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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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denken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allgemein giltigen äußern, die
Freiheit jedes Einzelnen einschränkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen
Maximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen), es müßte denn dar¬
unter verstanden werden: daß Menschen, die so gesinnt sind, ganz recht ge¬
schieht, wenn sie sich unter einander aufreiben, und also den ewigen Frieden
in dem weiten Grabe finden, das alle Gräuel der Gewaltthätigkeit sammt
ihren Urhebern bedeckt/' (Kant "zum ewigen Frieden." 179S. S. 37.)

Und doch -- die Verletzungen des Völkerrechtes, wie häufig sie auch vor¬
kommen mögen, wie häufig ihre Bestrafung auch suspendirt bleiben möge,
bekräftigen gerade durch den Eindruck, den sie bei allen unbefangenen Beob¬
achtern hervorbringen, daß es eine gewisse Summe, ich will nicht sagen ein
System von Normen giebt, welche sich die Staaten in ihrem internationalen
Verkehre zur Richtschnur nehmen, welche den friedlichen Verkehr erleichtern,
und für den Fall der Unterbrechung dieses letzteren oder seiner Umkehr in's
Gegentheil den so heraufbeschworenen Feindseligkeiten eine möglichst enge
Schranke ziehen sollen.

Daß die Verletzung der Normen, welche das Völkerrecht im Frieden aus¬
machen, anstatt zur sicheren Bestrafung des Verletzers vielmehr in der Regel
zum Kriege führt, in welchem der Verletzer triumphirt, wenn er der Stärkere
war, und daß die Verletzung der Normen, welche das Völkerrecht im Kriege
ausmachen, nur dann bestraft wird, wenn der Verletzer unterliegt -- das
allerdings, nicht die Verletzung an sich, zeigt deutlich, wie sehr das Völker¬
recht noch in den Kinderschuhen steckt. Aber die Thatsache, daß die Beob¬
achtung jener Normen die Regel, die Verleugnung derselben die Ausnahme
ist, der Umstand serner, daß diese Normen allmälig andere werden, ja die
bloße Thatsache langjähriger friedlicher Coexistenz benachbarter Staaten be¬
zeugt das Vorhandensein und die Entwickelungsfähigkeit eines Völkerrechtes,
als einer äußeren Ordnung der Lebensbeziehungen verschiedener Staaten, zu
einander. Diese Entwickelungsfähigkeit zeigt sich wohl nirgends deutlicher,
als an der Geschichte des Seerechts in Kriegszeiten. Eben hier sind
in den letzten Jahrzehnten unverkennbar einige große Fortschritte gemacht
worden, Eben hier sah man im jüngsten Kriege von dem mächtigeren
unter den Kriegführenden Normen beobachten, deren Verletzung von seiner
Seite keine auf dem Fuße folgende Strafe zu fürchten hätte; eben hier macht
sich die rechtschaffende Stimme der öffentlichen Meinung mit einer ganz be¬
stimmten Tendenz so entschieden geltend, daß man nicht zweifeln kann, es
werde hier ein neuer großer Umschwung vorbereitet. Wie sich in dieser Be¬
ziehung das Völkerrecht gestalten muß, wenn den internationalen Feindselig¬
keiten im Seekriege eine möglichst enge Schranke gezogen werden soll -- dies
möge im Folgenden in aller Kürze dargethan werden.


denken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allgemein giltigen äußern, die
Freiheit jedes Einzelnen einschränkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen
Maximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen), es müßte denn dar¬
unter verstanden werden: daß Menschen, die so gesinnt sind, ganz recht ge¬
schieht, wenn sie sich unter einander aufreiben, und also den ewigen Frieden
in dem weiten Grabe finden, das alle Gräuel der Gewaltthätigkeit sammt
ihren Urhebern bedeckt/' (Kant „zum ewigen Frieden." 179S. S. 37.)

Und doch — die Verletzungen des Völkerrechtes, wie häufig sie auch vor¬
kommen mögen, wie häufig ihre Bestrafung auch suspendirt bleiben möge,
bekräftigen gerade durch den Eindruck, den sie bei allen unbefangenen Beob¬
achtern hervorbringen, daß es eine gewisse Summe, ich will nicht sagen ein
System von Normen giebt, welche sich die Staaten in ihrem internationalen
Verkehre zur Richtschnur nehmen, welche den friedlichen Verkehr erleichtern,
und für den Fall der Unterbrechung dieses letzteren oder seiner Umkehr in's
Gegentheil den so heraufbeschworenen Feindseligkeiten eine möglichst enge
Schranke ziehen sollen.

Daß die Verletzung der Normen, welche das Völkerrecht im Frieden aus¬
machen, anstatt zur sicheren Bestrafung des Verletzers vielmehr in der Regel
zum Kriege führt, in welchem der Verletzer triumphirt, wenn er der Stärkere
war, und daß die Verletzung der Normen, welche das Völkerrecht im Kriege
ausmachen, nur dann bestraft wird, wenn der Verletzer unterliegt — das
allerdings, nicht die Verletzung an sich, zeigt deutlich, wie sehr das Völker¬
recht noch in den Kinderschuhen steckt. Aber die Thatsache, daß die Beob¬
achtung jener Normen die Regel, die Verleugnung derselben die Ausnahme
ist, der Umstand serner, daß diese Normen allmälig andere werden, ja die
bloße Thatsache langjähriger friedlicher Coexistenz benachbarter Staaten be¬
zeugt das Vorhandensein und die Entwickelungsfähigkeit eines Völkerrechtes,
als einer äußeren Ordnung der Lebensbeziehungen verschiedener Staaten, zu
einander. Diese Entwickelungsfähigkeit zeigt sich wohl nirgends deutlicher,
als an der Geschichte des Seerechts in Kriegszeiten. Eben hier sind
in den letzten Jahrzehnten unverkennbar einige große Fortschritte gemacht
worden, Eben hier sah man im jüngsten Kriege von dem mächtigeren
unter den Kriegführenden Normen beobachten, deren Verletzung von seiner
Seite keine auf dem Fuße folgende Strafe zu fürchten hätte; eben hier macht
sich die rechtschaffende Stimme der öffentlichen Meinung mit einer ganz be¬
stimmten Tendenz so entschieden geltend, daß man nicht zweifeln kann, es
werde hier ein neuer großer Umschwung vorbereitet. Wie sich in dieser Be¬
ziehung das Völkerrecht gestalten muß, wenn den internationalen Feindselig¬
keiten im Seekriege eine möglichst enge Schranke gezogen werden soll — dies
möge im Folgenden in aller Kürze dargethan werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/11>, abgerufen am 21.05.2024.