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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Bon neuem und mit allem nur denkbaren Nachdruck wird das Dogma
der Unfehlbarkeit als rechtlich nicht existirend erklärt und denen, die es ver¬
worfen, wird der volle Schutz des Staates gewährleistet. Nicht bloß der
Einzelne steht hiermit auf gesetzlichem Boden, wenn er die Annahme der
neuen Lehre verweigert, sondern auch die Gemeinden, die sich unter diesem
Gesichtspunkt vereinigen, haben alle korporativen Rechte und Privilegien der
katholischen Kirche. Den Eltern wird das religiöse Erziehungsrecht unverkürzt
gewährt und eine legislative Aenderung des bisherigen Kirchenrechts steht
unweigerlich in Aussicht. Auch der Laie erkennt die tiefen und wichtigen
Rechtsgrundsätze, die in dieser Erklärung liegen, und darnach läßt sich wohl
ermessen, wie tief der moralische Eindruck war. Natürlich fehlte es nicht an
Zweiflern, denen die Verwirklichung dieser Theorien sehr serneliegend schien;
allein selbst wenn man dem Ministerium nicht mit dem Vertrauen entgegen¬
kommt, das es verdient, so sind doch die Umstände zwingender Art. Denn
nicht um die Ansichten des einzelnen Fachministers handelt es sich, sondern
um die Erklärung des Gesammteabinets und nicht in der Form eines belie¬
bigen Erlasses, sondern in den Formen eines feierlichen Staatsaetes ward
dieselbe gegeben. Die Interessenten, die dabei betheiligt sind, sind zu zahl¬
reich, als daß man sie ignoriren dürfte, und wenn die Regierung besorgt
war, das Versprechen zu geben, so sind jene besorgt, daß es erfüllt werde.
Zudem weiß jedermann, daß der König selbst an der Antwort seines Cabi-
nets den persönlichsten Antheil hat.

Die Fortschrittspartet, deren Hilfe die Regierung unbedingt bedarf, und
deren Mißtrauensvotum sie mehr zu fürchten hat, als das der Patrioten, ist
von der Erklärung höchst befriedigt und der Vertreter der Jnterpellation, der
Abgeordnete Herz hat erklärt, daß er dies Gefühl im höchsten Grade theile.

Um so toller ist der Ingrimm der patriotischen Deputirten, die in der
ministeriellen Antwort eine offene Kriegserklärung sehen; und ihre Stimmung
hätte sich ohne Zweifel in einem ähnlichen Acte Luft gemacht, wie es der
cinticipirte Protest gegen die Jnterpellation war, wenn nicht die Vertagung
des Landtags entgegengetreten wäre.

Baiern aber hat mit diesem Tage eine Zukunft angebahnt, die zu seinem
H zz. eile und zu dem des größeren Vaterlandes gereichen wird.




Grenzboten II. 1871.>.)0

Bon neuem und mit allem nur denkbaren Nachdruck wird das Dogma
der Unfehlbarkeit als rechtlich nicht existirend erklärt und denen, die es ver¬
worfen, wird der volle Schutz des Staates gewährleistet. Nicht bloß der
Einzelne steht hiermit auf gesetzlichem Boden, wenn er die Annahme der
neuen Lehre verweigert, sondern auch die Gemeinden, die sich unter diesem
Gesichtspunkt vereinigen, haben alle korporativen Rechte und Privilegien der
katholischen Kirche. Den Eltern wird das religiöse Erziehungsrecht unverkürzt
gewährt und eine legislative Aenderung des bisherigen Kirchenrechts steht
unweigerlich in Aussicht. Auch der Laie erkennt die tiefen und wichtigen
Rechtsgrundsätze, die in dieser Erklärung liegen, und darnach läßt sich wohl
ermessen, wie tief der moralische Eindruck war. Natürlich fehlte es nicht an
Zweiflern, denen die Verwirklichung dieser Theorien sehr serneliegend schien;
allein selbst wenn man dem Ministerium nicht mit dem Vertrauen entgegen¬
kommt, das es verdient, so sind doch die Umstände zwingender Art. Denn
nicht um die Ansichten des einzelnen Fachministers handelt es sich, sondern
um die Erklärung des Gesammteabinets und nicht in der Form eines belie¬
bigen Erlasses, sondern in den Formen eines feierlichen Staatsaetes ward
dieselbe gegeben. Die Interessenten, die dabei betheiligt sind, sind zu zahl¬
reich, als daß man sie ignoriren dürfte, und wenn die Regierung besorgt
war, das Versprechen zu geben, so sind jene besorgt, daß es erfüllt werde.
Zudem weiß jedermann, daß der König selbst an der Antwort seines Cabi-
nets den persönlichsten Antheil hat.

