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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Cre. Mark 730 pro Kopf. -- Bedarf es noch weiterer Nachweise, daß der
Staat in dieser Art der Armenpflege einen niemals zu rechtfertigenden Luxus
treibt, der um so schärfer verurtheilt werden muß, wenn erwogen wird, daß
die in den Stiftungen unter öffentliche Fürsorge genommenen Personen nicht
etwa von der Centralleitung einer einheitlich organisirten Gesammt-Armen-
pflege dorthin gewiesen, sondern nach dem Belieben irgend einer auf dem
Cooptationswege zum lebenslänglichen Amte eines Stiftungs-Vorstehers ge¬
langten Person ausgenommen werden" u. f. w.? Denn auch das ist in dem
Berichte völlig klar gestellt, daß die, ganz decentralisirte, Verwaltung dieser
Stiftungen keinerlei sichere Gewähr für --- wir wollen gar nicht sagen stif¬
tungsgemäße, sondern auch nur einigermaßen zweckmäßige, Verwendung der
Stiftungsmittel bietet.

Die juristische Prüfung führt den Ausschuß zu dem Resultate, daß
falls jene Stiftungen, wenn auch nicht durch ausdrückliche Staatserklärung,
fo doch durch factische staatliche Anerkennung den Charakter der juristischen
Personen angenommen haben, sie diesen Charakter doch nur von der Staats¬
gewalt herleiten können, welche, was sie, ohne Privatrechte zu gewähren, ge¬
geben, auch wieder nehmen kann; daß der Staat ohne allen Zweifel berech¬
tigt ist, durch Aufhebung der juristischen Persönlichkeit der Stiftungen deren
Vermögen zu einem donum vaeans zu machen und den Anheimfall desselben
in das allgemeine Staatsvermögen herbeizuführen.

Die fraglichen Anstalten und Stiftungen gehören keineswegs zu dem
Vermögen von bestehenden Genossenschaften; sie können nicht einmal auf un¬
verändert befolgte Vorschriften von bestimmten Privatstiftern zurückgeführt
werden. Jede einzelne Stiftung ist vielmehr lediglich ein durch Geschehen¬
lassen des Staatswillens zu juristischer Persönlichkeit gelangtes Zweckleben;
bei keiner handelt es sich heute noch um eine erkennbare Fortwirkung der
ursprünglich gegebenen Ziele. Selbst wenn dem nicht so wäre, stünde offen¬
bar der Staatsgewalt, falls sie ein der Erfüllung der Staatsaufgabe hindernd
in den Weg tretendes Gebahren der fraglichen Institute wahrnähme, ganz
zweifellos das Recht zu, die Fortexistenz der letzteren zu untersagen.

Wenn private Zuwendungen das Vermögen einzelner Stiftungen vermehrt
haben, so kann dieser Umstand an der Befugniß des Staates nichts ändern.
Höchstens, daß solche Zuwendungen, wenn einem besonderen Zwecke gewidmet,
diesem Zwecke, falls er staatlicher Anerkennung wüvdig ist, erhalten werden
müßten. Im vorliegenden Falle kann von sub moäo gemachten privaten
Zuwendungen nicht die Rede sein. Dieselben theilen also das Schicksal der
Hauptstiftung in allen Stücken.

Bedenken der Pietät können gegen den Schluß der juristischen De-
duction um so weniger geltend gemacht werden, da die fraglichen Stiftungen


Cre. Mark 730 pro Kopf. — Bedarf es noch weiterer Nachweise, daß der
Staat in dieser Art der Armenpflege einen niemals zu rechtfertigenden Luxus
treibt, der um so schärfer verurtheilt werden muß, wenn erwogen wird, daß
die in den Stiftungen unter öffentliche Fürsorge genommenen Personen nicht
etwa von der Centralleitung einer einheitlich organisirten Gesammt-Armen-
pflege dorthin gewiesen, sondern nach dem Belieben irgend einer auf dem
Cooptationswege zum lebenslänglichen Amte eines Stiftungs-Vorstehers ge¬
langten Person ausgenommen werden" u. f. w.? Denn auch das ist in dem
Berichte völlig klar gestellt, daß die, ganz decentralisirte, Verwaltung dieser
Stiftungen keinerlei sichere Gewähr für -— wir wollen gar nicht sagen stif¬
tungsgemäße, sondern auch nur einigermaßen zweckmäßige, Verwendung der
Stiftungsmittel bietet.

Die juristische Prüfung führt den Ausschuß zu dem Resultate, daß
falls jene Stiftungen, wenn auch nicht durch ausdrückliche Staatserklärung,
fo doch durch factische staatliche Anerkennung den Charakter der juristischen
Personen angenommen haben, sie diesen Charakter doch nur von der Staats¬
gewalt herleiten können, welche, was sie, ohne Privatrechte zu gewähren, ge¬
geben, auch wieder nehmen kann; daß der Staat ohne allen Zweifel berech¬
tigt ist, durch Aufhebung der juristischen Persönlichkeit der Stiftungen deren
Vermögen zu einem donum vaeans zu machen und den Anheimfall desselben
in das allgemeine Staatsvermögen herbeizuführen.

