Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den. Weniger als jemals ist die Befürchtung gegründet, daß der linke Flügel
dieser Fraction, der im Wesentlichen aus Liberalen der alten preußischen Provin¬
zen und der thüringischen Länder besteht, sich mit der Fortschrittspartei vereinigen
werde. Vielmehr ist wohl möglich und zu hoffen, daß durch ein Zusammengehen
der geschlossenen starken Fraction der Nationalliberalen und der Freiconser¬
vativen eine große Reich spartet auf nationaler Grundlage mit maßvoll
reformirender Haltung und entschieden bundesstaatlichen Zielen sich heraus¬
bildet.

Auch für die freiconservative Partei, die namentlich von altconservativcr und
fortschrittlicher Seite aus nach Kräften verketzert wird, stehen die Auspicien
durchaus vielversprechend. Wenn man dieser Fraction von dort aus vielfach
vorwirft, daß sie auf dem Gebiet der socialen Frage und der Befestigung des
Parlamentarismus mit den Liberalen Hand in Hand gehe, und von hier
aus, daß sie in der äußeren Politik ganz ebenso zur Selbstverleugnung ent¬
schlossen, wie die Altconservativen, dem Grafen Bismarck gefolgt sei -- so
sind diese Vorwürfe doch ebensoviel Empfehlungen bei einem großen Theil
der Wähler.

Schwierigkeiten dürfte diese Partei, der um ihres besonnenen und durch
den Erfolg gerechtfertigten bisherigen Auftretens halber, sich viele gemäßigte
Katholiken angeschlossen haben, mit den religiösen Fragen haben. Das ent¬
schlossene Vorgehen des Herrn von Kardorff gegen den preußischen Cultus¬
minister am 16. Januar entsprach nicht den Ansichten aller in katholischen
Kreisen gewählten Parteimitglieder. Desto mehr Anerkennung wird es bei
den nichtkatholischen Freunden und Anhängern der Fraction finden, daß
Herr von Kardorff in echt deutsch-protestantischer Weise sich durch keinen äußer¬
lichen noch so verlockenden Grund hat abhalten lassen, seinen Ueberzeugungen
rücksichtlich der antifridericianischen, unnationalen, wesentlich nur von Ultra¬
montanen und von Polen gutgeheißenen Amtsführung des Ministers Ausdruck
zu geben.

Auch durch ihre Verbindung mit den landwirthschaftlichen Elementen
wird die vor allen Dingen nationale Richtung der Freiconservativen in vielen
Wahlkreisen Wurzel fassen, wie es ja schon bisher ein Hauptverdienst von ihr
war, die ihrem Interesse nach conservativen Stände in den Dienst der natio¬
nalen Sache gezogen und ihnen das Bedürfniß der auf parlamentarischem
Wege zu erzielenden Reform klar gemacht zu haben.

Wesentlich den Anstrengungen der in der freien wirthschaftlichen Vereini¬
gung vertretenen Nationalliberalen und Freiconservativen, die ihrem Pro¬
gramm nach schon lange für Beseitigung der Mahl- und Schlachtsteuer ge-
wirkt hatten, ist zuzuschreiben, wenn die vom Finanzminister vorgeschlagene
Ausdehnung dieser Abgabe auf Reisstärkemehl beseitigt worden ist. Uebrigens


den. Weniger als jemals ist die Befürchtung gegründet, daß der linke Flügel
dieser Fraction, der im Wesentlichen aus Liberalen der alten preußischen Provin¬
zen und der thüringischen Länder besteht, sich mit der Fortschrittspartei vereinigen
werde. Vielmehr ist wohl möglich und zu hoffen, daß durch ein Zusammengehen
der geschlossenen starken Fraction der Nationalliberalen und der Freiconser¬
vativen eine große Reich spartet auf nationaler Grundlage mit maßvoll
reformirender Haltung und entschieden bundesstaatlichen Zielen sich heraus¬
bildet.

Auch für die freiconservative Partei, die namentlich von altconservativcr und
fortschrittlicher Seite aus nach Kräften verketzert wird, stehen die Auspicien
durchaus vielversprechend. Wenn man dieser Fraction von dort aus vielfach
vorwirft, daß sie auf dem Gebiet der socialen Frage und der Befestigung des
Parlamentarismus mit den Liberalen Hand in Hand gehe, und von hier
aus, daß sie in der äußeren Politik ganz ebenso zur Selbstverleugnung ent¬
schlossen, wie die Altconservativen, dem Grafen Bismarck gefolgt sei — so
sind diese Vorwürfe doch ebensoviel Empfehlungen bei einem großen Theil
der Wähler.

