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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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das Maß seiner stenographischen Kraft zu erproben. Ich suchte diese Ge¬
legenheit Anfangs im Gotteshause; allein die hochwürdigen Herrn Prediger
sprachen im Bewußtsein des Werthes ihrer Worte so langsam, sie zählten
gleichsam alle einzelnen Worte stückweise und einzeln, gleich Perlen oder Du-
caten, ihren andächtigen Zuhörern hin, so daß ich die Aufzeichnung, welche
keinerlei erhebliche Schwierigkeit bot, namentlich nicht für einen Pädagogen
von Fach, der das Alles ja schon wußte, nicht für bildend genug hielt. Ich
wandte mich dann an die Parlamente, deren es in Berlin unzählige gibt,
von den Bezirksvereinen hinauf bis zu dem hohen Reichstage des Norddeutschen
Bundes. Allein ich fand es dort zu unbehaglich. Im Reichstage verübten
sechs communistische Jünglinge einen solchen Heidenspeetakel, daß die übrigen
dreihundert Mitglieder ihr eigenes Wort nicht hören konnten. Im Landtag
war es ganz unsäglich langweilig, wahrscheinlich deshalb, weil das hohe
Abgeordnetenhaus und das nicht minder hohe Herrenhaus in diesem Punkte
mit einander wetteiferten. Und in der Stadtverordneten-Versammlung mußte
ich zu viel lachen über die manierirte Verzwicktheit, wie man dort die vor¬
nehmen Allüren des Reichstags nachzuahmen bestrebt war. "Wie er sich
räuspert und wie er spuckt, -- das hat man trefflich ihm abgeguckt"; aber
für die gute Stadt Berlin kam weiter nichts dabei heraus, als neue Steuern,
wobei freilich ich, da ich von Geburt so zu sägen, ein Mecklenburger bin
und auf der ganzen Welt nichts zu versteuern habe, eine gewisse Schadenfreude
nicht unterdrücken konnte.

Der Reichstag, der Landtag und die Stadtverordneten-Versammlung,
das sind die drei großen Parlamente von Berlin. Von den kleinen viel zu
sprechen, verlohnt nicht der Mühe. In den Bezirksvereinen wird an jedem
Abende von denselben Rednern immer dasselbe geredet, was man in dem hie¬
sigen Jargon "Consequenz" nennt. In den conservativen Vereinen werden
Vorträge vorgelesen, in welche immer ein Stück Predigt und ein Stück Kreuz¬
zeitung mit einander abwechseln, was im Anfang durch seine Neuheit be¬
lustigt, Einem aber doch bald überdrüssig wird. In den gewöhnlichen Volks¬
versammlungen aber trägt man stets Prügel davon; oder es ist wenigstens
die Furcht, welche zu erhalten, so groß und wohl begründet, daß man nicht
zu derjenigen Sammlung des Geistes und Gemüthes gelangen kann, welche
das Stenographiren erfordert.

Der geneigte Leser wird sonach begreifen, daß ich in einiger Verlegenheit
war, wo ich die richtige anlag, vitis zu suchen habe, an welcher ich meine
schnellschreiberischen Experimente mit Erfolg machen könne.

Ein Zufall half mir aus aller Noth. Ich suchte eine billige Unterkunft
und fand solche bei einem Subalternbeamten, welcher viel Arbeit und wenig
Gehalt, viel Kinder und wenig Geld hatte, und in Folge dieser ungünstigen


das Maß seiner stenographischen Kraft zu erproben. Ich suchte diese Ge¬
legenheit Anfangs im Gotteshause; allein die hochwürdigen Herrn Prediger
sprachen im Bewußtsein des Werthes ihrer Worte so langsam, sie zählten
gleichsam alle einzelnen Worte stückweise und einzeln, gleich Perlen oder Du-
caten, ihren andächtigen Zuhörern hin, so daß ich die Aufzeichnung, welche
keinerlei erhebliche Schwierigkeit bot, namentlich nicht für einen Pädagogen
von Fach, der das Alles ja schon wußte, nicht für bildend genug hielt. Ich
wandte mich dann an die Parlamente, deren es in Berlin unzählige gibt,
von den Bezirksvereinen hinauf bis zu dem hohen Reichstage des Norddeutschen
Bundes. Allein ich fand es dort zu unbehaglich. Im Reichstage verübten
sechs communistische Jünglinge einen solchen Heidenspeetakel, daß die übrigen
dreihundert Mitglieder ihr eigenes Wort nicht hören konnten. Im Landtag
war es ganz unsäglich langweilig, wahrscheinlich deshalb, weil das hohe
Abgeordnetenhaus und das nicht minder hohe Herrenhaus in diesem Punkte
mit einander wetteiferten. Und in der Stadtverordneten-Versammlung mußte
ich zu viel lachen über die manierirte Verzwicktheit, wie man dort die vor¬
nehmen Allüren des Reichstags nachzuahmen bestrebt war. „Wie er sich
räuspert und wie er spuckt, — das hat man trefflich ihm abgeguckt"; aber
für die gute Stadt Berlin kam weiter nichts dabei heraus, als neue Steuern,
wobei freilich ich, da ich von Geburt so zu sägen, ein Mecklenburger bin
und auf der ganzen Welt nichts zu versteuern habe, eine gewisse Schadenfreude
nicht unterdrücken konnte.

