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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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lassen und waS derselbe auch anordne, für das Beste zu halten." In Loyola's
Briefe ferner wird den Untergebenen gestattet, dem Obern die eigene Ansicht,
wenn sie von dessen Meinung abweicht, vorzutragen. Sogleich aber wird
hinzugefügt, daß der Untergebene die Pflicht habe, mit vollständigster Bereit¬
willigkeit das anzunehmen und für richtiger zu halten, was der Vorgesetzte
darauf erwidert.

Ein solcher rückhaltloser und unbedingter Gehorsam gegen Menschen,
die bei aller ihrer Vortrefflichkeit irren konnten, mußte motivirt werden, und
er wurde damit motivirt, daß der Obere, wenn er befiehlt, der Dolmetscher,
der Vertreter Gottes und Christi sei. "Die Untergebenen", so heißt es in der
Epistel des Stifters der Jesuiten, "sollen niemals auf die Person blicken, der
sie gehorchen, sondern in ihr Christum den Herrn sehen, um dessen willen sie
Gehorsam leisten. Denn dem Vorgesetzten, auch dem mit Klugheit, Güte und
allen anderen göttlichen Gaben Gezierten und Erfüllten, ist nicht um dieses
seines Wesens willen zu gehorchen, sondern blos deßwegen, weil er Gott ver¬
tritt und unter dessen Autorität fungirt, der da sagt: Wer euch höret, der
höret mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich. Darum darf auch dem,
der sich durch Umsicht und Klugheit weniger auszeichnet, am Gehorsam durch¬
aus nichts entzogen werden, da er als Oberer die Person desjenigen darstellt,
dessen Weisheit nicht irren kann. Dieser wird ersetzen, was immer seinem
Diener an Rechtschaffenheit und anderen Zierden mangelt. Denn wenn der
Herr Christus gesagt hat: Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf dem
Stuhle Mosis, so hat er ausdrücklich hinzugesetzt: alles also, was sie euch
sagen, beobachtet und thut, nach ihrem Werken aber handelt nicht."

Der Gehorsam der Jesuiten hat nun nach dem wiederholt citirten Briefe
Loyola's drei Stufen. Die unterste und noch sehr unvollkommene ist die,
welche die Befehle einfach nach der That ausführt. "Sie verdient den Namen
der Tugend nicht, wenn sie nicht die .zweite Stufe ersteigt, wo man den
Willen des Obern zu dem seinigen macht und mit demselben dermaßen über¬
einstimmt, daß nicht nur in der Wirkung die Ausführung, sondern auch in
der Gesinnung die Beistimmung zu Tage tritt und so beide dasselbe wollen
und nicht wollen. Darum lesen wir auch in den heiligen Schriften: Gehor¬
sam ist besser als Opfer. Denn, wie Sanct Gregorius lehrt, durch Opfer
wird fremdes Fleisch, durch den Gehorsam aber der eigene Wille geschlachtet."
In allen Stücken "müssen die Untergebenen den Eigenwillen, soweit das
möglich ist, ablegen." "ihre Freiheit ihrem Schöpfer in der Person seines
Dieners aus freiem Willen übergeben und weihen." "sie ihm durch Gehorsam
zurückerstatten." "Wenn ihr dieß thut," so bemerkt der Brief, "verliert ihr
die Freiheit nicht nur nicht, sondern ihr mehrt und vollendet sie; denn so
wird der ganze Wille nach der sichersten Richtschnur des Rechten durch den


lassen und waS derselbe auch anordne, für das Beste zu halten." In Loyola's
Briefe ferner wird den Untergebenen gestattet, dem Obern die eigene Ansicht,
wenn sie von dessen Meinung abweicht, vorzutragen. Sogleich aber wird
hinzugefügt, daß der Untergebene die Pflicht habe, mit vollständigster Bereit¬
willigkeit das anzunehmen und für richtiger zu halten, was der Vorgesetzte
darauf erwidert.

Ein solcher rückhaltloser und unbedingter Gehorsam gegen Menschen,
die bei aller ihrer Vortrefflichkeit irren konnten, mußte motivirt werden, und
er wurde damit motivirt, daß der Obere, wenn er befiehlt, der Dolmetscher,
der Vertreter Gottes und Christi sei. „Die Untergebenen", so heißt es in der
Epistel des Stifters der Jesuiten, „sollen niemals auf die Person blicken, der
sie gehorchen, sondern in ihr Christum den Herrn sehen, um dessen willen sie
Gehorsam leisten. Denn dem Vorgesetzten, auch dem mit Klugheit, Güte und
allen anderen göttlichen Gaben Gezierten und Erfüllten, ist nicht um dieses
seines Wesens willen zu gehorchen, sondern blos deßwegen, weil er Gott ver¬
tritt und unter dessen Autorität fungirt, der da sagt: Wer euch höret, der
höret mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich. Darum darf auch dem,
der sich durch Umsicht und Klugheit weniger auszeichnet, am Gehorsam durch¬
aus nichts entzogen werden, da er als Oberer die Person desjenigen darstellt,
dessen Weisheit nicht irren kann. Dieser wird ersetzen, was immer seinem
Diener an Rechtschaffenheit und anderen Zierden mangelt. Denn wenn der
Herr Christus gesagt hat: Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf dem
Stuhle Mosis, so hat er ausdrücklich hinzugesetzt: alles also, was sie euch
sagen, beobachtet und thut, nach ihrem Werken aber handelt nicht."

Der Gehorsam der Jesuiten hat nun nach dem wiederholt citirten Briefe
Loyola's drei Stufen. Die unterste und noch sehr unvollkommene ist die,
welche die Befehle einfach nach der That ausführt. „Sie verdient den Namen
der Tugend nicht, wenn sie nicht die .zweite Stufe ersteigt, wo man den
Willen des Obern zu dem seinigen macht und mit demselben dermaßen über¬
einstimmt, daß nicht nur in der Wirkung die Ausführung, sondern auch in
der Gesinnung die Beistimmung zu Tage tritt und so beide dasselbe wollen
und nicht wollen. Darum lesen wir auch in den heiligen Schriften: Gehor¬
sam ist besser als Opfer. Denn, wie Sanct Gregorius lehrt, durch Opfer
wird fremdes Fleisch, durch den Gehorsam aber der eigene Wille geschlachtet."
In allen Stücken „müssen die Untergebenen den Eigenwillen, soweit das
möglich ist, ablegen." „ihre Freiheit ihrem Schöpfer in der Person seines
Dieners aus freiem Willen übergeben und weihen." „sie ihm durch Gehorsam
zurückerstatten." „Wenn ihr dieß thut," so bemerkt der Brief, „verliert ihr
die Freiheit nicht nur nicht, sondern ihr mehrt und vollendet sie; denn so
wird der ganze Wille nach der sichersten Richtschnur des Rechten durch den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/477>, abgerufen am 28.05.2024.