Schwierigkeiten dürfte diese Partei, der um ihres besonnenen und durch
den Erfolg gerechtfertigten bisherigen Auftretens halber, sich viele gemäßigte
Katholiken angeschlossen haben, mit den religiösen Fragen haben. Das ent¬
schlossene Vorgehen des Herrn von Kardorff gegen den preußischen Cultus¬
minister am 16. Januar entsprach nicht den Ansichten aller in katholischen
Kreisen gewählten Parteimitglieder. Desto mehr Anerkennung wird es bei
den nichtkatholischen Freunden und Anhängern der Fraction finden, daß
Herr von Kardorff in echt deutsch-protestantischer Weise sich durch keinen äußer¬
lichen noch so verlockenden Grund hat abhalten lassen, seinen Ueberzeugungen
rücksichtlich der antifridericianischen, unnationalen, wesentlich nur von Ultra¬
montanen und von Polen gutgeheißenen Amtsführung des Ministers Ausdruck
zu geben.

Auch durch ihre Verbindung mit den landwirthschaftlichen Elementen
wird die vor allen Dingen nationale Richtung der Freiconservativen in vielen
Wahlkreisen Wurzel fassen, wie es ja schon bisher ein Hauptverdienst von ihr
war, die ihrem Interesse nach conservativen Stände in den Dienst der natio¬
nalen Sache gezogen und ihnen das Bedürfniß der auf parlamentarischem
Wege zu erzielenden Reform klar gemacht zu haben.

Wesentlich den Anstrengungen der in der freien wirthschaftlichen Vereini¬
gung vertretenen Nationalliberalen und Freiconservativen, die ihrem Pro¬
gramm nach schon lange für Beseitigung der Mahl- und Schlachtsteuer ge-
wirkt hatten, ist zuzuschreiben, wenn die vom Finanzminister vorgeschlagene
Ausdehnung dieser Abgabe auf Reisstärkemehl beseitigt worden ist. Uebrigens


