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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Also erstens dieser Sieg steht darin. Zweitens aber ein Telegramm über die
Pontusangelegenheit. Nun denke ich, was wird dein Alter dazu sagen? Vom
Krieg, denke ich, versteht er zwar, glaub' ich, nicht viel mehr, als ich, aber
vom Pontus desto mehr; denn er hat ja doch Bismarcken schon zum Oeftern
über russische Angelegenheiten interpellirt und ihn dadurch fuchswild gemacht.
Zwar nicht über den Pontus, aber doch über den Cartel-Bertrag zwischen
Preußen und Rußland; ob er nicht gekündigt werde von Preußen, fragte er,
und ob sich die Regierung nicht schäme, ihn zu erneuern, und ob sie auch
fernerhin den Schweif- und Bluthund der barbarischen Moskowiter spielen
wolle; worauf die Antwort war, der Vertrag sei schon gekündigt, aber nicht
von Preußen, sondern von Rußland. Du sagtest mir damals, das sei Spiegel¬
fechterei, man habe das diplomatisch abgekartet, daß Rußland die Rolle des
Kündigens übernehme, damit man jeden Schein eines parlamentarischen Ein¬
flusses vermeide, in Wirklichkeit aber sei der Vertrag auseinander geflohen vor
Deiner Jnterpellation und vor der mächtigen Art, wie Du solche begründet.
Du habest, so sagtest Du damals -- und Du mußt zugestehen, daß die Frauen,
wenn es sich um die menschlichen Schwächen, und namentlich um die Renom¬
mistereien ihrer Männer handelt, ein sehr gutes Gedächtniß haben -- den Ver¬
trag umgeblasen, wie weiland die Mauern von Jericho vor dem Schalle der
Posaunen gefallen sind. Nun dachte ich also, wenn er den Vertrag umtrom-
peten konnte, was wird er erst mit den Pontus-Verträgen anfangen? Jeden¬
falls wird ihn das Telegramm auf das Lebhafteste interessiren. Ich bin doch
sehr gespannt darauf, was er sagen wird. So dachte ich.

Du ergreifst also die Zeitung, aber Du siehst weder nach den Telegram¬
men, noch nach dem Premier-Berlin, wonach doch ein wirklicher Politiker zu¬
erst sehen muß. Nein, du vertiefst dich in die Berliner Localneuigkeiten. Wich¬
tiger als die Loire-Armee, wichtiger als die Pontussrage scheint Dir die Nach¬
richt über einen verlaufenen Hund, oder einen entflogenen Canarienvogel,
oder einen gestürzten Droschkengaul zu sein. Was sucht er nur, denke ich.
in Allerwelt da zwischen dem "Vermischten" und den "Unglücksfällen" und
den Inseraten herum? Auf einmal siel mir eine Anecdote von dem berühmten
Engländer Fox ein, welcher einem Zeitungsleser auf seinen unwilligen Aus¬
ruf: "Man liest aber doch auch gar nichts von diesem Ministerium!" ant¬
wortete: Sie suchen aber auch die Nachrichten darüber an der falschen Stelle,
Sie müssen nicht vorne nachsehen, sondern hinten unter der Rubrik "Ver¬
brechen und Unglücksfälle." Diese Anecdote von Fox tröstete mich, obgleich
sie schon im Meidinger steht. Also, dachte ich, jetzt will dich dein Braten¬
riecher mit einem Witz überraschen; der Witz ist zwar schon sehr alt, aber was
thut das; man muß den guten Willen für die That nehmen; ich werde also
herzlich lachen, wenn er den Witz macht; Gott, man wird ja so bescheiden


Also erstens dieser Sieg steht darin. Zweitens aber ein Telegramm über die
Pontusangelegenheit. Nun denke ich, was wird dein Alter dazu sagen? Vom
Krieg, denke ich, versteht er zwar, glaub' ich, nicht viel mehr, als ich, aber
vom Pontus desto mehr; denn er hat ja doch Bismarcken schon zum Oeftern
über russische Angelegenheiten interpellirt und ihn dadurch fuchswild gemacht.
Zwar nicht über den Pontus, aber doch über den Cartel-Bertrag zwischen
Preußen und Rußland; ob er nicht gekündigt werde von Preußen, fragte er,
und ob sich die Regierung nicht schäme, ihn zu erneuern, und ob sie auch
fernerhin den Schweif- und Bluthund der barbarischen Moskowiter spielen
wolle; worauf die Antwort war, der Vertrag sei schon gekündigt, aber nicht
von Preußen, sondern von Rußland. Du sagtest mir damals, das sei Spiegel¬
fechterei, man habe das diplomatisch abgekartet, daß Rußland die Rolle des
Kündigens übernehme, damit man jeden Schein eines parlamentarischen Ein¬
flusses vermeide, in Wirklichkeit aber sei der Vertrag auseinander geflohen vor
Deiner Jnterpellation und vor der mächtigen Art, wie Du solche begründet.
Du habest, so sagtest Du damals — und Du mußt zugestehen, daß die Frauen,
wenn es sich um die menschlichen Schwächen, und namentlich um die Renom¬
mistereien ihrer Männer handelt, ein sehr gutes Gedächtniß haben — den Ver¬
trag umgeblasen, wie weiland die Mauern von Jericho vor dem Schalle der
Posaunen gefallen sind. Nun dachte ich also, wenn er den Vertrag umtrom-
peten konnte, was wird er erst mit den Pontus-Verträgen anfangen? Jeden¬
falls wird ihn das Telegramm auf das Lebhafteste interessiren. Ich bin doch
sehr gespannt darauf, was er sagen wird. So dachte ich.

Du ergreifst also die Zeitung, aber Du siehst weder nach den Telegram¬
men, noch nach dem Premier-Berlin, wonach doch ein wirklicher Politiker zu¬
erst sehen muß. Nein, du vertiefst dich in die Berliner Localneuigkeiten. Wich¬
tiger als die Loire-Armee, wichtiger als die Pontussrage scheint Dir die Nach¬
richt über einen verlaufenen Hund, oder einen entflogenen Canarienvogel,
oder einen gestürzten Droschkengaul zu sein. Was sucht er nur, denke ich.
in Allerwelt da zwischen dem „Vermischten" und den „Unglücksfällen" und
den Inseraten herum? Auf einmal siel mir eine Anecdote von dem berühmten
Engländer Fox ein, welcher einem Zeitungsleser auf seinen unwilligen Aus¬
ruf: „Man liest aber doch auch gar nichts von diesem Ministerium!" ant¬
wortete: Sie suchen aber auch die Nachrichten darüber an der falschen Stelle,
Sie müssen nicht vorne nachsehen, sondern hinten unter der Rubrik „Ver¬
brechen und Unglücksfälle." Diese Anecdote von Fox tröstete mich, obgleich
sie schon im Meidinger steht. Also, dachte ich, jetzt will dich dein Braten¬
riecher mit einem Witz überraschen; der Witz ist zwar schon sehr alt, aber was
thut das; man muß den guten Willen für die That nehmen; ich werde also
herzlich lachen, wenn er den Witz macht; Gott, man wird ja so bescheiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/30>, abgerufen am 24.05.2024.