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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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einmal die Ansichten der vlamischen Presse! Auf ihr ruht der Fluch in einer
nur von wenigen Millionen Menschen gesprochenen Sprache geschrieben zu
sein und so dringt sie kaum über die Grenzen hinüber.

Aber wie himmelweit ist der Unterschied zwischen den wallonischen und
vlamischen Ansichten! Während dort bittere Feindschaft gegen alles Deutsche
herrscht, die Lügen und das Nevanchegeschrei der Pariser Journale wiederholt
werden, treffen wir hier auf klare, ruhige Auffassung und auch auf Sympa¬
thien, die uns um so wohler thun, als wir Deutschen im Auslande nicht
über allzuviel Sympathien gebieten. Auf diese Erscheinung möchte ich Ihre
Aufmerksamkeit lenken.

Die vlamischen Blätter haben jetzt fast sämmtlich Artikel gebracht, in
denen sie die großen Ereignisse besprechen, welche vor einem Jahre sich ab¬
spielten. Der Genter "Volksbelang", ein liberales, gut redigirtes Blatt,
widmet der Capitulation von Paris jetzt einen Leitartikel, in dem er die
Stellung der Vlamingen gegenüber dem neuen Deutschland präcisirt und diese
Stimme verdient in Deutschland gehört zu werden, da sie uns als der unver¬
fälschte Ausdruck der drei Millionen germanischen Belgier erscheint.

Wir waren, sagt der "Volksbelang", zur Zeit des großen Krieges auf
deutscher Seite mit unserer Sympathie; schon allein das gute Recht des an¬
gefallenen Theils hätte genügt, um uns diese als Grundregel vorzuschreiben;
aber dazu kam noch, daß unsere deutschen Stammesbrüder Streit gegen den¬
selben Erbfeind führten, gegen den auch wir so lange kämpften. Ihr Sieg
mußte auch auf uns günstig wirken, er mußte den in der letzten Zeit so un¬
verschämt hervortretenden Plänen der Mtrcnnontanen gleichfalls einen Stoß
versetzen. Deutschland hat nicht nur allein den deutschen Rhein gerettet, son¬
dern auch die vlamische Scheide; es hat alle germanischen Stämme zu neuem
Leben erweckt; es hat den französischen Cäsarismus gebrochen, der Hand in
Hand mit dem Unfehlbarer in Rom seine schändliche Herrschaft über West¬
europa ausdehnte. Es setzt jetzt sein Werk fort durch die muthige und hart¬
näckige Bekämpfung des Ultramontanismus in seinem eigenen Schoße.

Diese Siege und Vorbilder haben auch neuen Lebensmuth in unsere vla¬
mischen Herzen geführt und wir setzen mit erneutem Vertrauen unsere Be¬
strebungen fort, um der Aufschlürfung der vlamischen Selbständigkeit durch
französisches oder wälsches Uebergewicht, der Verbasterung unseres freien ger¬
manischen Charakters entgegen zu wirken.

Deutschland, so fährt der "Volksbelang" fort, zeigt jetzt mehr als früher
Interesse an unseren vlamischen Zuständen; es fühlt die Verwandtschaft
zwischen uns, verschiedene Stimmen sind in deutschen Blättern laut geworden,
welche die vlamische Bewegung sympathisch besprachen und vor ganz Europa
das Unrecht kennzeichneten, welches wir germanischen Belgen durch Unter-


Grenzbotcn I. 1872. 46

einmal die Ansichten der vlamischen Presse! Auf ihr ruht der Fluch in einer
nur von wenigen Millionen Menschen gesprochenen Sprache geschrieben zu
sein und so dringt sie kaum über die Grenzen hinüber.

Aber wie himmelweit ist der Unterschied zwischen den wallonischen und
vlamischen Ansichten! Während dort bittere Feindschaft gegen alles Deutsche
herrscht, die Lügen und das Nevanchegeschrei der Pariser Journale wiederholt
werden, treffen wir hier auf klare, ruhige Auffassung und auch auf Sympa¬
thien, die uns um so wohler thun, als wir Deutschen im Auslande nicht
über allzuviel Sympathien gebieten. Auf diese Erscheinung möchte ich Ihre
Aufmerksamkeit lenken.

Die vlamischen Blätter haben jetzt fast sämmtlich Artikel gebracht, in
denen sie die großen Ereignisse besprechen, welche vor einem Jahre sich ab¬
spielten. Der Genter „Volksbelang", ein liberales, gut redigirtes Blatt,
widmet der Capitulation von Paris jetzt einen Leitartikel, in dem er die
Stellung der Vlamingen gegenüber dem neuen Deutschland präcisirt und diese
Stimme verdient in Deutschland gehört zu werden, da sie uns als der unver¬
fälschte Ausdruck der drei Millionen germanischen Belgier erscheint.

