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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Tabaks-Jndustrie ^-- es reißt auch den ganzen inländischen, sowie Ein- und
Ausfuhr-Handel mit Tabak an sich. Und wie will man jene vielen
Tausende von kleinen und großen Tabaksgeschäften, welche sich mit diesem
Handel beschäftigen, für ihre Capital- und Verdienst-Verluste entschädigen?
Man wird einige Großhändler und die meisten Kleinhändler, wenn man nicht
lediglich an Agenten oder Commissionäre verkauft, als Kunden beschäftigen;
aber die Händler, welche den Verkehr zwischen Producenten und Fabrikanten
und zwischen Fabrikanten und Kleinhändlern vermittelten, werden überflüssig.
Wie ein auf Nimmerwiedersehen vergrabener Schatz werden sich die im Tabaks¬
handel angelegten Capitalien, der hier erworbene Credit, die hier erarbeitete
Waaren- und Geschäftskenntniß ausnehmen. Die Vertretung des gesammten
deutschen Handelsstandes, der bleibende Ausschuß des deutschen Handelstages,
hat dieses Moment in einer kürzlich an den Bundesrath gerichteten Eingabe
treffend hervorgehoben. "Man würde zunächst" -- heißt es da -- "den
Tabakshandel zerstören und das Reich zum einzigen Tabakshändler machen.
Die deutschen Seestädte, Bremen und Hamburg, sind bekanntlich Tabaks¬
märkte ersten Ranges. Bremen allein hat im Jahre 1869 an rohem Blätter¬
tabak 71,393,075 Pfd. im Werthe von 14,080,502 Thlr. eingeführt und
64.134.685 Pfd. im Werthe von 13,230.964 Thlr. ausgeführt. Auf den
Märkten der beiden Städte versorgen sich die Regieverwaltungen fast aller
europäischen Monopolstaaten, und auch nach Nord- und Südamerika, nach
Asien und Afrika werden aus ihnen bedeutende Posten verschifft. Es liegt in
der Natur des Artikels, daß der Fabrikant eine reiche und freie Auswahl unter
den verschiedenen Sorten haben muß, und der Umstand, daß deutsche Han¬
delsstädte allein diese Auswahl zu bieten vermochten, hat dem deutschen
Tabakshandel zu seinem Umfange verhelfen."

Was das heißt -- einen solchen Handel zerstören, davon haben freilich
wohl die Minister eines binnenländischen Mittelstaates schwerlich eine Vor¬
stellung. Man mag sich erinnern, daß wir diesem Handel zum guten Theile
es verdanken, daß unsere Handelsmarine die drittgrößte der Welt ist. Und,
wenn man diese Thatsache nicht zu würdigen vermag, so wolle man sich ernst¬
lich fragen, wie man sich wohl zu dem Vorschlage stellen würde, daß der
Staat mit einem Male den ganzen Tuch-, oder Leinwand-, oder Seiden-,
oder Holz- oder Getreide-Handel des Landes den Privaten aus den Händen
und in eigene Regie zu nehmen habe. Bezüglich des Tabakshandels ist das
Unerhörte anderwärts, wenn auch in Zeiten, wo der Gewaltstreich weit we¬
niger ruinös war, bereits geschehen; diesem Geschäfte gegenüber hat man sich
an den Gedanken der Möglichkeit bereits gewöhnt; will man aber den rich¬
tigen Maßstab zur Beurtheilung der Maßregel für unsere Verhältnisse und
für unsere Zeit finden, so muß man denken, daß Tabak ein ebenso legitimer


Tabaks-Jndustrie ^— es reißt auch den ganzen inländischen, sowie Ein- und
Ausfuhr-Handel mit Tabak an sich. Und wie will man jene vielen
Tausende von kleinen und großen Tabaksgeschäften, welche sich mit diesem
Handel beschäftigen, für ihre Capital- und Verdienst-Verluste entschädigen?
Man wird einige Großhändler und die meisten Kleinhändler, wenn man nicht
lediglich an Agenten oder Commissionäre verkauft, als Kunden beschäftigen;
aber die Händler, welche den Verkehr zwischen Producenten und Fabrikanten
und zwischen Fabrikanten und Kleinhändlern vermittelten, werden überflüssig.
Wie ein auf Nimmerwiedersehen vergrabener Schatz werden sich die im Tabaks¬
handel angelegten Capitalien, der hier erworbene Credit, die hier erarbeitete
Waaren- und Geschäftskenntniß ausnehmen. Die Vertretung des gesammten
deutschen Handelsstandes, der bleibende Ausschuß des deutschen Handelstages,
hat dieses Moment in einer kürzlich an den Bundesrath gerichteten Eingabe
treffend hervorgehoben. „Man würde zunächst" — heißt es da — „den
Tabakshandel zerstören und das Reich zum einzigen Tabakshändler machen.
Die deutschen Seestädte, Bremen und Hamburg, sind bekanntlich Tabaks¬
märkte ersten Ranges. Bremen allein hat im Jahre 1869 an rohem Blätter¬
tabak 71,393,075 Pfd. im Werthe von 14,080,502 Thlr. eingeführt und
64.134.685 Pfd. im Werthe von 13,230.964 Thlr. ausgeführt. Auf den
Märkten der beiden Städte versorgen sich die Regieverwaltungen fast aller
europäischen Monopolstaaten, und auch nach Nord- und Südamerika, nach
Asien und Afrika werden aus ihnen bedeutende Posten verschifft. Es liegt in
der Natur des Artikels, daß der Fabrikant eine reiche und freie Auswahl unter
den verschiedenen Sorten haben muß, und der Umstand, daß deutsche Han¬
delsstädte allein diese Auswahl zu bieten vermochten, hat dem deutschen
Tabakshandel zu seinem Umfange verhelfen."

