Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen Preußen dirigirt und bezahlt wurde. Und was waren seither die Er¬
folge dieser unerhörten Milde? Die Wahlen eines Ewald und Sonnemann! --

Die Schaffung eines neuenungelheilten Reichslandes aus den neuerworbenen
Provinzen hat zwar von Anfang an im Süden die eifrigsten Vertreter gefun¬
den: doch gilt dieß nur von der staatsrechtlichen Stellung zum übrigen Reich,
nicht von der Verwaltung. Vielmehr erwartet man bei uns in allen wohl¬
meinenden nationalen Kreisen die Durchführung preußischer Verwaltungs¬
grundsätze in den neuen Provinzen: man sieht dieselben gleichsam als eine
Versuchsstation an für die freiere Entwickung der trefflichen Grundlagen
der preußischen Verwaltung, als einen dankbaren Boden für die Neugestaltung
eines deutschen Verwaltungsrechts unter den Aegide des Reichskanzlers. Der
Elsässer bedarf vor allem einer Regierung, welche ihm imponirt, und das ist
allein die preußische: denn auf die süddeutschen Nachbarländer ist er -- ähnlich dem
stammverwandten Schweizer -- längst gewöhnt mit größter Geringschätzung
herabzusehen, und bis auf die neueste Zeit war deßhalb die Occupation durch
die badischen und württembergischen Truppen dasjenige, was am meisten Haß
und Demüthigung erzeugte; andrerseits versteht dort der französisch gebildete
Städter trefflich, den mangelnden socialen Schliff, die Schwerfälligkeit der
Bewegung, welche so vielen süddeutschen Beamten anklebt, ins Lächerliche zu
ziehen. Aber auch abgesehen hiervon, ist schon nach den bisherigen Erfahrun¬
gen bei dem Zusammenwirken eines aus allen deutschen Staaten zusammen¬
gewürfelten, nach den verschiedensten Grundsätzen ausgebildeten Personals von
richterlichen und Administrativ-Beamten ein geordneter Gang der Verwaltung
nicht zu erzielen, selbst wenn der Reichsregierung von den Einzelstaaten ein
besseres Material zur Verfügung gestellt würde, als es bisher, wenigstens im
Süden, der Fall war; denn es ist Thatsache, daß was sich bei uns bis¬
her zur Verwaltung von richterlichen und administrativen Stellen im Elsaß
herzudrängte, aus Elementen besteht, deren man sich diesseits gern auf Kosten
des Reichs entledigen würde. Nur Preußen vermag in dieser Beziehung die
erforderliche Einheit der Verwaltung herzustellen, und aus dem ihm zu Ge¬
bote stehenden Personal die für die neuen Provinzen geeigneten Beamten aus¬
zuwählen. Soll daher die Reichsregierung die mit der Dictatur verbundene
große Verantwortlichkeit mit Erfolg übernehmen, so darf sie nicht bezüglich
der Wahl ihrer Vollzugsorgane auf persönliche Recommandationen von Seiten
der Einzelstaaten, welche sich jeder Controle entziehen, verwiesen werden. Wenn
irgend etwas der neuen Reichsgewalt im Elsaß schaden könnte, so wäre es
". die mangelnde Integrität des importirten Beamtenstandes!




