Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ten daran und vergaßen, daß Frankreich zur Freiheit nicht weniger als Alles
immer gefehlt hat. Die Republik wurde besiegt, wie das Kaiserthum be¬
siegt worden war, und um über ihren Werth keinen Zweifel zu lassen,
debütirten sie, nach dem Friedensschlüsse, als sie begannen sich den inneren
Angelegenheiten zu widmen, mit dem ekel- und grauenhaften Aufstand der
Commune und der eben so grauenhaften Unterdrückung desselben. Die Abge¬
ordneten der Nation aber, welche in Versailles versammelt sind, gaben das
klägliche Schauspiel der Parteiwuth, und als dem schauspielernden Thiers
einmal das Herz überging, mußte er eingestehen, daß seine größte Sorge die
sei, die Parteien zu hindern, über einander herzufallen. Wenn es noch einen
einigenden Gedanken gibt, so ist es der eines Rachekrieges gegen Deutsch¬
land, um die verlorene Gloire wieder herzustellen und um selbst das¬
jenige Motiv, welches einen Krieg am ehesten rechtfertigen könnte und welches
auch in den Bordergrund geschoben wird: die Zusammengehörigkeit mit den
Elsaß-Lothringern und deren Wunsch bei Frankreich zu bleiben, hinfällig zu
machen, verrathen die Franzosen deutlich genug, daß sie die deutschen
Elsasser doch nicht als gleichberechtigt neben sich ansehen, sondern sie und
ihr Land nur ausnutzen wollen.

Mancherlei Factoren wirken zusammen, um die Stellung Deutschlands
jetzt günstiger zu gestalten. Der Erfolg, der uns aus Schritt und Tritt seit
dem Juli v. I. begleitet hat, übt seine blendende Gewalt auch auf Wider¬
willige; für eine und die andere Regierung hat die französische Republik
etwas Abschreckendes; die gegenwärtigen Zustände in Frankreich endlich müssen
auch die fanatischsten Bewunderer dieses Landes und Volkes abkühlen. So
ist wirklich denkbar, daß die Friedensliga zu Stande kommt, ja daß sie
schon -- und nicht bloß auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit zu Stande
gekommen ist -- und es ist ein Zeugniß, daß die Völker und die Regierungen
endlich die Gerechtigkeit der deutschen Sache, die so lange verkannt worden,
anerkennen, daß sie von der Friedensliebe und Gerechtigkeit Deutschlands über¬
zeugt sind, daß sie keine Pläne befürchten, welche ihre Sicherheit bedrohen,
und endlich daß sie die Demüthigung Frankreichs für eine wohlverdiente
Strafe halten.

Der heutige Jahrestag geht hier still vorüber. Hier und da hat sich ein
Haus mit ein paar Fahnen geschmückt, bei den Truppen finden Festlichkeiten
aber nur in den Kasernen statt. Der Streit, ob der 1. September oder ein
anderer Tag aus dem vergangen Kriege zum nationalen Gedenk- und Festtag
gemacht werden solle, ist noch nicht endgültig entschieden, doch scheint sich die
Meinung zu Gunsten des großen Tages von Sedan zu wenden. Und nicht
mit Unrecht. Es ist wahr, daß nach Sedan erst der zweite und längere Act
des Krieges begann und eben so wahr, daß sich die Franzosen die Erinnerung


ten daran und vergaßen, daß Frankreich zur Freiheit nicht weniger als Alles
immer gefehlt hat. Die Republik wurde besiegt, wie das Kaiserthum be¬
siegt worden war, und um über ihren Werth keinen Zweifel zu lassen,
debütirten sie, nach dem Friedensschlüsse, als sie begannen sich den inneren
Angelegenheiten zu widmen, mit dem ekel- und grauenhaften Aufstand der
Commune und der eben so grauenhaften Unterdrückung desselben. Die Abge¬
ordneten der Nation aber, welche in Versailles versammelt sind, gaben das
klägliche Schauspiel der Parteiwuth, und als dem schauspielernden Thiers
einmal das Herz überging, mußte er eingestehen, daß seine größte Sorge die
sei, die Parteien zu hindern, über einander herzufallen. Wenn es noch einen
einigenden Gedanken gibt, so ist es der eines Rachekrieges gegen Deutsch¬
land, um die verlorene Gloire wieder herzustellen und um selbst das¬
jenige Motiv, welches einen Krieg am ehesten rechtfertigen könnte und welches
auch in den Bordergrund geschoben wird: die Zusammengehörigkeit mit den
Elsaß-Lothringern und deren Wunsch bei Frankreich zu bleiben, hinfällig zu
machen, verrathen die Franzosen deutlich genug, daß sie die deutschen
Elsasser doch nicht als gleichberechtigt neben sich ansehen, sondern sie und
ihr Land nur ausnutzen wollen.

