tage der Siegesnachricht von Sedan, nicht erlebt wurde. Freilich, der Sturz<lb/>
des einen Kaiserthums konnte an Bedeutung nur durch das Erstehen des<lb/>
Anderen aufgewogen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_682"> In den beiden Häusern des preußischen Landtages wurde die Verlesung<lb/>
des Documents, von welchem ab auch formell, wie die Telegramme an die<lb/>
Kaiserin-Königin Augusta beweisen, der Beginn des neuen Reiches zu datiren<lb/>
ist, mit lebhafter Bewegung vernommen. Der Präsident des Herrenhauses<lb/>
trat in telegraphischen Depeschenwechsel mit der Laera L^sar-za, U^ostaZ,<lb/>
wie wir jetzt wieder sagen dürfen, mit dem &#x201E;Kaiser v o n Deutschland", wie in<lb/>
geflissentlicher Ignorirung der glücklichen offiziellen Ausdrucksweise, unsere<lb/>
Seigneurs sprechen. Das Abgeordnetenhaus richtete eine Adresse an den<lb/>
Monarchen, mit deren Ueberbringung zwei seiner Präsidenten beauftragt wer¬<lb/>
den. Von Interesse ist in dieser Kundgebung der preußischen Kammer die'<lb/>
männliche Selbstverleugnung, mit welcher von der Nothwendigkeit des Sich-<lb/>
unterordnens der preußischen unter die deutsche Legislative geredet wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_683" next="#ID_684"> Im Ganzen kam das Ereigniß doch unvorbereitet. Man meinte, nach¬<lb/>
dem König Wilhelm bisher gezögert hatte, den Kaisertitel zu führen, werde<lb/>
er nun auch noch die Abstimmung der bayerischen Abgeordnetenkammer er¬<lb/>
warten. Man ist im Ganzen recht erfreut, daß der König sich ander? ent»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0191] Deutschen Reiches herrschte, muß einen beinahe überraschenden Unterschied constatiren. Die pessimistische Abspannung von damals ist einer freudigen durch alle Schichten gehenden und sich äußerlich kraftvoll ausprägenden Er¬ regung gewichen. Und in der That, wir haben ja innerhalb der letzten Woche Botschaften aus Frankreich bekommen, die jedes deutsche " Herz höher schlagen machen, und selbst die verhärmtsten Oppositionsmänner auf Augenblicke ihre gewohnte Miene vergessen lassen. Die Zertrümmerung der Loirearmee, der mannhafte, unvergleichlich feste Widerstand Werber's gegen Bourbaki's Uebermacht, die wiederholten Niederlagen der französischen Nord¬ armee, und das gänzliche Scheitern der Pariser Ausfälle nach Norden und und Süden, scheinen das lang erwartete Resultat des Krieges denn doch in ziemliche Nähe zu rücken. Was aber noch mehr als diese großartigen, fast zu gleicher Zeit eingetretenen äußern Erfolge uns die Bedeutung der Tage, in welchen wir leben, zum Bewußtsein gebrachthat: das ist die Proclamation an das deutsche Volk vom 18. Januar 1871, in welcher der deutsche Heiden¬ könig gelobt, in deutscher Treue die Kaiserwürde zu wahren, und allzeit ein Mehrer des Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern des Fr.'ebens, an Wohlstand, Freiheit und Gesittung. Diese tröstlichen Worte sind von Berlin, am 18. und 19. Januar, mit einem über Erwarten vollständigen Flaggenschmuck begrüßt worden, wie er seit dem 3. September, dem in der Erinnerung unsres Publicums so glänzend fortlebenden Tage der Siegesnachricht von Sedan, nicht erlebt wurde. Freilich, der Sturz des einen Kaiserthums konnte an Bedeutung nur durch das Erstehen des Anderen aufgewogen werden. In den beiden Häusern des preußischen Landtages wurde die Verlesung des Documents, von welchem ab auch formell, wie die Telegramme an die Kaiserin-Königin Augusta beweisen, der Beginn des neuen Reiches zu datiren ist, mit lebhafter Bewegung vernommen. Der Präsident des Herrenhauses trat in telegraphischen Depeschenwechsel mit der Laera L^sar-za, U^ostaZ, wie wir jetzt wieder sagen dürfen, mit dem „Kaiser v o n Deutschland", wie in geflissentlicher Ignorirung der glücklichen offiziellen Ausdrucksweise, unsere Seigneurs sprechen. Das Abgeordnetenhaus richtete eine Adresse an den Monarchen, mit deren Ueberbringung zwei seiner Präsidenten beauftragt wer¬ den. Von Interesse ist in dieser Kundgebung der preußischen Kammer die' männliche Selbstverleugnung, mit welcher von der Nothwendigkeit des Sich- unterordnens der preußischen unter die deutsche Legislative geredet wird. Im Ganzen kam das Ereigniß doch unvorbereitet. Man meinte, nach¬ dem König Wilhelm bisher gezögert hatte, den Kaisertitel zu führen, werde er nun auch noch die Abstimmung der bayerischen Abgeordnetenkammer er¬ warten. Man ist im Ganzen recht erfreut, daß der König sich ander? ent»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/191
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/191>, abgerufen am 18.06.2024.