gegen Preußen dirigirt und bezahlt wurde. Und was waren seither die Er¬
folge dieser unerhörten Milde? Die Wahlen eines Ewald und Sonnemann! —

Die Schaffung eines neuenungelheilten Reichslandes aus den neuerworbenen
Provinzen hat zwar von Anfang an im Süden die eifrigsten Vertreter gefun¬
den: doch gilt dieß nur von der staatsrechtlichen Stellung zum übrigen Reich,
nicht von der Verwaltung. Vielmehr erwartet man bei uns in allen wohl¬
meinenden nationalen Kreisen die Durchführung preußischer Verwaltungs¬
grundsätze in den neuen Provinzen: man sieht dieselben gleichsam als eine
Versuchsstation an für die freiere Entwickung der trefflichen Grundlagen
der preußischen Verwaltung, als einen dankbaren Boden für die Neugestaltung
eines deutschen Verwaltungsrechts unter den Aegide des Reichskanzlers. Der
Elsässer bedarf vor allem einer Regierung, welche ihm imponirt, und das ist
allein die preußische: denn auf die süddeutschen Nachbarländer ist er — ähnlich dem
stammverwandten Schweizer — längst gewöhnt mit größter Geringschätzung
herabzusehen, und bis auf die neueste Zeit war deßhalb die Occupation durch
die badischen und württembergischen Truppen dasjenige, was am meisten Haß
und Demüthigung erzeugte; andrerseits versteht dort der französisch gebildete
Städter trefflich, den mangelnden socialen Schliff, die Schwerfälligkeit der
Bewegung, welche so vielen süddeutschen Beamten anklebt, ins Lächerliche zu
ziehen. Aber auch abgesehen hiervon, ist schon nach den bisherigen Erfahrun¬
gen bei dem Zusammenwirken eines aus allen deutschen Staaten zusammen¬
gewürfelten, nach den verschiedensten Grundsätzen ausgebildeten Personals von
richterlichen und Administrativ-Beamten ein geordneter Gang der Verwaltung
nicht zu erzielen, selbst wenn der Reichsregierung von den Einzelstaaten ein
besseres Material zur Verfügung gestellt würde, als es bisher, wenigstens im
Süden, der Fall war; denn es ist Thatsache, daß was sich bei uns bis¬
her zur Verwaltung von richterlichen und administrativen Stellen im Elsaß
herzudrängte, aus Elementen besteht, deren man sich diesseits gern auf Kosten
des Reichs entledigen würde. Nur Preußen vermag in dieser Beziehung die
erforderliche Einheit der Verwaltung herzustellen, und aus dem ihm zu Ge¬
bote stehenden Personal die für die neuen Provinzen geeigneten Beamten aus¬
zuwählen. Soll daher die Reichsregierung die mit der Dictatur verbundene
große Verantwortlichkeit mit Erfolg übernehmen, so darf sie nicht bezüglich
der Wahl ihrer Vollzugsorgane auf persönliche Recommandationen von Seiten
der Einzelstaaten, welche sich jeder Controle entziehen, verwiesen werden. Wenn
irgend etwas der neuen Reichsgewalt im Elsaß schaden könnte, so wäre es
«. die mangelnde Integrität des importirten Beamtenstandes!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125949"/>
          <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540"> gegen Preußen dirigirt und bezahlt wurde. Und was waren seither die Er¬<lb/>
folge dieser unerhörten Milde? Die Wahlen eines Ewald und Sonnemann! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_542"> Die Schaffung eines neuenungelheilten Reichslandes aus den neuerworbenen<lb/>
Provinzen hat zwar von Anfang an im Süden die eifrigsten Vertreter gefun¬<lb/>
den: doch gilt dieß nur von der staatsrechtlichen Stellung zum übrigen Reich,<lb/>
nicht von der Verwaltung. Vielmehr erwartet man bei uns in allen wohl¬<lb/>
meinenden nationalen Kreisen die Durchführung preußischer Verwaltungs¬<lb/>
grundsätze in den neuen Provinzen: man sieht dieselben gleichsam als eine<lb/>
Versuchsstation an für die freiere Entwickung der trefflichen Grundlagen<lb/>
der preußischen Verwaltung, als einen dankbaren Boden für die Neugestaltung<lb/>
eines deutschen Verwaltungsrechts unter den Aegide des Reichskanzlers. Der<lb/>
Elsässer bedarf vor allem einer Regierung, welche ihm imponirt, und das ist<lb/>
allein die preußische: denn auf die süddeutschen Nachbarländer ist er &#x2014; ähnlich dem<lb/>
stammverwandten Schweizer &#x2014; längst gewöhnt mit größter Geringschätzung<lb/>
herabzusehen, und bis auf die neueste Zeit war deßhalb die Occupation durch<lb/>
die badischen und württembergischen Truppen dasjenige, was am meisten Haß<lb/>
und Demüthigung erzeugte; andrerseits versteht dort der französisch gebildete<lb/>
Städter trefflich, den mangelnden socialen Schliff, die Schwerfälligkeit der<lb/>