Mancherlei Factoren wirken zusammen, um die Stellung Deutschlands
jetzt günstiger zu gestalten. Der Erfolg, der uns aus Schritt und Tritt seit
dem Juli v. I. begleitet hat, übt seine blendende Gewalt auch auf Wider¬
willige; für eine und die andere Regierung hat die französische Republik
etwas Abschreckendes; die gegenwärtigen Zustände in Frankreich endlich müssen
auch die fanatischsten Bewunderer dieses Landes und Volkes abkühlen. So
ist wirklich denkbar, daß die Friedensliga zu Stande kommt, ja daß sie
schon — und nicht bloß auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit zu Stande
gekommen ist — und es ist ein Zeugniß, daß die Völker und die Regierungen
endlich die Gerechtigkeit der deutschen Sache, die so lange verkannt worden,
anerkennen, daß sie von der Friedensliebe und Gerechtigkeit Deutschlands über¬
zeugt sind, daß sie keine Pläne befürchten, welche ihre Sicherheit bedrohen,
und endlich daß sie die Demüthigung Frankreichs für eine wohlverdiente
Strafe halten.

Der heutige Jahrestag geht hier still vorüber. Hier und da hat sich ein
Haus mit ein paar Fahnen geschmückt, bei den Truppen finden Festlichkeiten
aber nur in den Kasernen statt. Der Streit, ob der 1. September oder ein
anderer Tag aus dem vergangen Kriege zum nationalen Gedenk- und Festtag
gemacht werden solle, ist noch nicht endgültig entschieden, doch scheint sich die
Meinung zu Gunsten des großen Tages von Sedan zu wenden. Und nicht
mit Unrecht. Es ist wahr, daß nach Sedan erst der zweite und längere Act
des Krieges begann und eben so wahr, daß sich die Franzosen die Erinnerung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126722"/>
          <p xml:id="ID_1367" prev="#ID_1366"> ten daran und vergaßen, daß Frankreich zur Freiheit nicht weniger als Alles<lb/>
immer gefehlt hat. Die Republik wurde besiegt, wie das Kaiserthum be¬<lb/>
siegt worden war, und um über ihren Werth keinen Zweifel zu lassen,<lb/>
debütirten sie, nach dem Friedensschlüsse, als sie begannen sich den inneren<lb/>
Angelegenheiten zu widmen, mit dem ekel- und grauenhaften Aufstand der<lb/>
Commune und der eben so grauenhaften Unterdrückung desselben. Die Abge¬<lb/>
ordneten der Nation aber, welche in Versailles versammelt sind, gaben das<lb/>
klägliche Schauspiel der Parteiwuth, und als dem schauspielernden Thiers<lb/>
einmal das Herz überging, mußte er eingestehen, daß seine größte Sorge die<lb/>
sei, die Parteien zu hindern, über einander herzufallen. Wenn es noch einen<lb/>
einigenden Gedanken gibt, so ist es der eines Rachekrieges gegen Deutsch¬<lb/>
land, um die verlorene Gloire wieder herzustellen und um selbst das¬<lb/>
jenige Motiv, welches einen Krieg am ehesten rechtfertigen könnte und welches<lb/>
auch in den Bordergrund geschoben wird: die Zusammengehörigkeit mit den<lb/>
Elsaß-Lothringern und deren Wunsch bei Frankreich zu bleiben, hinfällig zu<lb/>
machen, verrathen die Franzosen deutlich genug, daß sie die deutschen<lb/>
Elsasser doch nicht als gleichberechtigt neben sich ansehen, sondern sie und<lb/>
ihr Land nur ausnutzen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1368"> Mancherlei Factoren wirken zusammen, um die Stellung Deutschlands<lb/>
jetzt günstiger zu gestalten. Der Erfolg, der uns aus Schritt und Tritt seit<lb/>
dem Juli v. I. begleitet hat, übt seine blendende Gewalt auch auf Wider¬<lb/>
willige; für eine und die andere Regierung hat die französische Republik<lb/>
etwas Abschreckendes; die gegenwärtigen Zustände in Frankreich endlich müssen<lb/>
auch die fanatischsten Bewunderer dieses Landes und Volkes abkühlen. So<lb/>
ist wirklich denkbar, daß die Friedensliga zu Stande kommt, ja daß sie<lb/>
schon &#x2014; und nicht bloß auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit zu Stande<lb/>
gekommen ist &#x2014; und es ist ein Zeugniß, daß die Völker und die Regierungen<lb/>
endlich die Gerechtigkeit der deutschen Sache, die so lange verkannt worden,<lb/>
anerkennen, daß sie von der Friedensliebe und Gerechtigkeit Deutschlands über¬<lb/>