Die fraglichen Anstalten und Stiftungen gehören keineswegs zu dem
Vermögen von bestehenden Genossenschaften; sie können nicht einmal auf un¬
verändert befolgte Vorschriften von bestimmten Privatstiftern zurückgeführt
werden. Jede einzelne Stiftung ist vielmehr lediglich ein durch Geschehen¬
lassen des Staatswillens zu juristischer Persönlichkeit gelangtes Zweckleben;
bei keiner handelt es sich heute noch um eine erkennbare Fortwirkung der
ursprünglich gegebenen Ziele. Selbst wenn dem nicht so wäre, stünde offen¬
bar der Staatsgewalt, falls sie ein der Erfüllung der Staatsaufgabe hindernd
in den Weg tretendes Gebahren der fraglichen Institute wahrnähme, ganz
zweifellos das Recht zu, die Fortexistenz der letzteren zu untersagen.

Wenn private Zuwendungen das Vermögen einzelner Stiftungen vermehrt
haben, so kann dieser Umstand an der Befugniß des Staates nichts ändern.
Höchstens, daß solche Zuwendungen, wenn einem besonderen Zwecke gewidmet,
diesem Zwecke, falls er staatlicher Anerkennung wüvdig ist, erhalten werden
müßten. Im vorliegenden Falle kann von sub moäo gemachten privaten
Zuwendungen nicht die Rede sein. Dieselben theilen also das Schicksal der
Hauptstiftung in allen Stücken.

Bedenken der Pietät können gegen den Schluß der juristischen De-
duction um so weniger geltend gemacht werden, da die fraglichen Stiftungen


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[0075] Cre. Mark 730 pro Kopf. — Bedarf es noch weiterer Nachweise, daß der Staat in dieser Art der Armenpflege einen niemals zu rechtfertigenden Luxus treibt, der um so schärfer verurtheilt werden muß, wenn erwogen wird, daß die in den Stiftungen unter öffentliche Fürsorge genommenen Personen nicht etwa von der Centralleitung einer einheitlich organisirten Gesammt-Armen- pflege dorthin gewiesen, sondern nach dem Belieben irgend einer auf dem Cooptationswege zum lebenslänglichen Amte eines Stiftungs-Vorstehers ge¬ langten Person ausgenommen werden" u. f. w.? Denn auch das ist in dem Berichte völlig klar gestellt, daß die, ganz decentralisirte, Verwaltung dieser Stiftungen keinerlei sichere Gewähr für -— wir wollen gar nicht sagen stif¬ tungsgemäße, sondern auch nur einigermaßen zweckmäßige, Verwendung der Stiftungsmittel bietet. Die juristische Prüfung führt den Ausschuß zu dem Resultate, daß falls jene Stiftungen, wenn auch nicht durch ausdrückliche Staatserklärung, fo doch durch factische staatliche Anerkennung den Charakter der juristischen Personen angenommen haben, sie diesen Charakter doch nur von der Staats¬ gewalt herleiten können, welche, was sie, ohne Privatrechte zu gewähren, ge¬ geben, auch wieder nehmen kann; daß der Staat ohne allen Zweifel berech¬ tigt ist, durch Aufhebung der juristischen Persönlichkeit der Stiftungen deren Vermögen zu einem donum vaeans zu machen und den Anheimfall desselben in das allgemeine Staatsvermögen herbeizuführen. Die fraglichen Anstalten und Stiftungen gehören keineswegs zu dem Vermögen von bestehenden Genossenschaften; sie können nicht einmal auf un¬ verändert befolgte Vorschriften von bestimmten Privatstiftern zurückgeführt werden. Jede einzelne Stiftung ist vielmehr lediglich ein durch Geschehen¬ lassen des Staatswillens zu juristischer Persönlichkeit gelangtes Zweckleben; bei keiner handelt es sich heute noch um eine erkennbare Fortwirkung der ursprünglich gegebenen Ziele. Selbst wenn dem nicht so wäre, stünde offen¬ bar der Staatsgewalt, falls sie ein der Erfüllung der Staatsaufgabe hindernd in den Weg tretendes Gebahren der fraglichen Institute wahrnähme, ganz zweifellos das Recht zu, die Fortexistenz der letzteren zu untersagen. Wenn private Zuwendungen das Vermögen einzelner Stiftungen vermehrt haben, so kann dieser Umstand an der Befugniß des Staates nichts ändern. Höchstens, daß solche Zuwendungen, wenn einem besonderen Zwecke gewidmet, diesem Zwecke, falls er staatlicher Anerkennung wüvdig ist, erhalten werden müßten. Im vorliegenden Falle kann von sub moäo gemachten privaten Zuwendungen nicht die Rede sein. Dieselben theilen also das Schicksal der Hauptstiftung in allen Stücken. Bedenken der Pietät können gegen den Schluß der juristischen De- duction um so weniger geltend gemacht werden, da die fraglichen Stiftungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/75>, abgerufen am 06.06.2024.