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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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Woher diese Erscheinung? -- Blondel hat Recht, wenn er den kriege¬
rischen Geist als ein Erbtheil seiner Nation betrachtet. Er ist eben Sache
des Temperaments. Der militärische Geist dagegen ist überall, wo
er besteht, Frucht der Erziehung eines Volkes. Wie kommt es, daß ein
so waffenfreudiges Volk wie die Franzosen sich diese nothwendige Erziehung
nicht gegeben hat?

Die Gründe liegen tief und sind auf's Innigste verflochten mit allen
Eigenthümlichkeiten der nationalen Entwickelung Frankreichs überhaupt.

Als die keltische Urbevölkerung Galliens sich den germanischen Eroberern
unterwerfen mußte, da brachten die Franken ihre alte deutsche Heeresverfassung
mit in das neue Land, vermochten sie jedoch nicht aufrecht zu erhalten. Der
Heerbann aller Freien ward nämlich in einem Lande, wo diese Freien sich in
geringer Minorität befanden, von vornherein etwas ganz anderes als er in
der Heimath war, wo jene Freien (wenige Leibeigne ausgenommen) Alle-
Mann sind. Der Heerbann einer Minorität von Eroberern ist eine aristo¬
kratische Einrichtung, und nirgends hat sich die feudale Seite des mittelalter¬
lichen Kriegswesens früher und schärfer entwickelt, nirgends ist das Heerbann-
thum, trotz der Versuche der Karlinger es aufrecht zu erhalten, früher und
vollständiger aufgegangen in dem Gefolgschaftswesen der ritterlichen Dienst-
mannen als eben in Frankreich. Viel durchgreifender noch als jemals in
Deutschland, gelang es der französischen Chevallerie die Masse des Volkes
von jedem Antheil am Wehrthum auszuschließen und sie rechtlich wehrlos
zu machen. Der gesetzlichen Wehrlosigkeit folgte aber die thatsächliche
auf dem Fuße. Alle Aufstände des ländlichen und städtischen Proletariats,
Empörungen keltischer Nach- und Kriegssucht, alle jene entsetzlichen Gewalt¬
samkeiten der Jaequerie, die nicht minder entsetzlich gerächt und unterdrückt
wurden, sie waren durchaus unfruchtbar für die militärische Entwickelung
der Nation, vielmehr wurden sie stets nur neue Ursachen oder Vorwände zu
immer vollständigerer Ausscheidung jedes nichtadligen Elementes aus der Ge¬
nossenschaft der französischen Krieger. -- So kam es, daß Frankreichs eigent¬
liches Volk, trotz all'seiner kriegerischen Anlagen, militärisch unerzogen
blieb. Wie in gesellschaftlicher Beziehung, so stand es namentlich auch in
militärischen Dingen durchaus unter der Vormundschaft seines Adels.

Die Folge dieses social-historischen Uebels, welches verblendete Willkür
absichtlich steigerte, war die wunderbare Erscheinung, daß Frankreich, das ge¬
waltige, früh geeinte, von kriegerischen Stämmen reich bevölkerte Land keine
großen Kriege führen konnte ohne fremde Söldner, ja daß diese nicht
selten den eigentlichen Kern seiner Heere bildeten. Von den Kapetin-
gern an bis zu Napoleon III. zeigen sich in ununterbrochener
Folge fremde Kriegerschaaren im Dienste Frankreichs! -- In


Woher diese Erscheinung? — Blondel hat Recht, wenn er den kriege¬
rischen Geist als ein Erbtheil seiner Nation betrachtet. Er ist eben Sache
des Temperaments. Der militärische Geist dagegen ist überall, wo
er besteht, Frucht der Erziehung eines Volkes. Wie kommt es, daß ein
so waffenfreudiges Volk wie die Franzosen sich diese nothwendige Erziehung
nicht gegeben hat?

Die Gründe liegen tief und sind auf's Innigste verflochten mit allen
Eigenthümlichkeiten der nationalen Entwickelung Frankreichs überhaupt.