zeugt sind, daß sie keine Pläne befürchten, welche ihre Sicherheit bedrohen,<lb/>
und endlich daß sie die Demüthigung Frankreichs für eine wohlverdiente<lb/>
Strafe halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1369" next="#ID_1370"> Der heutige Jahrestag geht hier still vorüber. Hier und da hat sich ein<lb/>
Haus mit ein paar Fahnen geschmückt, bei den Truppen finden Festlichkeiten<lb/>
aber nur in den Kasernen statt. Der Streit, ob der 1. September oder ein<lb/>
anderer Tag aus dem vergangen Kriege zum nationalen Gedenk- und Festtag<lb/>
gemacht werden solle, ist noch nicht endgültig entschieden, doch scheint sich die<lb/>
Meinung zu Gunsten des großen Tages von Sedan zu wenden. Und nicht<lb/>
mit Unrecht. Es ist wahr, daß nach Sedan erst der zweite und längere Act<lb/>
des Krieges begann und eben so wahr, daß sich die Franzosen die Erinnerung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0446] ten daran und vergaßen, daß Frankreich zur Freiheit nicht weniger als Alles immer gefehlt hat. Die Republik wurde besiegt, wie das Kaiserthum be¬ siegt worden war, und um über ihren Werth keinen Zweifel zu lassen, debütirten sie, nach dem Friedensschlüsse, als sie begannen sich den inneren Angelegenheiten zu widmen, mit dem ekel- und grauenhaften Aufstand der Commune und der eben so grauenhaften Unterdrückung desselben. Die Abge¬ ordneten der Nation aber, welche in Versailles versammelt sind, gaben das klägliche Schauspiel der Parteiwuth, und als dem schauspielernden Thiers einmal das Herz überging, mußte er eingestehen, daß seine größte Sorge die sei, die Parteien zu hindern, über einander herzufallen. Wenn es noch einen einigenden Gedanken gibt, so ist es der eines Rachekrieges gegen Deutsch¬ land, um die verlorene Gloire wieder herzustellen und um selbst das¬ jenige Motiv, welches einen Krieg am ehesten rechtfertigen könnte und welches auch in den Bordergrund geschoben wird: die Zusammengehörigkeit mit den Elsaß-Lothringern und deren Wunsch bei Frankreich zu bleiben, hinfällig zu machen, verrathen die Franzosen deutlich genug, daß sie die deutschen Elsasser doch nicht als gleichberechtigt neben sich ansehen, sondern sie und ihr Land nur ausnutzen wollen. Mancherlei Factoren wirken zusammen, um die Stellung Deutschlands jetzt günstiger zu gestalten. Der Erfolg, der uns aus Schritt und Tritt seit dem Juli v. I. begleitet hat, übt seine blendende Gewalt auch auf Wider¬ willige; für eine und die andere Regierung hat die französische Republik etwas Abschreckendes; die gegenwärtigen Zustände in Frankreich endlich müssen auch die fanatischsten Bewunderer dieses Landes und Volkes abkühlen. So ist wirklich denkbar, daß die Friedensliga zu Stande kommt, ja daß sie schon — und nicht bloß auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit zu Stande gekommen ist — und es ist ein Zeugniß, daß die Völker und die Regierungen endlich die Gerechtigkeit der deutschen Sache, die so lange verkannt worden, anerkennen, daß sie von der Friedensliebe und Gerechtigkeit Deutschlands über¬ zeugt sind, daß sie keine Pläne befürchten, welche ihre Sicherheit bedrohen, und endlich daß sie die Demüthigung Frankreichs für eine wohlverdiente Strafe halten. Der heutige Jahrestag geht hier still vorüber. Hier und da hat sich ein Haus mit ein paar Fahnen geschmückt, bei den Truppen finden Festlichkeiten aber nur in den Kasernen statt. Der Streit, ob der 1. September oder ein anderer Tag aus dem vergangen Kriege zum nationalen Gedenk- und Festtag gemacht werden solle, ist noch nicht endgültig entschieden, doch scheint sich die Meinung zu Gunsten des großen Tages von Sedan zu wenden. Und nicht mit Unrecht. Es ist wahr, daß nach Sedan erst der zweite und längere Act des Krieges begann und eben so wahr, daß sich die Franzosen die Erinnerung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/446
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/446>, abgerufen am 15.05.2024.