Der Reichstag, der Landtag und die Stadtverordneten-Versammlung,
das sind die drei großen Parlamente von Berlin. Von den kleinen viel zu
sprechen, verlohnt nicht der Mühe. In den Bezirksvereinen wird an jedem
Abende von denselben Rednern immer dasselbe geredet, was man in dem hie¬
sigen Jargon „Consequenz" nennt. In den conservativen Vereinen werden
Vorträge vorgelesen, in welche immer ein Stück Predigt und ein Stück Kreuz¬
zeitung mit einander abwechseln, was im Anfang durch seine Neuheit be¬
lustigt, Einem aber doch bald überdrüssig wird. In den gewöhnlichen Volks¬
versammlungen aber trägt man stets Prügel davon; oder es ist wenigstens
die Furcht, welche zu erhalten, so groß und wohl begründet, daß man nicht
zu derjenigen Sammlung des Geistes und Gemüthes gelangen kann, welche
das Stenographiren erfordert.

Der geneigte Leser wird sonach begreifen, daß ich in einiger Verlegenheit
war, wo ich die richtige anlag, vitis zu suchen habe, an welcher ich meine
schnellschreiberischen Experimente mit Erfolg machen könne.

Ein Zufall half mir aus aller Noth. Ich suchte eine billige Unterkunft
und fand solche bei einem Subalternbeamten, welcher viel Arbeit und wenig
Gehalt, viel Kinder und wenig Geld hatte, und in Folge dieser ungünstigen


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[0027] das Maß seiner stenographischen Kraft zu erproben. Ich suchte diese Ge¬ legenheit Anfangs im Gotteshause; allein die hochwürdigen Herrn Prediger sprachen im Bewußtsein des Werthes ihrer Worte so langsam, sie zählten gleichsam alle einzelnen Worte stückweise und einzeln, gleich Perlen oder Du- caten, ihren andächtigen Zuhörern hin, so daß ich die Aufzeichnung, welche keinerlei erhebliche Schwierigkeit bot, namentlich nicht für einen Pädagogen von Fach, der das Alles ja schon wußte, nicht für bildend genug hielt. Ich wandte mich dann an die Parlamente, deren es in Berlin unzählige gibt, von den Bezirksvereinen hinauf bis zu dem hohen Reichstage des Norddeutschen Bundes. Allein ich fand es dort zu unbehaglich. Im Reichstage verübten sechs communistische Jünglinge einen solchen Heidenspeetakel, daß die übrigen dreihundert Mitglieder ihr eigenes Wort nicht hören konnten. Im Landtag war es ganz unsäglich langweilig, wahrscheinlich deshalb, weil das hohe Abgeordnetenhaus und das nicht minder hohe Herrenhaus in diesem Punkte mit einander wetteiferten. Und in der Stadtverordneten-Versammlung mußte ich zu viel lachen über die manierirte Verzwicktheit, wie man dort die vor¬ nehmen Allüren des Reichstags nachzuahmen bestrebt war. „Wie er sich räuspert und wie er spuckt, — das hat man trefflich ihm abgeguckt"; aber für die gute Stadt Berlin kam weiter nichts dabei heraus, als neue Steuern, wobei freilich ich, da ich von Geburt so zu sägen, ein Mecklenburger bin und auf der ganzen Welt nichts zu versteuern habe, eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken konnte. Der Reichstag, der Landtag und die Stadtverordneten-Versammlung, das sind die drei großen Parlamente von Berlin. Von den kleinen viel zu sprechen, verlohnt nicht der Mühe. In den Bezirksvereinen wird an jedem Abende von denselben Rednern immer dasselbe geredet, was man in dem hie¬ sigen Jargon „Consequenz" nennt. In den conservativen Vereinen werden Vorträge vorgelesen, in welche immer ein Stück Predigt und ein Stück Kreuz¬ zeitung mit einander abwechseln, was im Anfang durch seine Neuheit be¬ lustigt, Einem aber doch bald überdrüssig wird. In den gewöhnlichen Volks¬ versammlungen aber trägt man stets Prügel davon; oder es ist wenigstens die Furcht, welche zu erhalten, so groß und wohl begründet, daß man nicht zu derjenigen Sammlung des Geistes und Gemüthes gelangen kann, welche das Stenographiren erfordert. Der geneigte Leser wird sonach begreifen, daß ich in einiger Verlegenheit war, wo ich die richtige anlag, vitis zu suchen habe, an welcher ich meine schnellschreiberischen Experimente mit Erfolg machen könne. Ein Zufall half mir aus aller Noth. Ich suchte eine billige Unterkunft und fand solche bei einem Subalternbeamten, welcher viel Arbeit und wenig Gehalt, viel Kinder und wenig Geld hatte, und in Folge dieser ungünstigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/27>, abgerufen am 24.05.2024.