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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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und Vertrauen, und die starke Agitation gegen die beiden Katholiken in der
Umgebung des Fürsten Georg, v. Bertrab und den Hofmarschall und Flügel¬
adjutanten v. Humbracht, begann merklich nachzulassen. Man neigte sich der Hoff¬
nung zu, daß diese Herren darauf verzichtet hätten, ihren Katholicismus dem
Lande aufzudrängen, daß sie sich damit auf sich und die Ihrigen beschränken
würden, und es war Aussicht vorhanden, daß diese Beruhigung der Gemüther
Bestand haben werde.

Da erschien das oben mitgetheilte Decret, und sofort war allenthalben
der frühere Argwohn wieder wach, und die ultramontanen Herren am Hofe
waren von Neuem so verhaßt wie vorher. "Man will uns zu Katholischen
machen!" kann man in jedem Dorfe des Fürstenthums ausrufen hören, und
"Fort mit den Jesuiten!" ist wiederum die Losung in allen öffentlichen Ver¬
sammlungen. Selbst gegen den Fürsten, der -- mit welchem Recht, muß ich
hier dahingestellt sein lassen -- der tief erregten Volksmeinung als Gönner
und Protector der von jenen Herren nach der Ansicht der Leute gehegten
Pläne gilt, richtet sich die Furcht und der Verdruß des Volkes, und man be¬
ginnt, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, falls der schwer verdächtige
Minister nicht von seinem Posten entfernt werde, in Berlin Befreiung von dem
Alp zu suchen, der sich mit der Verordnung uns wieder auf die Brust ge¬
setzt hat.

Ob der Weg nach Berlin zu rathen, ist eine Frage, die ich nicht ent¬
scheiden mag. Dagegen ist kein Zweifel, daß die Beunruhigung eine allge¬
meine und sehr tiefgehende ist, und daß die Verordnung in der That einen
Inhalt hat, der Erstaunen und Bedenken erregen muß. Dieselbe würde in
Ländern mit einer zahlreichen katholischen Bevölkerung im Allgemeinen natür¬
lich erscheinen, ja als Nothwendigkeit hingenommen werden müssen. Das
Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt aber hat unter seinen 7S,116 Einwohnern
nicht mehr als 9S Katholiken, und davon besteht überdies die Mehrzahl aus
nur vorübergehend im Lande sich aufhaltenden und zerstreut lebenden Hand¬
werksgesellen, die nirgends Elemente zur Bildung von Gemeinden darbieten.
Wie sich an keinem Orte des Fürstenthums irgend ein Bedürfniß nach einer
katholischen Gemeinde herausstellt, so kann noch weniger die Errichtung einer
katholischen confessionellen Schule durch die Verhältnisse gerechtfertigt werden;
denn außer den Kindern des Ministers gibt es in unsern Ländchen schwerlich
ein Dutzend katholische Schulkinder. Endlich aber wählte man den Bischof
von Paderborn zum geistlichen Oberhaupt jener Handvoll Katholiken, und
die Welt weiß, daß dieser Bischof Martin ein Ultramontaner vom reinsten
Wasser, ein westfälischer Senestrey, ein Hauptgönner der schwarzen Schaar
vom Orden Loyolas ist.

Ich meine, daß wir auf Grund dieser Betrachtungen im besten Recht


und Vertrauen, und die starke Agitation gegen die beiden Katholiken in der
Umgebung des Fürsten Georg, v. Bertrab und den Hofmarschall und Flügel¬
adjutanten v. Humbracht, begann merklich nachzulassen. Man neigte sich der Hoff¬
nung zu, daß diese Herren darauf verzichtet hätten, ihren Katholicismus dem
Lande aufzudrängen, daß sie sich damit auf sich und die Ihrigen beschränken
würden, und es war Aussicht vorhanden, daß diese Beruhigung der Gemüther
Bestand haben werde.

Da erschien das oben mitgetheilte Decret, und sofort war allenthalben
der frühere Argwohn wieder wach, und die ultramontanen Herren am Hofe
waren von Neuem so verhaßt wie vorher. „Man will uns zu Katholischen
machen!" kann man in jedem Dorfe des Fürstenthums ausrufen hören, und
„Fort mit den Jesuiten!" ist wiederum die Losung in allen öffentlichen Ver¬
sammlungen. Selbst gegen den Fürsten, der — mit welchem Recht, muß ich
hier dahingestellt sein lassen — der tief erregten Volksmeinung als Gönner
und Protector der von jenen Herren nach der Ansicht der Leute gehegten
Pläne gilt, richtet sich die Furcht und der Verdruß des Volkes, und man be¬
ginnt, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, falls der schwer verdächtige
Minister nicht von seinem Posten entfernt werde, in Berlin Befreiung von dem
Alp zu suchen, der sich mit der Verordnung uns wieder auf die Brust ge¬
setzt hat.

Ob der Weg nach Berlin zu rathen, ist eine Frage, die ich nicht ent¬
scheiden mag. Dagegen ist kein Zweifel, daß die Beunruhigung eine allge¬
meine und sehr tiefgehende ist, und daß die Verordnung in der That einen
Inhalt hat, der Erstaunen und Bedenken erregen muß. Dieselbe würde in
Ländern mit einer zahlreichen katholischen Bevölkerung im Allgemeinen natür¬
lich erscheinen, ja als Nothwendigkeit hingenommen werden müssen. Das
Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt aber hat unter seinen 7S,116 Einwohnern
nicht mehr als 9S Katholiken, und davon besteht überdies die Mehrzahl aus
nur vorübergehend im Lande sich aufhaltenden und zerstreut lebenden Hand¬
werksgesellen, die nirgends Elemente zur Bildung von Gemeinden darbieten.
Wie sich an keinem Orte des Fürstenthums irgend ein Bedürfniß nach einer
katholischen Gemeinde herausstellt, so kann noch weniger die Errichtung einer
katholischen confessionellen Schule durch die Verhältnisse gerechtfertigt werden;
denn außer den Kindern des Ministers gibt es in unsern Ländchen schwerlich
ein Dutzend katholische Schulkinder. Endlich aber wählte man den Bischof
von Paderborn zum geistlichen Oberhaupt jener Handvoll Katholiken, und
die Welt weiß, daß dieser Bischof Martin ein Ultramontaner vom reinsten
Wasser, ein westfälischer Senestrey, ein Hauptgönner der schwarzen Schaar
vom Orden Loyolas ist.

Ich meine, daß wir auf Grund dieser Betrachtungen im besten Recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/114>, abgerufen am 29.05.2024.