Wir waren, sagt der „Volksbelang", zur Zeit des großen Krieges auf
deutscher Seite mit unserer Sympathie; schon allein das gute Recht des an¬
gefallenen Theils hätte genügt, um uns diese als Grundregel vorzuschreiben;
aber dazu kam noch, daß unsere deutschen Stammesbrüder Streit gegen den¬
selben Erbfeind führten, gegen den auch wir so lange kämpften. Ihr Sieg
mußte auch auf uns günstig wirken, er mußte den in der letzten Zeit so un¬
verschämt hervortretenden Plänen der Mtrcnnontanen gleichfalls einen Stoß
versetzen. Deutschland hat nicht nur allein den deutschen Rhein gerettet, son¬
dern auch die vlamische Scheide; es hat alle germanischen Stämme zu neuem
Leben erweckt; es hat den französischen Cäsarismus gebrochen, der Hand in
Hand mit dem Unfehlbarer in Rom seine schändliche Herrschaft über West¬
europa ausdehnte. Es setzt jetzt sein Werk fort durch die muthige und hart¬
näckige Bekämpfung des Ultramontanismus in seinem eigenen Schoße.

Diese Siege und Vorbilder haben auch neuen Lebensmuth in unsere vla¬
mischen Herzen geführt und wir setzen mit erneutem Vertrauen unsere Be¬
strebungen fort, um der Aufschlürfung der vlamischen Selbständigkeit durch
französisches oder wälsches Uebergewicht, der Verbasterung unseres freien ger¬
manischen Charakters entgegen zu wirken.

Deutschland, so fährt der „Volksbelang" fort, zeigt jetzt mehr als früher
Interesse an unseren vlamischen Zuständen; es fühlt die Verwandtschaft
zwischen uns, verschiedene Stimmen sind in deutschen Blättern laut geworden,
welche die vlamische Bewegung sympathisch besprachen und vor ganz Europa
das Unrecht kennzeichneten, welches wir germanischen Belgen durch Unter-


Grenzbotcn I. 1872. 46
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[0369] einmal die Ansichten der vlamischen Presse! Auf ihr ruht der Fluch in einer nur von wenigen Millionen Menschen gesprochenen Sprache geschrieben zu sein und so dringt sie kaum über die Grenzen hinüber. Aber wie himmelweit ist der Unterschied zwischen den wallonischen und vlamischen Ansichten! Während dort bittere Feindschaft gegen alles Deutsche herrscht, die Lügen und das Nevanchegeschrei der Pariser Journale wiederholt werden, treffen wir hier auf klare, ruhige Auffassung und auch auf Sympa¬ thien, die uns um so wohler thun, als wir Deutschen im Auslande nicht über allzuviel Sympathien gebieten. Auf diese Erscheinung möchte ich Ihre Aufmerksamkeit lenken. Die vlamischen Blätter haben jetzt fast sämmtlich Artikel gebracht, in denen sie die großen Ereignisse besprechen, welche vor einem Jahre sich ab¬ spielten. Der Genter „Volksbelang", ein liberales, gut redigirtes Blatt, widmet der Capitulation von Paris jetzt einen Leitartikel, in dem er die Stellung der Vlamingen gegenüber dem neuen Deutschland präcisirt und diese Stimme verdient in Deutschland gehört zu werden, da sie uns als der unver¬ fälschte Ausdruck der drei Millionen germanischen Belgier erscheint. Wir waren, sagt der „Volksbelang", zur Zeit des großen Krieges auf deutscher Seite mit unserer Sympathie; schon allein das gute Recht des an¬ gefallenen Theils hätte genügt, um uns diese als Grundregel vorzuschreiben; aber dazu kam noch, daß unsere deutschen Stammesbrüder Streit gegen den¬ selben Erbfeind führten, gegen den auch wir so lange kämpften. Ihr Sieg mußte auch auf uns günstig wirken, er mußte den in der letzten Zeit so un¬ verschämt hervortretenden Plänen der Mtrcnnontanen gleichfalls einen Stoß versetzen. Deutschland hat nicht nur allein den deutschen Rhein gerettet, son¬ dern auch die vlamische Scheide; es hat alle germanischen Stämme zu neuem Leben erweckt; es hat den französischen Cäsarismus gebrochen, der Hand in Hand mit dem Unfehlbarer in Rom seine schändliche Herrschaft über West¬ europa ausdehnte. Es setzt jetzt sein Werk fort durch die muthige und hart¬ näckige Bekämpfung des Ultramontanismus in seinem eigenen Schoße. Diese Siege und Vorbilder haben auch neuen Lebensmuth in unsere vla¬ mischen Herzen geführt und wir setzen mit erneutem Vertrauen unsere Be¬ strebungen fort, um der Aufschlürfung der vlamischen Selbständigkeit durch französisches oder wälsches Uebergewicht, der Verbasterung unseres freien ger¬ manischen Charakters entgegen zu wirken. Deutschland, so fährt der „Volksbelang" fort, zeigt jetzt mehr als früher Interesse an unseren vlamischen Zuständen; es fühlt die Verwandtschaft zwischen uns, verschiedene Stimmen sind in deutschen Blättern laut geworden, welche die vlamische Bewegung sympathisch besprachen und vor ganz Europa das Unrecht kennzeichneten, welches wir germanischen Belgen durch Unter- Grenzbotcn I. 1872. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/369>, abgerufen am 19.05.2024.