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125438"/>
          <p xml:id="ID_691" prev="#ID_690"> den. Weniger als jemals ist die Befürchtung gegründet, daß der linke Flügel<lb/>
dieser Fraction, der im Wesentlichen aus Liberalen der alten preußischen Provin¬<lb/>
zen und der thüringischen Länder besteht, sich mit der Fortschrittspartei vereinigen<lb/>
werde. Vielmehr ist wohl möglich und zu hoffen, daß durch ein Zusammengehen<lb/>
der geschlossenen starken Fraction der Nationalliberalen und der Freiconser¬<lb/>
vativen eine große Reich spartet auf nationaler Grundlage mit maßvoll<lb/>
reformirender Haltung und entschieden bundesstaatlichen Zielen sich heraus¬<lb/>
bildet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_692"> Auch für die freiconservative Partei, die namentlich von altconservativcr und<lb/>
fortschrittlicher Seite aus nach Kräften verketzert wird, stehen die Auspicien<lb/>
durchaus vielversprechend. Wenn man dieser Fraction von dort aus vielfach<lb/>
vorwirft, daß sie auf dem Gebiet der socialen Frage und der Befestigung des<lb/>
Parlamentarismus mit den Liberalen Hand in Hand gehe, und von hier<lb/>
aus, daß sie in der äußeren Politik ganz ebenso zur Selbstverleugnung ent¬<lb/>
schlossen, wie die Altconservativen, dem Grafen Bismarck gefolgt sei &#x2014; so<lb/>
sind diese Vorwürfe doch ebensoviel Empfehlungen bei einem großen Theil<lb/>
der Wähler.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_693"> Schwierigkeiten dürfte diese Partei, der um ihres besonnenen und durch<lb/>
den Erfolg gerechtfertigten bisherigen Auftretens halber, sich viele gemäßigte<lb/>
Katholiken angeschlossen haben, mit den religiösen Fragen haben. Das ent¬<lb/>
schlossene Vorgehen des Herrn von Kardorff gegen den preußischen Cultus¬<lb/>
minister am 16. Januar entsprach nicht den Ansichten aller in katholischen<lb/>
Kreisen gewählten Parteimitglieder. Desto mehr Anerkennung wird es bei<lb/>
den nichtkatholischen Freunden und Anhängern der Fraction finden, daß<lb/>
Herr von Kardorff in echt deutsch-protestantischer Weise sich durch keinen äußer¬<lb/>
lichen noch so verlockenden Grund hat abhalten lassen, seinen Ueberzeugungen<lb/>
rücksichtlich der antifridericianischen, unnationalen, wesentlich nur von Ultra¬<lb/>
montanen und von Polen gutgeheißenen Amtsführung des Ministers Ausdruck<lb/>
zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_694"> Auch durch ihre Verbindung mit den landwirthschaftlichen Elementen<lb/>
wird die vor allen Dingen nationale Richtung der Freiconservativen in vielen<lb/>
Wahlkreisen Wurzel fassen, wie es ja schon bisher ein Hauptverdienst von ihr<lb/>
war, die ihrem Interesse nach conservativen Stände in den Dienst der natio¬<lb/>
nalen Sache gezogen und ihnen das Bedürfniß der auf parlamentarischem<lb/>
Wege zu erzielenden Reform klar gemacht zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> Wesentlich den Anstrengungen der in der freien wirthschaftlichen Vereini¬<lb/>
gung vertretenen Nationalliberalen und Freiconservativen, die ihrem Pro¬<lb/>
gramm nach schon lange für Beseitigung der Mahl- und Schlachtsteuer ge-<lb/>
wirkt hatten, ist zuzuschreiben, wenn die vom Finanzminister vorgeschlagene<lb/>
Ausdehnung dieser Abgabe auf Reisstärkemehl beseitigt worden ist. Uebrigens</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] den. Weniger als jemals ist die Befürchtung gegründet, daß der linke Flügel dieser Fraction, der im Wesentlichen aus Liberalen der alten preußischen Provin¬ zen und der thüringischen Länder besteht, sich mit der Fortschrittspartei vereinigen werde. Vielmehr ist wohl möglich und zu hoffen, daß durch ein Zusammengehen der geschlossenen starken Fraction der Nationalliberalen und der Freiconser¬ vativen eine große Reich spartet auf nationaler Grundlage mit maßvoll reformirender Haltung und entschieden bundesstaatlichen Zielen sich heraus¬ bildet. Auch für die freiconservative Partei, die namentlich von altconservativcr und fortschrittlicher Seite aus nach Kräften verketzert wird, stehen die Auspicien durchaus vielversprechend. Wenn man dieser Fraction von dort aus vielfach vorwirft, daß sie auf dem Gebiet der socialen Frage und der Befestigung des Parlamentarismus mit den Liberalen Hand in Hand gehe, und von hier aus, daß sie in der äußeren Politik ganz ebenso zur Selbstverleugnung ent¬ schlossen, wie die Altconservativen, dem Grafen Bismarck gefolgt sei — so sind diese Vorwürfe doch ebensoviel Empfehlungen bei einem großen Theil der Wähler. Schwierigkeiten dürfte diese Partei, der um ihres besonnenen und durch den Erfolg gerechtfertigten bisherigen Auftretens halber, sich viele gemäßigte Katholiken angeschlossen haben, mit den religiösen Fragen haben. Das ent¬ schlossene Vorgehen des Herrn von Kardorff gegen den preußischen Cultus¬ minister am 16. Januar entsprach nicht den Ansichten aller in katholischen Kreisen gewählten Parteimitglieder. Desto mehr Anerkennung wird es bei den nichtkatholischen Freunden und Anhängern der Fraction finden, daß Herr von Kardorff in echt deutsch-protestantischer Weise sich durch keinen äußer¬ lichen noch so verlockenden Grund hat abhalten lassen, seinen Ueberzeugungen rücksichtlich der antifridericianischen, unnationalen, wesentlich nur von Ultra¬ montanen und von Polen gutgeheißenen Amtsführung des Ministers Ausdruck zu geben. Auch durch ihre Verbindung mit den landwirthschaftlichen Elementen wird die vor allen Dingen nationale Richtung der Freiconservativen in vielen Wahlkreisen Wurzel fassen, wie es ja schon bisher ein Hauptverdienst von ihr war, die ihrem Interesse nach conservativen Stände in den Dienst der natio¬ nalen Sache gezogen und ihnen das Bedürfniß der auf parlamentarischem Wege zu erzielenden Reform klar gemacht zu haben. Wesentlich den Anstrengungen der in der freien wirthschaftlichen Vereini¬ gung vertretenen Nationalliberalen und Freiconservativen, die ihrem Pro¬ gramm nach schon lange für Beseitigung der Mahl- und Schlachtsteuer ge- wirkt hatten, ist zuzuschreiben, wenn die vom Finanzminister vorgeschlagene Ausdehnung dieser Abgabe auf Reisstärkemehl beseitigt worden ist. Uebrigens

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/194>, abgerufen am 18.06.2024.