Was das heißt — einen solchen Handel zerstören, davon haben freilich
wohl die Minister eines binnenländischen Mittelstaates schwerlich eine Vor¬
stellung. Man mag sich erinnern, daß wir diesem Handel zum guten Theile
es verdanken, daß unsere Handelsmarine die drittgrößte der Welt ist. Und,
wenn man diese Thatsache nicht zu würdigen vermag, so wolle man sich ernst¬
lich fragen, wie man sich wohl zu dem Vorschlage stellen würde, daß der
Staat mit einem Male den ganzen Tuch-, oder Leinwand-, oder Seiden-,
oder Holz- oder Getreide-Handel des Landes den Privaten aus den Händen
und in eigene Regie zu nehmen habe. Bezüglich des Tabakshandels ist das
Unerhörte anderwärts, wenn auch in Zeiten, wo der Gewaltstreich weit we¬
niger ruinös war, bereits geschehen; diesem Geschäfte gegenüber hat man sich
an den Gedanken der Möglichkeit bereits gewöhnt; will man aber den rich¬
tigen Maßstab zur Beurtheilung der Maßregel für unsere Verhältnisse und
für unsere Zeit finden, so muß man denken, daß Tabak ein ebenso legitimer


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[0339] Tabaks-Jndustrie ^— es reißt auch den ganzen inländischen, sowie Ein- und Ausfuhr-Handel mit Tabak an sich. Und wie will man jene vielen Tausende von kleinen und großen Tabaksgeschäften, welche sich mit diesem Handel beschäftigen, für ihre Capital- und Verdienst-Verluste entschädigen? Man wird einige Großhändler und die meisten Kleinhändler, wenn man nicht lediglich an Agenten oder Commissionäre verkauft, als Kunden beschäftigen; aber die Händler, welche den Verkehr zwischen Producenten und Fabrikanten und zwischen Fabrikanten und Kleinhändlern vermittelten, werden überflüssig. Wie ein auf Nimmerwiedersehen vergrabener Schatz werden sich die im Tabaks¬ handel angelegten Capitalien, der hier erworbene Credit, die hier erarbeitete Waaren- und Geschäftskenntniß ausnehmen. Die Vertretung des gesammten deutschen Handelsstandes, der bleibende Ausschuß des deutschen Handelstages, hat dieses Moment in einer kürzlich an den Bundesrath gerichteten Eingabe treffend hervorgehoben. „Man würde zunächst" — heißt es da — „den Tabakshandel zerstören und das Reich zum einzigen Tabakshändler machen. Die deutschen Seestädte, Bremen und Hamburg, sind bekanntlich Tabaks¬ märkte ersten Ranges. Bremen allein hat im Jahre 1869 an rohem Blätter¬ tabak 71,393,075 Pfd. im Werthe von 14,080,502 Thlr. eingeführt und 64.134.685 Pfd. im Werthe von 13,230.964 Thlr. ausgeführt. Auf den Märkten der beiden Städte versorgen sich die Regieverwaltungen fast aller europäischen Monopolstaaten, und auch nach Nord- und Südamerika, nach Asien und Afrika werden aus ihnen bedeutende Posten verschifft. Es liegt in der Natur des Artikels, daß der Fabrikant eine reiche und freie Auswahl unter den verschiedenen Sorten haben muß, und der Umstand, daß deutsche Han¬ delsstädte allein diese Auswahl zu bieten vermochten, hat dem deutschen Tabakshandel zu seinem Umfange verhelfen." Was das heißt — einen solchen Handel zerstören, davon haben freilich wohl die Minister eines binnenländischen Mittelstaates schwerlich eine Vor¬ stellung. Man mag sich erinnern, daß wir diesem Handel zum guten Theile es verdanken, daß unsere Handelsmarine die drittgrößte der Welt ist. Und, wenn man diese Thatsache nicht zu würdigen vermag, so wolle man sich ernst¬ lich fragen, wie man sich wohl zu dem Vorschlage stellen würde, daß der Staat mit einem Male den ganzen Tuch-, oder Leinwand-, oder Seiden-, oder Holz- oder Getreide-Handel des Landes den Privaten aus den Händen und in eigene Regie zu nehmen habe. Bezüglich des Tabakshandels ist das Unerhörte anderwärts, wenn auch in Zeiten, wo der Gewaltstreich weit we¬ niger ruinös war, bereits geschehen; diesem Geschäfte gegenüber hat man sich an den Gedanken der Möglichkeit bereits gewöhnt; will man aber den rich¬ tigen Maßstab zur Beurtheilung der Maßregel für unsere Verhältnisse und für unsere Zeit finden, so muß man denken, daß Tabak ein ebenso legitimer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/339>, abgerufen am 13.06.2024.