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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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gekrönt." Man muß zugestehen, daß der "Erfolg" in diesem Falle den
Wünschen des Verdacht witternden Korrespondenten jenes demokratischen
Blattes viel mehr entsprochen hat, als denen der kaiserlichen Commission und
der Redactionen des "Temps" und der "Opinion Nationale."

Andere Arbeiter scheinen dies auch geahnt zu haben. Wenigstens äußerte
einer derselben in einem Briefe hinsichtlich jener Delegation nach London im
Widerspruch mit den Lyoner Berufsgenossen: "Dies ist ein wichtiger Punkt;
denn damit wird den Arbeitern die Leitung ihrer Angelegenheiten in ihre
eigenen Hände gelegt. Es ist der Anfang zu wirklicher Emancipation. Es
wird der Ausgangspunkt für die Verwirklichung unserer Wünsche fein, einer
der Ecksteine für eine großartigere Bewegung."

Ein so von aller Welt begünstigtes Project mußte gelingen, und die
Delegirten, fast alle von ihren Kameraden, wie zu erwarten, aus der vorge¬
schrittensten und leidenschaftlichsten Partei der Arbeiter gewählt, gelangten im
Sommer 1862 wohlfeil und glücklich nach London. Wie sie dort den eigent¬
lichen Zweck ihrer Reise, Erwerbung von neuen Kenntnissen und Ausbildung
ihres Geschmacks an den großen gewerblichen und künstlerischen Werken der
Ausstellung, erfüllt, wissen wir nicht zu sagen. Klar ist nur, daß sie ganz
vortrefflich "die Solidarität, welche sie verknüpft", herausmerkten, und daß
"die alten Gährstoffe internationalen Haders", die beiläufig seit geraumer
Zeit nicht mehr besonders gefährlich waren, sehr bald durch die Gährstoffe
socialen Haders ersetzt wurden, deren kräftige Wirkung man jetzt in den
Straßen von Paris zu bewundern Gelegenheit hat.

Indeß würde man irren, wenn man annehmen wollte, daß die Abgeord¬
neten von Frankreich bereits mit allen den wüsten Leidenschaften abgereist
seien, welche die Gesellschaft, zu deren Gründung sie beitragen sollten, gegen¬
wärtig nährt. Und ebenso würde man sich täuschen, wenn man glaubte, sie
hätten in England diese Leidenschaften schon auf der Höhe angetroffen, auf
der wir sie jetzt erblicken. Die Internationale hat sich wie andere politische
Verbindungen und selbst wie gewisse Nationalversammlungen, z. B. wie das
lange Parlament und wie der Convent, entwickelt. Die individuellen Leiden¬
schaften waren allerdings Anfangs schon heftig, aber sie verbitterten sich durch
unaufhörliche Berührung, und sie erreichten zuletzt eine schreckliche Höhe. In¬
telligente und nicht allzu heftige Leute wurden von weniger befähigten, aber
gewaltthätigeren Geistern bei Seite geschoben, und diese wieder mußten zuletzt
als immer noch zu gemäßigt den Fanatikern weichen, die nun regierten.
Mehrere der französischen Begründer der Internationale weigerten sich, sich
den Maßlosigkeiten ihrer Nachfolger anzuschließen, und wenn sie nicht durch
diese als Renegaten behandelt worden sind wie die Gironde vom Berge, so
unterblieb dies einfach deshalb, weil die Commune nicht so lange gewährt


gekrönt." Man muß zugestehen, daß der „Erfolg" in diesem Falle den
Wünschen des Verdacht witternden Korrespondenten jenes demokratischen
Blattes viel mehr entsprochen hat, als denen der kaiserlichen Commission und
der Redactionen des „Temps" und der „Opinion Nationale."

Andere Arbeiter scheinen dies auch geahnt zu haben. Wenigstens äußerte
einer derselben in einem Briefe hinsichtlich jener Delegation nach London im
Widerspruch mit den Lyoner Berufsgenossen: „Dies ist ein wichtiger Punkt;
denn damit wird den Arbeitern die Leitung ihrer Angelegenheiten in ihre
eigenen Hände gelegt. Es ist der Anfang zu wirklicher Emancipation. Es
wird der Ausgangspunkt für die Verwirklichung unserer Wünsche fein, einer
der Ecksteine für eine großartigere Bewegung."

Ein so von aller Welt begünstigtes Project mußte gelingen, und die
Delegirten, fast alle von ihren Kameraden, wie zu erwarten, aus der vorge¬
schrittensten und leidenschaftlichsten Partei der Arbeiter gewählt, gelangten im
Sommer 1862 wohlfeil und glücklich nach London. Wie sie dort den eigent¬
lichen Zweck ihrer Reise, Erwerbung von neuen Kenntnissen und Ausbildung
ihres Geschmacks an den großen gewerblichen und künstlerischen Werken der
Ausstellung, erfüllt, wissen wir nicht zu sagen. Klar ist nur, daß sie ganz
vortrefflich „die Solidarität, welche sie verknüpft", herausmerkten, und daß
„die alten Gährstoffe internationalen Haders", die beiläufig seit geraumer
Zeit nicht mehr besonders gefährlich waren, sehr bald durch die Gährstoffe
socialen Haders ersetzt wurden, deren kräftige Wirkung man jetzt in den
Straßen von Paris zu bewundern Gelegenheit hat.

Indeß würde man irren, wenn man annehmen wollte, daß die Abgeord¬
neten von Frankreich bereits mit allen den wüsten Leidenschaften abgereist
seien, welche die Gesellschaft, zu deren Gründung sie beitragen sollten, gegen¬
wärtig nährt. Und ebenso würde man sich täuschen, wenn man glaubte, sie
hätten in England diese Leidenschaften schon auf der Höhe angetroffen, auf
der wir sie jetzt erblicken. Die Internationale hat sich wie andere politische
Verbindungen und selbst wie gewisse Nationalversammlungen, z. B. wie das
lange Parlament und wie der Convent, entwickelt. Die individuellen Leiden¬
schaften waren allerdings Anfangs schon heftig, aber sie verbitterten sich durch
unaufhörliche Berührung, und sie erreichten zuletzt eine schreckliche Höhe. In¬
telligente und nicht allzu heftige Leute wurden von weniger befähigten, aber
gewaltthätigeren Geistern bei Seite geschoben, und diese wieder mußten zuletzt
als immer noch zu gemäßigt den Fanatikern weichen, die nun regierten.
Mehrere der französischen Begründer der Internationale weigerten sich, sich
den Maßlosigkeiten ihrer Nachfolger anzuschließen, und wenn sie nicht durch
diese als Renegaten behandelt worden sind wie die Gironde vom Berge, so
unterblieb dies einfach deshalb, weil die Commune nicht so lange gewährt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/498>, abgerufen am 28.05.2024.