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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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wohl unverdienten Bedeutung empor: als würde hier ein der verfassungs¬
mäßigen Rechtsgleichheit widersprechendes Beamtenprivileg geschaffen, als wür¬
den den Strafsanctionen des Reichsrechts hier ganz ungewohnte particularistische
Schlagbäume über den Weg gelegt. Nicht minder energisch verwendete sich
von Seiten der Negierung Jolly dafür, daß diese Bestimmung in irgend einer
Form stehen bleibe; sie sei nothwendig, um eine geordnete Besorgung der
Verwaltungsgeschäfte zu sichern; insbesondere der untergeordnete Beamte
müsse, wenn er eine Weisung der Oberbehörde erhalten und vollzogen habe,
vor einer wegen Ausführung seiner pflichtmäßigen Handlung erhobenen An¬
klage geschützt sein. Trotz der Erklärung Jolly's, daß bei Streichung des
Artikel 20 das ganze Einführungsgesetz sür die Regierung unannehmbar sei,
wurde der Artikel von der zweiten Kammer mit geringer Mehrheit verworfen.
Die erste Kammer, deren zum Theil vom Großherzog ernannte und von den
beiden Landesuniversitäten erwählte Mitglieder stets eine Anzahl politisch und
wissenschaftlich gereifter Männer aufweist, stellte die Bestimmung in milderer
Fassung wieder her: nur das Staatsministerium dürfe auf Vortrag des
Justizministers die Genehmigung der strafgerichtlichen Verfolgung wegen
dienstlicher Handlungen versagen. Dieser Compromißvvrschlag wurde von der
Regierung und von der zweiten Kammer und hierauf das ganze Gesetz ange¬
nommen; blos -die Demokraten und Ultramontanen und ein nationaler M-
sammen 12) stimmten in der zweiten Kammer dagegen.

So war das wichtigste vor Jahresschluß zu beendigende Werk zu Stande
gekommen. Mit weniger Widerstand wurden einige andere Uebergangögesetze,
insbesondere ein Einführungsgesetz zur deutschen Gewerbeordnung, mit allge¬
mein freudiger Theilnahme das Kriegslastenausgleichungsgesetz angenommen,
und bei letzterem der fast allgemein gewünschten Erhöhung der Vergütungs¬
ansätze nur deshalb Einhalt gethan, weil die Regierung den Mangel an
i hierzu verfügbaren Mitteln nachwies.

Die badischen Finanzen können sich nämlich, wenn sie auch auf ganz so¬
lider Grundlage ruhen, eines so blühenden Standes wie die preußischen nicht
rühmen. Die Anforderungen sind durch den Eintritt ins Reich unleugbar
gestiegen, dazu kommt die von der Negierung vorgeschlagene Erhöhung der
Gehalte und Besoldungen um 20 Prozent, welche einen Mehraufwand von
ungefähr S00,000 si. verursachen wird. Trotzdem wird eine Steuererhöhung
umgangen und das scheinbar vorhandene Deficit durch Betriebsüberschüsse aus
früheren Jahren gedeckt werden. Die mit dem am 22. Januar stattfindenden
Wiederzusammentritt der Landstände beginnende Budgctberathung wird bei
dieser Lage nicht ohne manche Aufregung vor sich gehen. Die Opposition
wird den erblindeten Strahlenkranz ihrer Popularität durch eine Anzahl An¬
träge auf Herabsetzung des Aufwands aufzufrischen suchen. Sie wird beson-


wohl unverdienten Bedeutung empor: als würde hier ein der verfassungs¬
mäßigen Rechtsgleichheit widersprechendes Beamtenprivileg geschaffen, als wür¬
den den Strafsanctionen des Reichsrechts hier ganz ungewohnte particularistische
Schlagbäume über den Weg gelegt. Nicht minder energisch verwendete sich
von Seiten der Negierung Jolly dafür, daß diese Bestimmung in irgend einer
Form stehen bleibe; sie sei nothwendig, um eine geordnete Besorgung der
Verwaltungsgeschäfte zu sichern; insbesondere der untergeordnete Beamte
müsse, wenn er eine Weisung der Oberbehörde erhalten und vollzogen habe,
vor einer wegen Ausführung seiner pflichtmäßigen Handlung erhobenen An¬
klage geschützt sein. Trotz der Erklärung Jolly's, daß bei Streichung des
Artikel 20 das ganze Einführungsgesetz sür die Regierung unannehmbar sei,
wurde der Artikel von der zweiten Kammer mit geringer Mehrheit verworfen.
Die erste Kammer, deren zum Theil vom Großherzog ernannte und von den
beiden Landesuniversitäten erwählte Mitglieder stets eine Anzahl politisch und
wissenschaftlich gereifter Männer aufweist, stellte die Bestimmung in milderer
Fassung wieder her: nur das Staatsministerium dürfe auf Vortrag des
Justizministers die Genehmigung der strafgerichtlichen Verfolgung wegen
dienstlicher Handlungen versagen. Dieser Compromißvvrschlag wurde von der
Regierung und von der zweiten Kammer und hierauf das ganze Gesetz ange¬
nommen; blos -die Demokraten und Ultramontanen und ein nationaler M-
sammen 12) stimmten in der zweiten Kammer dagegen.

So war das wichtigste vor Jahresschluß zu beendigende Werk zu Stande
gekommen. Mit weniger Widerstand wurden einige andere Uebergangögesetze,
insbesondere ein Einführungsgesetz zur deutschen Gewerbeordnung, mit allge¬
mein freudiger Theilnahme das Kriegslastenausgleichungsgesetz angenommen,
und bei letzterem der fast allgemein gewünschten Erhöhung der Vergütungs¬
ansätze nur deshalb Einhalt gethan, weil die Regierung den Mangel an
i hierzu verfügbaren Mitteln nachwies.

Die badischen Finanzen können sich nämlich, wenn sie auch auf ganz so¬
lider Grundlage ruhen, eines so blühenden Standes wie die preußischen nicht
rühmen. Die Anforderungen sind durch den Eintritt ins Reich unleugbar
gestiegen, dazu kommt die von der Negierung vorgeschlagene Erhöhung der
Gehalte und Besoldungen um 20 Prozent, welche einen Mehraufwand von
ungefähr S00,000 si. verursachen wird. Trotzdem wird eine Steuererhöhung
umgangen und das scheinbar vorhandene Deficit durch Betriebsüberschüsse aus
früheren Jahren gedeckt werden. Die mit dem am 22. Januar stattfindenden
Wiederzusammentritt der Landstände beginnende Budgctberathung wird bei
dieser Lage nicht ohne manche Aufregung vor sich gehen. Die Opposition
wird den erblindeten Strahlenkranz ihrer Popularität durch eine Anzahl An¬
träge auf Herabsetzung des Aufwands aufzufrischen suchen. Sie wird beson-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/200>, abgerufen am 28.05.2024.