Bewegung, welche so vielen süddeutschen Beamten anklebt, ins Lächerliche zu<lb/>
ziehen. Aber auch abgesehen hiervon, ist schon nach den bisherigen Erfahrun¬<lb/>
gen bei dem Zusammenwirken eines aus allen deutschen Staaten zusammen¬<lb/>
gewürfelten, nach den verschiedensten Grundsätzen ausgebildeten Personals von<lb/>
richterlichen und Administrativ-Beamten ein geordneter Gang der Verwaltung<lb/>
nicht zu erzielen, selbst wenn der Reichsregierung von den Einzelstaaten ein<lb/>
besseres Material zur Verfügung gestellt würde, als es bisher, wenigstens im<lb/>
Süden, der Fall war; denn es ist Thatsache, daß was sich bei uns bis¬<lb/>
her zur Verwaltung von richterlichen und administrativen Stellen im Elsaß<lb/>
herzudrängte, aus Elementen besteht, deren man sich diesseits gern auf Kosten<lb/>
des Reichs entledigen würde. Nur Preußen vermag in dieser Beziehung die<lb/>
erforderliche Einheit der Verwaltung herzustellen, und aus dem ihm zu Ge¬<lb/>
bote stehenden Personal die für die neuen Provinzen geeigneten Beamten aus¬<lb/>
zuwählen. Soll daher die Reichsregierung die mit der Dictatur verbundene<lb/>
große Verantwortlichkeit mit Erfolg übernehmen, so darf sie nicht bezüglich<lb/>
der Wahl ihrer Vollzugsorgane auf persönliche Recommandationen von Seiten<lb/>
der Einzelstaaten, welche sich jeder Controle entziehen, verwiesen werden. Wenn<lb/>
irgend etwas der neuen Reichsgewalt im Elsaß schaden könnte, so wäre es<lb/><note type="byline"> «.</note> die mangelnde Integrität des importirten Beamtenstandes! </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] gegen Preußen dirigirt und bezahlt wurde. Und was waren seither die Er¬ folge dieser unerhörten Milde? Die Wahlen eines Ewald und Sonnemann! — Die Schaffung eines neuenungelheilten Reichslandes aus den neuerworbenen Provinzen hat zwar von Anfang an im Süden die eifrigsten Vertreter gefun¬ den: doch gilt dieß nur von der staatsrechtlichen Stellung zum übrigen Reich, nicht von der Verwaltung. Vielmehr erwartet man bei uns in allen wohl¬ meinenden nationalen Kreisen die Durchführung preußischer Verwaltungs¬ grundsätze in den neuen Provinzen: man sieht dieselben gleichsam als eine Versuchsstation an für die freiere Entwickung der trefflichen Grundlagen der preußischen Verwaltung, als einen dankbaren Boden für die Neugestaltung eines deutschen Verwaltungsrechts unter den Aegide des Reichskanzlers. Der Elsässer bedarf vor allem einer Regierung, welche ihm imponirt, und das ist allein die preußische: denn auf die süddeutschen Nachbarländer ist er — ähnlich dem stammverwandten Schweizer — längst gewöhnt mit größter Geringschätzung herabzusehen, und bis auf die neueste Zeit war deßhalb die Occupation durch die badischen und württembergischen Truppen dasjenige, was am meisten Haß und Demüthigung erzeugte; andrerseits versteht dort der französisch gebildete Städter trefflich, den mangelnden socialen Schliff, die Schwerfälligkeit der Bewegung, welche so vielen süddeutschen Beamten anklebt, ins Lächerliche zu ziehen. Aber auch abgesehen hiervon, ist schon nach den bisherigen Erfahrun¬ gen bei dem Zusammenwirken eines aus allen deutschen Staaten zusammen¬ gewürfelten, nach den verschiedensten Grundsätzen ausgebildeten Personals von richterlichen und Administrativ-Beamten ein geordneter Gang der Verwaltung nicht zu erzielen, selbst wenn der Reichsregierung von den Einzelstaaten ein besseres Material zur Verfügung gestellt würde, als es bisher, wenigstens im Süden, der Fall war; denn es ist Thatsache, daß was sich bei uns bis¬ her zur Verwaltung von richterlichen und administrativen Stellen im Elsaß herzudrängte, aus Elementen besteht, deren man sich diesseits gern auf Kosten des Reichs entledigen würde. Nur Preußen vermag in dieser Beziehung die erforderliche Einheit der Verwaltung herzustellen, und aus dem ihm zu Ge¬ bote stehenden Personal die für die neuen Provinzen geeigneten Beamten aus¬ zuwählen. Soll daher die Reichsregierung die mit der Dictatur verbundene große Verantwortlichkeit mit Erfolg übernehmen, so darf sie nicht bezüglich der Wahl ihrer Vollzugsorgane auf persönliche Recommandationen von Seiten der Einzelstaaten, welche sich jeder Controle entziehen, verwiesen werden. Wenn irgend etwas der neuen Reichsgewalt im Elsaß schaden könnte, so wäre es «. die mangelnde Integrität des importirten Beamtenstandes!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/167>, abgerufen am 21.05.2024.