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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Graf Arco-Zinneberg spielt in den Generalversammlungen der deutschen Ka¬
tholikenvereine und im internationalen Verkehr derselben eine bedeutende Rolle
und sein Bruch mit den bayrischen Ultra's entzieht den letzteren jeden Succurs
der größeren Genossenschaft. Auf der andern Seite aber hat Herr Sigl mit
seinen maßlosen Forderungen und mit dem cynischen Ton, in dem dieselben
gestellt sind, die entschiedene Majorität der unteren Stände. Nicht nur ein
großer Theil des niederen Klerus ist mit demselben einverstanden, sondern auch
die eigentlichen Wortführer in der patriotischen Partei der Kammer neigen
vielfach auf diese Seite und haben sich sogar für die Colportage des betreffen¬
den Organs verwendet, statt dasselbe öffentlich zu verleugnen. Somit ist denn
auch der Streit, welcher anfangs nur einen localen Charakter hatte, in weitere
Dimensionen hineingerathen und wird ohne Zweifel in den Verhandlungen
der Kammer bemerklich werden. Als jenes Moment indessen, welches die
Gegensätze am meisten entfesselt, dürfte wohl die Debatte über das Cultus¬
budget betrachtet werden, zumal da dasselbe auf der einen Seite durch Herrn
Greil und auf der anderen durch Herrn von Lutz vertreten wird, wenn nicht
vielleicht schon früher das Mißtrauensvotum der klerikalen Majorität in
Scene tritt. Bekanntlich war dasselbe bereits am Schlüsse der vorigen Session
in's Auge gefaßt worden, und sollte als Replik auf die ministerielle Antwort
gelten.

Damals fehlte es an der nöthigen Stimmenzahl und an der nöthigen
Zeit, jetzt aber ist die Erbitterung über die Berliner Erlebnisse noch so mächtig,
daß immerhin eine Verständigung zwischen den beiden Zweigen der patrio¬
tischen Fraction gelingen könnte. Wir ersparen dem Leser alle Hypothesen
über diesen Fall, da wohl die Thatsachen eine baldige Ausklärung bringen
werden; nur soviel sei hier versichert, daß dann auch die Regierung weiß,
was ihres Amtes ist.

Ein Punkt, auf welchen wir noch mit wenigen Worten zurückkommen
müssen, ist der Fortschritt der altkatho tisch en Bewegung, denn auch diese wird
ohne Zweifel in den Kämpfen der bestehenden Session eine Rolle spielen. Mit
Genugthuung nimmt man wahr, daß das Ansehen derselben mit jedem Tage
wächst und daß ihre numerische Verbreitung gleichen Schritt hält mit ihrer
Moralischen Bedeutung, In allen Provinzen bilden sich Vereinigungen zu
diesem Zweck und in den größeren Versammlungen, die ununterbrochen statt¬
finden, wird der Zusammenhang der localen Führer mit dem Centralcomite
in München gewahrt. Auch die rechtliche Seite, die diesen Fragen zukommt,
'se neuerlich angeregt worden, und zwar durch die Vorgänge in Kiefersfelden
und Tuntenhausen, wo die antiinfalliblen Pfarrer vom Erzbischof persönlich
Mommunicirt und nunmehr auch ihrer Pfründe entsetzt wurden. Das Ver¬
sprechen, in solchen Fällen staatlichen Schutz zu gewähren, wird damit neuer-


Grenzboten II. 1871. 124

Graf Arco-Zinneberg spielt in den Generalversammlungen der deutschen Ka¬
tholikenvereine und im internationalen Verkehr derselben eine bedeutende Rolle
und sein Bruch mit den bayrischen Ultra's entzieht den letzteren jeden Succurs
der größeren Genossenschaft. Auf der andern Seite aber hat Herr Sigl mit
seinen maßlosen Forderungen und mit dem cynischen Ton, in dem dieselben
gestellt sind, die entschiedene Majorität der unteren Stände. Nicht nur ein
großer Theil des niederen Klerus ist mit demselben einverstanden, sondern auch
die eigentlichen Wortführer in der patriotischen Partei der Kammer neigen
vielfach auf diese Seite und haben sich sogar für die Colportage des betreffen¬
den Organs verwendet, statt dasselbe öffentlich zu verleugnen. Somit ist denn
auch der Streit, welcher anfangs nur einen localen Charakter hatte, in weitere
Dimensionen hineingerathen und wird ohne Zweifel in den Verhandlungen
der Kammer bemerklich werden. Als jenes Moment indessen, welches die
Gegensätze am meisten entfesselt, dürfte wohl die Debatte über das Cultus¬
budget betrachtet werden, zumal da dasselbe auf der einen Seite durch Herrn
Greil und auf der anderen durch Herrn von Lutz vertreten wird, wenn nicht
vielleicht schon früher das Mißtrauensvotum der klerikalen Majorität in
Scene tritt. Bekanntlich war dasselbe bereits am Schlüsse der vorigen Session
in's Auge gefaßt worden, und sollte als Replik auf die ministerielle Antwort
gelten.