Als die keltische Urbevölkerung Galliens sich den germanischen Eroberern
unterwerfen mußte, da brachten die Franken ihre alte deutsche Heeresverfassung
mit in das neue Land, vermochten sie jedoch nicht aufrecht zu erhalten. Der
Heerbann aller Freien ward nämlich in einem Lande, wo diese Freien sich in
geringer Minorität befanden, von vornherein etwas ganz anderes als er in
der Heimath war, wo jene Freien (wenige Leibeigne ausgenommen) Alle-
Mann sind. Der Heerbann einer Minorität von Eroberern ist eine aristo¬
kratische Einrichtung, und nirgends hat sich die feudale Seite des mittelalter¬
lichen Kriegswesens früher und schärfer entwickelt, nirgends ist das Heerbann-
thum, trotz der Versuche der Karlinger es aufrecht zu erhalten, früher und
vollständiger aufgegangen in dem Gefolgschaftswesen der ritterlichen Dienst-
mannen als eben in Frankreich. Viel durchgreifender noch als jemals in
Deutschland, gelang es der französischen Chevallerie die Masse des Volkes
von jedem Antheil am Wehrthum auszuschließen und sie rechtlich wehrlos
zu machen. Der gesetzlichen Wehrlosigkeit folgte aber die thatsächliche
auf dem Fuße. Alle Aufstände des ländlichen und städtischen Proletariats,
Empörungen keltischer Nach- und Kriegssucht, alle jene entsetzlichen Gewalt¬
samkeiten der Jaequerie, die nicht minder entsetzlich gerächt und unterdrückt
wurden, sie waren durchaus unfruchtbar für die militärische Entwickelung
der Nation, vielmehr wurden sie stets nur neue Ursachen oder Vorwände zu
immer vollständigerer Ausscheidung jedes nichtadligen Elementes aus der Ge¬
nossenschaft der französischen Krieger. — So kam es, daß Frankreichs eigent¬
liches Volk, trotz all'seiner kriegerischen Anlagen, militärisch unerzogen
blieb. Wie in gesellschaftlicher Beziehung, so stand es namentlich auch in
militärischen Dingen durchaus unter der Vormundschaft seines Adels.

Die Folge dieses social-historischen Uebels, welches verblendete Willkür
absichtlich steigerte, war die wunderbare Erscheinung, daß Frankreich, das ge¬
waltige, früh geeinte, von kriegerischen Stämmen reich bevölkerte Land keine
großen Kriege führen konnte ohne fremde Söldner, ja daß diese nicht
selten den eigentlichen Kern seiner Heere bildeten. Von den Kapetin-
gern an bis zu Napoleon III. zeigen sich in ununterbrochener
Folge fremde Kriegerschaaren im Dienste Frankreichs! — In


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[0298] Woher diese Erscheinung? — Blondel hat Recht, wenn er den kriege¬ rischen Geist als ein Erbtheil seiner Nation betrachtet. Er ist eben Sache des Temperaments. Der militärische Geist dagegen ist überall, wo er besteht, Frucht der Erziehung eines Volkes. Wie kommt es, daß ein so waffenfreudiges Volk wie die Franzosen sich diese nothwendige Erziehung nicht gegeben hat? Die Gründe liegen tief und sind auf's Innigste verflochten mit allen Eigenthümlichkeiten der nationalen Entwickelung Frankreichs überhaupt. Als die keltische Urbevölkerung Galliens sich den germanischen Eroberern unterwerfen mußte, da brachten die Franken ihre alte deutsche Heeresverfassung mit in das neue Land, vermochten sie jedoch nicht aufrecht zu erhalten. Der Heerbann aller Freien ward nämlich in einem Lande, wo diese Freien sich in geringer Minorität befanden, von vornherein etwas ganz anderes als er in der Heimath war, wo jene Freien (wenige Leibeigne ausgenommen) Alle- Mann sind. Der Heerbann einer Minorität von Eroberern ist eine aristo¬ kratische Einrichtung, und nirgends hat sich die feudale Seite des mittelalter¬ lichen Kriegswesens früher und schärfer entwickelt, nirgends ist das Heerbann- thum, trotz der Versuche der Karlinger es aufrecht zu erhalten, früher und vollständiger aufgegangen in dem Gefolgschaftswesen der ritterlichen Dienst- mannen als eben in Frankreich. Viel durchgreifender noch als jemals in Deutschland, gelang es der französischen Chevallerie die Masse des Volkes von jedem Antheil am Wehrthum auszuschließen und sie rechtlich wehrlos zu machen. Der gesetzlichen Wehrlosigkeit folgte aber die thatsächliche auf dem Fuße. Alle Aufstände des ländlichen und städtischen Proletariats, Empörungen keltischer Nach- und Kriegssucht, alle jene entsetzlichen Gewalt¬ samkeiten der Jaequerie, die nicht minder entsetzlich gerächt und unterdrückt wurden, sie waren durchaus unfruchtbar für die militärische Entwickelung der Nation, vielmehr wurden sie stets nur neue Ursachen oder Vorwände zu immer vollständigerer Ausscheidung jedes nichtadligen Elementes aus der Ge¬ nossenschaft der französischen Krieger. — So kam es, daß Frankreichs eigent¬ liches Volk, trotz all'seiner kriegerischen Anlagen, militärisch unerzogen blieb. Wie in gesellschaftlicher Beziehung, so stand es namentlich auch in militärischen Dingen durchaus unter der Vormundschaft seines Adels. Die Folge dieses social-historischen Uebels, welches verblendete Willkür absichtlich steigerte, war die wunderbare Erscheinung, daß Frankreich, das ge¬ waltige, früh geeinte, von kriegerischen Stämmen reich bevölkerte Land keine großen Kriege führen konnte ohne fremde Söldner, ja daß diese nicht selten den eigentlichen Kern seiner Heere bildeten. Von den Kapetin- gern an bis zu Napoleon III. zeigen sich in ununterbrochener Folge fremde Kriegerschaaren im Dienste Frankreichs! — In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/298>, abgerufen am 19.05.2024.