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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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sonnenbeschienene Land besäumt. Wenn man im Westen des Landes auf einer
Höhe steht, so schweift das Auge über eine unendliche Fläche, die sich in immer
mehr abduftendem Landschaftsgrün dem Geficht entzieht, bis zuletzt die schwä¬
bischen Gebirge schattenweise in den Horizont verfließen.

Und über der herrlichen Gegend wölbt sich in wundervoller heiterer Bläue
der Himmel; jeden Morgen zeigt er sich in neuer Pracht und erfrischt die
durstende Erde mit Thau; am Tage entzückender Sonnenglanz; Abends und
Nachts weht eine milde, laue Luft, so daß man das Scheiden des Tages nicht
schmerzlich empfindet. Meist herrscht gleichmäßig das schönste, hellste Wetter;
in der Ferne über den blau verschwindenden Gebirgshöhen im Westen thürmen
sich wohl manchmal Wolken auf; aber sie bilden nur einen angenehmen Con¬
trast zu dem klaren Himmel unmittelbar über dem Lande; und sie stehen oft
Tage, Wochen lang, ohne ihre Drohungen zu verwirklichen. Und beschwört
einmal die. drückende Sonnengluth ein Gewitter herauf, so geht es schnell
vorüber, erquickt das Land und verherrlicht nur noch das Grün der Ebene,
das schon wieder im Sonnenschein glänzt, ehe es abtrocknen konnte. Der
doppelte Regenbogen, zweifarbige Säume eines tief dunkeln himmlischen Band¬
streifens waren herrlicher und farbiger als sonst irgendwo.

Anders Deutsch-Lothringen im Gebirge. Begleiten wir Goethe auf seiner
Reise. Mit einem Schlage änderte sich die Gegend, als die Freunde bei der
alten Bergfeste Lützelstein vorbeizogen, um in die Region der Saar und Mosel
hinabzusteigen. Der Himmel trübte sich; die Lust ward kühler; es begann das
rauhere, unfreundliche "Westreich", das Herzoghum Lothringen. Es fehlten
die freundlich blickenden Dörfer, umgeben von blühenden Saaten; man ver¬
lernt es, nach Getreide sich umzusehen, -- Das Thal der Saar ist von beiden
Seiten von Bergen begleitet, die einen traurigen Eindruck machen würden,
wenn nicht unabsehbar an ihrem Fuße eine unendliche Folge von Wiesen und
Matten sich erstreckte, die Huhnau genannt. Auch die Wälder sind nicht die
gutgepflegten des Elsaß, deren kühles Dunkel und würziger Duft dem Wan¬
derer angenehme Erquickung bietet. Hier hat wildwucherndes Wachsthum,
jeder Mangel an menschlicher Aufsicht und Sorgfalt dem Ganzen ein wüstes,
trauriges Aussehen gegeben: umgestürzte Stämme faulen zu taufenden über¬
einander; wildtosende Bäche gießen sich drüber hin; junge Sprößlinge keimen
in Unzahl auf halbvermoderten Vorfahren: undurchdringliches Gestrüpp und
Gesträuch rings umher.

Aber Gebirge und Wald haben auch ihre Schätze. Man gewinnt Schwefel
und Alaun; Steinkohlenlager von bedeutender Mächtigkeit erstrecken sich weit
hin; überall Hütten und Grubenwerke, in denen nach Metall gegraben wird.
Es glühen und sprühen die Essen der Schmelzöfen und Glashütten; es dampfen
die Scklöte; laut tönen die Hämmer durch die düstere Stille,


sonnenbeschienene Land besäumt. Wenn man im Westen des Landes auf einer
Höhe steht, so schweift das Auge über eine unendliche Fläche, die sich in immer
mehr abduftendem Landschaftsgrün dem Geficht entzieht, bis zuletzt die schwä¬
bischen Gebirge schattenweise in den Horizont verfließen.

Und über der herrlichen Gegend wölbt sich in wundervoller heiterer Bläue
der Himmel; jeden Morgen zeigt er sich in neuer Pracht und erfrischt die
durstende Erde mit Thau; am Tage entzückender Sonnenglanz; Abends und
Nachts weht eine milde, laue Luft, so daß man das Scheiden des Tages nicht
schmerzlich empfindet. Meist herrscht gleichmäßig das schönste, hellste Wetter;
in der Ferne über den blau verschwindenden Gebirgshöhen im Westen thürmen
sich wohl manchmal Wolken auf; aber sie bilden nur einen angenehmen Con¬
trast zu dem klaren Himmel unmittelbar über dem Lande; und sie stehen oft
Tage, Wochen lang, ohne ihre Drohungen zu verwirklichen. Und beschwört
einmal die. drückende Sonnengluth ein Gewitter herauf, so geht es schnell
vorüber, erquickt das Land und verherrlicht nur noch das Grün der Ebene,
das schon wieder im Sonnenschein glänzt, ehe es abtrocknen konnte. Der
doppelte Regenbogen, zweifarbige Säume eines tief dunkeln himmlischen Band¬
streifens waren herrlicher und farbiger als sonst irgendwo.

Anders Deutsch-Lothringen im Gebirge. Begleiten wir Goethe auf seiner
Reise. Mit einem Schlage änderte sich die Gegend, als die Freunde bei der
alten Bergfeste Lützelstein vorbeizogen, um in die Region der Saar und Mosel
hinabzusteigen. Der Himmel trübte sich; die Lust ward kühler; es begann das
rauhere, unfreundliche „Westreich", das Herzoghum Lothringen. Es fehlten
die freundlich blickenden Dörfer, umgeben von blühenden Saaten; man ver¬
lernt es, nach Getreide sich umzusehen, — Das Thal der Saar ist von beiden
Seiten von Bergen begleitet, die einen traurigen Eindruck machen würden,
wenn nicht unabsehbar an ihrem Fuße eine unendliche Folge von Wiesen und
Matten sich erstreckte, die Huhnau genannt. Auch die Wälder sind nicht die
gutgepflegten des Elsaß, deren kühles Dunkel und würziger Duft dem Wan¬
derer angenehme Erquickung bietet. Hier hat wildwucherndes Wachsthum,
jeder Mangel an menschlicher Aufsicht und Sorgfalt dem Ganzen ein wüstes,
trauriges Aussehen gegeben: umgestürzte Stämme faulen zu taufenden über¬
einander; wildtosende Bäche gießen sich drüber hin; junge Sprößlinge keimen
in Unzahl auf halbvermoderten Vorfahren: undurchdringliches Gestrüpp und
Gesträuch rings umher.

Aber Gebirge und Wald haben auch ihre Schätze. Man gewinnt Schwefel
und Alaun; Steinkohlenlager von bedeutender Mächtigkeit erstrecken sich weit
hin; überall Hütten und Grubenwerke, in denen nach Metall gegraben wird.
Es glühen und sprühen die Essen der Schmelzöfen und Glashütten; es dampfen
die Scklöte; laut tönen die Hämmer durch die düstere Stille,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/24>, abgerufen am 18.05.2024.