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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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innige Freundschaft und Zusammenwirkung dieser beiden Männer für die Ent¬
wickelung der Finanz-, Steuer- und Zolltarifpolitik Preußens und Deutsch¬
lands geworden ist, davon geben die letzten zwei Jahre hundert redende Be¬
weise.

Auch an dem großen deutschen Kriege sollte Delbrück Theil nehmen in
seiner Weise; nicht im Kriegskleid, das er einst als "freiwilliger Artillerist" ge¬
tragen -- nannten ihn doch schon damals seine Kameraden wegen der un¬
nachahmlichen Reserve und diplomatischen Feinheit seines Wesens den "Mi¬
nister" -- sondern als Vermittler der deutschen Einheit, als Unterhändler
zwischen dem Schirmherrn des norddeutschen Bundes, seinem Kanzler, und den
süddeutschen Staaten. Auch körperlich war diese Aufgabe ein harter Dienst.
Viele Wochen lang reiste Delbrück unablässig und. fast ohne Ruhetag hin und
her zwischen Berlin, dem Großen Hauptquartier des Königs, Stuttgart und
München, und gerade in einer Zeit, in den ersten Wochen nach Sedan, wo
die Eisenbahn nur bis Pont-^-Moussou zu benutzen war, und von da ab die
mehr primitiven als bequemen Vehikel der Nequisitions- und Relaisfuhrwcrt'e
in ihr unbestrittenes Recht traten. Natürlich legte Delbrück dabei, im Inter¬
esse der großen Dringlichkeit und Wichtigkeit seiner Mission, immer verhält¬
nißmäßig colossale Etappen zurück. Der Curier des Königs kann nicht rück¬
sichtsloser gegen sein Wirbelknochensystem gereist sein, als der Präsident des
damaligen Bundeskanzleramtes.

Eine Scene aus jenen Tagen wird uns unvergessen bleiben. Wir
zogen in dem ehrsamen Schritt von Begleitern werthvoller Liebesgaben
und anvertrauter hoher amtlicher Kisten die Straße zwischen Pont-Z,-
Moussou und Se. Mihiel. Der Regen begleitete uns strömend zwölf
Stunden lang. Die Argonnen lagen im Nebeltanze vor uns. Auf der
breiten Straße kamen diesen Tag über, in einzelnen Trupps, zwanzigtausend
Gefangene von Sedan, in ihrer stumpfen oder geschwätzigen Weise vorüber,
zwischen ihnen füllten die Straße immer lange lange Züge "evaeuirter" leichter
Verwundeter. Auf der Höhe hielt unsre Colonne, ebenso die entgegenkom¬
menden Wagen der Blessirten. Die Freiwilligen von einem der preußischen
Garderegimenter, die unsre Bedeckung bildeten, verkehrten freundlich mit den
verwundeten Freiwilligen, die auf einem der ruchlosen zweirädrigen französi¬
schen Karren zusammengepackt lagen. Der Schmerz war vergessen; die Frage
ging nach der deutschen Heimath, nach den Aussichten auf Frieden, und die
Hoffnungen für die deutsche Einheit. Man sagte, was man wußte. Die
letzte telegraphische Nachricht aus Berlin war, daß Delbrück ins königliche
Feldlager entboten sei, um mit den süddeutschen Staaten in einer gemeinsamen
Reichsverfassung jene deutsche Einheit aufzurichten, die im Donner der Schlachten
und im Blute der Krieger aller deutschen Stämme so herrlich sich bewährt


innige Freundschaft und Zusammenwirkung dieser beiden Männer für die Ent¬
wickelung der Finanz-, Steuer- und Zolltarifpolitik Preußens und Deutsch¬
lands geworden ist, davon geben die letzten zwei Jahre hundert redende Be¬
weise.

Auch an dem großen deutschen Kriege sollte Delbrück Theil nehmen in
seiner Weise; nicht im Kriegskleid, das er einst als „freiwilliger Artillerist" ge¬
tragen — nannten ihn doch schon damals seine Kameraden wegen der un¬
nachahmlichen Reserve und diplomatischen Feinheit seines Wesens den „Mi¬
nister" — sondern als Vermittler der deutschen Einheit, als Unterhändler
zwischen dem Schirmherrn des norddeutschen Bundes, seinem Kanzler, und den
süddeutschen Staaten. Auch körperlich war diese Aufgabe ein harter Dienst.
Viele Wochen lang reiste Delbrück unablässig und. fast ohne Ruhetag hin und
her zwischen Berlin, dem Großen Hauptquartier des Königs, Stuttgart und
München, und gerade in einer Zeit, in den ersten Wochen nach Sedan, wo
die Eisenbahn nur bis Pont-^-Moussou zu benutzen war, und von da ab die
mehr primitiven als bequemen Vehikel der Nequisitions- und Relaisfuhrwcrt'e
in ihr unbestrittenes Recht traten. Natürlich legte Delbrück dabei, im Inter¬
esse der großen Dringlichkeit und Wichtigkeit seiner Mission, immer verhält¬
nißmäßig colossale Etappen zurück. Der Curier des Königs kann nicht rück¬
sichtsloser gegen sein Wirbelknochensystem gereist sein, als der Präsident des
damaligen Bundeskanzleramtes.

Eine Scene aus jenen Tagen wird uns unvergessen bleiben. Wir
zogen in dem ehrsamen Schritt von Begleitern werthvoller Liebesgaben
und anvertrauter hoher amtlicher Kisten die Straße zwischen Pont-Z,-
Moussou und Se. Mihiel. Der Regen begleitete uns strömend zwölf
Stunden lang. Die Argonnen lagen im Nebeltanze vor uns. Auf der
breiten Straße kamen diesen Tag über, in einzelnen Trupps, zwanzigtausend
Gefangene von Sedan, in ihrer stumpfen oder geschwätzigen Weise vorüber,
zwischen ihnen füllten die Straße immer lange lange Züge „evaeuirter" leichter
Verwundeter. Auf der Höhe hielt unsre Colonne, ebenso die entgegenkom¬
menden Wagen der Blessirten. Die Freiwilligen von einem der preußischen
Garderegimenter, die unsre Bedeckung bildeten, verkehrten freundlich mit den
verwundeten Freiwilligen, die auf einem der ruchlosen zweirädrigen französi¬
schen Karren zusammengepackt lagen. Der Schmerz war vergessen; die Frage
ging nach der deutschen Heimath, nach den Aussichten auf Frieden, und die
Hoffnungen für die deutsche Einheit. Man sagte, was man wußte. Die
letzte telegraphische Nachricht aus Berlin war, daß Delbrück ins königliche
Feldlager entboten sei, um mit den süddeutschen Staaten in einer gemeinsamen
Reichsverfassung jene deutsche Einheit aufzurichten, die im Donner der Schlachten
und im Blute der Krieger aller deutschen Stämme so herrlich sich bewährt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/191>, abgerufen am 19.05.2024.