Die Fortschrittspartet, deren Hilfe die Regierung unbedingt bedarf, und
deren Mißtrauensvotum sie mehr zu fürchten hat, als das der Patrioten, ist
von der Erklärung höchst befriedigt und der Vertreter der Jnterpellation, der
Abgeordnete Herz hat erklärt, daß er dies Gefühl im höchsten Grade theile.

Um so toller ist der Ingrimm der patriotischen Deputirten, die in der
ministeriellen Antwort eine offene Kriegserklärung sehen; und ihre Stimmung
hätte sich ohne Zweifel in einem ähnlichen Acte Luft gemacht, wie es der
cinticipirte Protest gegen die Jnterpellation war, wenn nicht die Vertagung
des Landtags entgegengetreten wäre.

Baiern aber hat mit diesem Tage eine Zukunft angebahnt, die zu seinem
H zz. eile und zu dem des größeren Vaterlandes gereichen wird.




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[0161] Bon neuem und mit allem nur denkbaren Nachdruck wird das Dogma der Unfehlbarkeit als rechtlich nicht existirend erklärt und denen, die es ver¬ worfen, wird der volle Schutz des Staates gewährleistet. Nicht bloß der Einzelne steht hiermit auf gesetzlichem Boden, wenn er die Annahme der neuen Lehre verweigert, sondern auch die Gemeinden, die sich unter diesem Gesichtspunkt vereinigen, haben alle korporativen Rechte und Privilegien der katholischen Kirche. Den Eltern wird das religiöse Erziehungsrecht unverkürzt gewährt und eine legislative Aenderung des bisherigen Kirchenrechts steht unweigerlich in Aussicht. Auch der Laie erkennt die tiefen und wichtigen Rechtsgrundsätze, die in dieser Erklärung liegen, und darnach läßt sich wohl ermessen, wie tief der moralische Eindruck war. Natürlich fehlte es nicht an Zweiflern, denen die Verwirklichung dieser Theorien sehr serneliegend schien; allein selbst wenn man dem Ministerium nicht mit dem Vertrauen entgegen¬ kommt, das es verdient, so sind doch die Umstände zwingender Art. Denn nicht um die Ansichten des einzelnen Fachministers handelt es sich, sondern um die Erklärung des Gesammteabinets und nicht in der Form eines belie¬ bigen Erlasses, sondern in den Formen eines feierlichen Staatsaetes ward dieselbe gegeben. Die Interessenten, die dabei betheiligt sind, sind zu zahl¬ reich, als daß man sie ignoriren dürfte, und wenn die Regierung besorgt war, das Versprechen zu geben, so sind jene besorgt, daß es erfüllt werde. Zudem weiß jedermann, daß der König selbst an der Antwort seines Cabi- nets den persönlichsten Antheil hat. Die Fortschrittspartet, deren Hilfe die Regierung unbedingt bedarf, und deren Mißtrauensvotum sie mehr zu fürchten hat, als das der Patrioten, ist von der Erklärung höchst befriedigt und der Vertreter der Jnterpellation, der Abgeordnete Herz hat erklärt, daß er dies Gefühl im höchsten Grade theile. Um so toller ist der Ingrimm der patriotischen Deputirten, die in der ministeriellen Antwort eine offene Kriegserklärung sehen; und ihre Stimmung hätte sich ohne Zweifel in einem ähnlichen Acte Luft gemacht, wie es der cinticipirte Protest gegen die Jnterpellation war, wenn nicht die Vertagung des Landtags entgegengetreten wäre. Baiern aber hat mit diesem Tage eine Zukunft angebahnt, die zu seinem H zz. eile und zu dem des größeren Vaterlandes gereichen wird. Grenzboten II. 1871.>.)0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/161>, abgerufen am 19.05.2024.