Damals fehlte es an der nöthigen Stimmenzahl und an der nöthigen
Zeit, jetzt aber ist die Erbitterung über die Berliner Erlebnisse noch so mächtig,
daß immerhin eine Verständigung zwischen den beiden Zweigen der patrio¬
tischen Fraction gelingen könnte. Wir ersparen dem Leser alle Hypothesen
über diesen Fall, da wohl die Thatsachen eine baldige Ausklärung bringen
werden; nur soviel sei hier versichert, daß dann auch die Regierung weiß,
was ihres Amtes ist.

Ein Punkt, auf welchen wir noch mit wenigen Worten zurückkommen
müssen, ist der Fortschritt der altkatho tisch en Bewegung, denn auch diese wird
ohne Zweifel in den Kämpfen der bestehenden Session eine Rolle spielen. Mit
Genugthuung nimmt man wahr, daß das Ansehen derselben mit jedem Tage
wächst und daß ihre numerische Verbreitung gleichen Schritt hält mit ihrer
Moralischen Bedeutung, In allen Provinzen bilden sich Vereinigungen zu
diesem Zweck und in den größeren Versammlungen, die ununterbrochen statt¬
finden, wird der Zusammenhang der localen Führer mit dem Centralcomite
in München gewahrt. Auch die rechtliche Seite, die diesen Fragen zukommt,
'se neuerlich angeregt worden, und zwar durch die Vorgänge in Kiefersfelden
und Tuntenhausen, wo die antiinfalliblen Pfarrer vom Erzbischof persönlich
Mommunicirt und nunmehr auch ihrer Pfründe entsetzt wurden. Das Ver¬
sprechen, in solchen Fällen staatlichen Schutz zu gewähren, wird damit neuer-


Grenzboten II. 1871. 124
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[0437] Graf Arco-Zinneberg spielt in den Generalversammlungen der deutschen Ka¬ tholikenvereine und im internationalen Verkehr derselben eine bedeutende Rolle und sein Bruch mit den bayrischen Ultra's entzieht den letzteren jeden Succurs der größeren Genossenschaft. Auf der andern Seite aber hat Herr Sigl mit seinen maßlosen Forderungen und mit dem cynischen Ton, in dem dieselben gestellt sind, die entschiedene Majorität der unteren Stände. Nicht nur ein großer Theil des niederen Klerus ist mit demselben einverstanden, sondern auch die eigentlichen Wortführer in der patriotischen Partei der Kammer neigen vielfach auf diese Seite und haben sich sogar für die Colportage des betreffen¬ den Organs verwendet, statt dasselbe öffentlich zu verleugnen. Somit ist denn auch der Streit, welcher anfangs nur einen localen Charakter hatte, in weitere Dimensionen hineingerathen und wird ohne Zweifel in den Verhandlungen der Kammer bemerklich werden. Als jenes Moment indessen, welches die Gegensätze am meisten entfesselt, dürfte wohl die Debatte über das Cultus¬ budget betrachtet werden, zumal da dasselbe auf der einen Seite durch Herrn Greil und auf der anderen durch Herrn von Lutz vertreten wird, wenn nicht vielleicht schon früher das Mißtrauensvotum der klerikalen Majorität in Scene tritt. Bekanntlich war dasselbe bereits am Schlüsse der vorigen Session in's Auge gefaßt worden, und sollte als Replik auf die ministerielle Antwort gelten. Damals fehlte es an der nöthigen Stimmenzahl und an der nöthigen Zeit, jetzt aber ist die Erbitterung über die Berliner Erlebnisse noch so mächtig, daß immerhin eine Verständigung zwischen den beiden Zweigen der patrio¬ tischen Fraction gelingen könnte. Wir ersparen dem Leser alle Hypothesen über diesen Fall, da wohl die Thatsachen eine baldige Ausklärung bringen werden; nur soviel sei hier versichert, daß dann auch die Regierung weiß, was ihres Amtes ist. Ein Punkt, auf welchen wir noch mit wenigen Worten zurückkommen müssen, ist der Fortschritt der altkatho tisch en Bewegung, denn auch diese wird ohne Zweifel in den Kämpfen der bestehenden Session eine Rolle spielen. Mit Genugthuung nimmt man wahr, daß das Ansehen derselben mit jedem Tage wächst und daß ihre numerische Verbreitung gleichen Schritt hält mit ihrer Moralischen Bedeutung, In allen Provinzen bilden sich Vereinigungen zu diesem Zweck und in den größeren Versammlungen, die ununterbrochen statt¬ finden, wird der Zusammenhang der localen Führer mit dem Centralcomite in München gewahrt. Auch die rechtliche Seite, die diesen Fragen zukommt, 'se neuerlich angeregt worden, und zwar durch die Vorgänge in Kiefersfelden und Tuntenhausen, wo die antiinfalliblen Pfarrer vom Erzbischof persönlich Mommunicirt und nunmehr auch ihrer Pfründe entsetzt wurden. Das Ver¬ sprechen, in solchen Fällen staatlichen Schutz zu gewähren, wird damit neuer- Grenzboten II. 1871. 124

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/437>, abgerufen am 19.05.2024.